BLICK: Was ging dem Gastronomen und Weinhändler Rudi Bindella durch den Kopf, als Nationalbankpräsident Thomas Jordan Mitte Monat den Euro-Mindestkurs aufhob?
Rudi Bindella: Ich habe das zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet. Es war wie ein Schuss in den Rücken.
Wieso?
Ich meine: Eine Notenbank sollte am Markt nicht intervenieren. Also den Wechselkurs nicht verbilligen, nicht verteuern. 2011 hat sie Ersteres aus konjunkturellen Gründen getan, um der Exportwirtschaft zu helfen. Ich kann das nachvollziehen. Aber es bedeutet immer eine Marktverzerrung.
Diese wurde jetzt korrigiert.
Eine Intervention kann immer nur eine Übergangsmassnahme sein. Trotzdem hat die Notenbank noch im Dezember beteuert, den Mindestkurs weiterhin mit allen Mitteln zu verteidigen. Darauf haben wir uns verlassen. Wir waren nicht die einzigen.
Sie fühlen sich verschaukelt?
So wie die Notenbank kommuniziert hat, konnte niemand davon ausgehen, dass die Aufhebung der Untergrenze unmittelbar bevorsteht. Wir importieren aus dem Ausland, deshalb haben wir uns durch den Kauf von Euro zu 1.20 Franken abgesichert – auch um der Spekulation mit dem Franken zuvorzukommen. Jetzt sind wir auf dem falschen Fuss erwischt worden.
Welches sind die Auswirkungen auf Ihre Familienfirma?
Ein Verlust in Höhe eines siebenstelligen Betrags. Das ist für uns viel Geld. Gegenüber unseren Kunden können wir jetzt nicht erklären, wir hätten zu einem unvorteilhaften Kurs Euro gekauft und Preisreduktionen könnten deshalb kein Thema sein.
Was nun?
Wir haben den Verlust in der Jahresrechnung 2014 verbucht – glücklicherweise verfügen wir über diese Liquidität. Jetzt starten wir im neuen Jahr wenigstens ohne Hypothek mit den veränderten Rahmenbedingungen.
Was bedeuten diese in der Gastronomie?
Wir importieren Wein oder Olivenöl und diverse Spezialitäten aus dem Euroraum. Aber das ist nur ein kleiner Teil unseres Aufwands. Das Gros sind Löhne, Mieten, Betriebskosten. Alles in Franken. Deshalb fällt das kaum ins Gewicht.
Die Geschichte des Frankens und der Schweiz ist seit dessen Einführung eine Geschichte gegen die permanente Aufwertung der Valuta. Das hat das Land auch fit gemacht.
Eine starke Währung ist ja ein gutes Zeugnis für das Land. Ich habe lieber eine starke Währung, die die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft widerspiegelt, als eine schwache. Und im Grund ist es ja Wahnsinn, dass man diese künstlich verbilligen muss. Aber der Wechselkurs zeigt nicht nur die wirtschaftliche Leistung, sondern auch den Anlagebedarf. Es gibt zu viel Geld, das anlagesuchend in die Schweiz fliesst.
Sie führen einen Familienbetrieb in dritter Generation an der Schwelle zur vierten. Haben Sie je eine vergleichbare Situation erlebt?
Soweit ich mich erinnern kann nicht. Zumindest nicht mit den Währungen. Es gab in den 1970er-Jahren dringliche Bundesbeschlüsse im Kredit- oder Bauwesen – als Schutz gegen anlagesuchende Petrodollars.
Wie hat sich das damals auf die Gastronomie ausgewirkt?
Das hat die gesamte Konjunktur gedrückt. Aber es war am Schluss nicht so dramatisch. Wir haben auch das überstanden. Das ist ja die Stärke der Schweiz: die Bereitschaft zu arbeiten und sich solchen Prüfungen zu stellen.
Ihre Gemütslage kann man folgendermassen zusammenfassen: Sie sind sauer auf Notenbankchef Thomas Jordan und trotzdem optimistisch für das Land.
Ich bin nicht sauer auf Thomas Jordan. Er hatte eine schwierige Aufgabe zu lösen, um die ich ihn nicht beneide. Wenn es eine Kritik gibt: Das Vertrauen in die Notenbank ist wegen des Zeitpunkts dieser irgendwann unumgänglichen Massnahme gestört.
Ist das ein Thema unter den Patrons, die mit eigenem Geld geschäften?
