Das Gesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) ist seit 1985 in Kraft. Im Lauf der Jahre jedoch hat sich die zweite Säule stark verändert: Die klassische, betriebliche Vorsorgestiftung, in der Arbeitnehmende und Arbeitgebende paritätisch vertreten sind, ist zur Ausnahme geworden.
1992 zählte die Schweiz 5190 betriebliche Vorsorgeeinrichtungen. 2022 registrierte das Bundesamt für Statistik noch 1353 solche Einrichtungen mit reglementarischen Leistungen und aktiven Versicherten.
Der Grund für den Rückgang: Immer mehr Unternehmen schliessen sich grossen Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen an. 2022 gab es 233 solche Einrichtungen, die drei Viertel der 4,6 Millionen Versicherten auf sich vereinten. Bei einer klassischen Arbeitgeber-Pensionskasse, von denen noch 1120 existieren, ist nur noch jeder Vierte versichert.
Strengere Anforderungen, andere Einstellung
Der Bund erklärt diese Entwicklung mit steigenden regulatorischen Anforderungen: «Das drückt sich in den Verwaltungskosten aus, die zu kleine Vorsorgeeinrichtungen auf weniger Köpfe umlegen müssen als grössere», sagt ein Sprecher des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV).
Zudem könnten grössere Kollektive versicherungstechnische Risiken, die mit den Rentengarantien verbunden sind, besser selber tragen als kleinere. Der Sprecher: «Sie brauchen keine oder nur eine beschränkte Rückversicherung.»
Doch das BSV stellt bei einigen Arbeitgebern auch eine veränderte Einstellung zu diesem Thema fest: «Grosse Firmen haben heute oft eine internationale Eigentümerschaft, die kein Interesse daran hat, eine eigene Pensionskasse zu betreiben», sagt der Sprecher.
Mitbestimmung nimmt ab
Lukas Müller-Brunner, Direktor des Schweizerischen Pensionskassenverbands (Asip), sieht den Strukturwandel ebenfalls kritisch. Zwar erwähnt auch er «positive Skaleneffekte», warnt aber zugleich vor Gefahren: «Grundsätzlich dürfte sowohl die aktive Mitbestimmung als auch die Identifikation des Arbeitgebers abnehmen, wenn er keine eigene, autonome Vorsorgeeinrichtung mehr unterhält.»
Die Gewerkschaften kritisieren die Konsolidierung besonders scharf: «Viele Sammelstiftungen, in denen sich vor allem KMU in der zweiten Säule versichern, werden durch gewinnorientierte Versicherungskonzerne oder dubiose Finanzinstitute kontrolliert», sagt Gabriela Medici, Sozialversicherungsexpertin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).
In solchen Konstrukten werde die Mitsprache der Arbeitnehmenden ausgehebelt, so Medici: «Das Geld versickert, und es gibt keine funktionierende Aufsicht über die Gelder der zwangsversicherten Arbeitnehmenden.»
Aufsicht warnt vor Interessenkonflikten
Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) des Bundes sieht ebenfalls Handlungsbedarf, formuliert seine Kritik aber diplomatischer. Eine Sprecherin sagt: «Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen können sich einerseits in einem Zielkonflikt zwischen Wachstum und finanzieller Stabilität befinden, andererseits können zwischen den Dienstleistungsgesellschaften der Vorsorgeeinrichtungen und den Versicherten Interessenkonflikte entstehen.»
Das Problem: Aufsicht und Kontrolle seien in den meisten Fällen immer noch auf «klar strukturierte firmeneigene Vorsorgeeinrichtungen» ausgerichtet, die in einem Umfeld ohne Interessenkonflikte und mit paritätischer Vertretung agieren.
Die «zunehmende Heterogenität» der Vorsorgeeinrichtungen jedoch erfordere eine Modernisierung der Aufsicht.