Das ist ein Thema. Grundsätzlich wird begrüsst, dass der Wechselkurs nicht mehr künstlich verbilligt wird. Aber der Ausstieg war problematisch. Auch weil jetzt in den Zeitungen steht, die Schweiz schlittere in eine Rezession. Das hilft niemandem und fördert höchstens den Pessimismus. Dabei sind wir jetzt alle gefordert, damit gerade dies nicht geschieht: Politik, Unternehmen, Gewerkschaften – vielleicht sogar auch die Medien.
Sie fordern ein Zusammenrücken?
In der Wohlstandsgesellschaft schaut jeder für sich. Je schwieriger die konjunkturelle Situation aber wird, desto näher rückt eine Nation wieder zusammen. Jeder merkt: Wir müssen die Krise gemeinsam lösen.
Die Menschen kaufen aber im EU-Raum billig ein.
Wer im Ausland einkauft, hat einen Währungsvorteil. Wer das tut, sollte aber auch überlegen: Welche negativen Konsequenzen sind damit verbunden?
Wieso?
Das Konsumvolumen, das ins Ausland abwandert, schwächt unsere Binnenwirtschaft. Das fällt auch auf die zurück, die im Ausland konsumieren. Man müsste auch überlegen: Mache ich jetzt Ferien in der Schweiz oder im Ausland?
Also: Schweizer kauft in der Schweiz?
Es geht nicht um Ausgrenzung. In einer Krise ist es jedoch legitim, auch an den Zustand des eigenen Landes zu denken. Etwas pathetisch, in Abwandlung des berühmten Kennedy-Satzes: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst!
Reichlich patriotisch!
Vielleicht. Aber sehen Sie: Jean Bindella, mein Grossvater, hat 1909 unternehmerisch begonnen. Er hat Krisen und zwei Weltkriege erlebt. Und die Erzählungen meines Vaters Rudolf aus der Kriegszeit waren sehr eindrücklich. Deshalb bin ich überzeugt: Wir kommen nur gemeinsam aus einer Krise heraus. Dabei kann der Binnenkonsum eine wichtige Stütze sein. Die fällt weg, wenn die Schweizer zu Tausenden im Ausland konsumieren, weil sie nur den kurzfristigen Vorteil sehen.
Was wäre die langfristige Sicht?
Dass die Sicherheit von Jobs und Arbeit direkt abhängt von der ökonomischen Prosperität des Landes. Oder umgekehrt: Je grösser die Krise, desto gefährdeter ist beides. Und noch etwas macht mir Sorgen ...
Nämlich?
Wir haben die Bürger aus der Eigenverantwortung entlassen. Das ist eines der Krisensymptome unserer Gesellschaft.
Bundesrat Johann Schneider-Ammann sprach von Lohnkürzungen. Ist das die Solidarität, die Sie meinen?
Das ist keine Lösung. Lohnkürzungen gefährden den sozialen Frieden – eine der Errungenschaften der Schweiz. Und sie würden den Binnenkonsum schwächen. Es müssen andere Möglichkeiten zur Kostenersparnis gesucht werden.
Zum Beispiel?
Wir bei Bindella könnten im Extremfall Investitionen herausschieben, weil wir stets solide investiert haben. Sollten die Umsätze auf breiter Front einbrechen, müssten wir Neu- und Ersatzeinstellungen hinausschieben, mit weniger Personal auskommen. In der Krise müssen wir mit dem Franken noch sorgfältiger umgehen.
Das klingt nach neuer Bescheidenheit. Funktioniert das?
Wieso nicht? Wir haben eine Mitarbeitertreue von durchschnittlich über acht Jahren. Das ist für die Gastronomie enorm viel. Manche Mitarbeiter haben ein halbes Leben bei uns gearbeitet. Dafür bin ich dankbar. Und umgekehrt wissen sie auch, was sie von einem Job in dieser Firma haben.
Nach 9/11 stand die Welt so unter Schock, dass der Hedonismus der 1990er-Jahre sich durch neue Bescheidenheit abzulösen schien. Ein Jahr später war wieder grosse Party. Dann, 2008, bei der Finanz- und Schuldenkrise, dachte man: So, jetzt haben wir es begriffen. Aber auch da geschah nichts. Haben Sie das Gefühl, jetzt beim gefühlten dritten Mal merken wir endlich, dass wir alle wieder ein bisschen bescheidener werden sollten?
Ich wünsche es uns! Wahrscheinlich braucht es ein paar Monate, bis wir begreifen, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen.
Zeiten der Krise sind immer Zeiten der Forderungen: Unternehmer wollen deregulieren und Steuern senken. Die Linke sagt, man müsse die Konjunktur stützen über Konjunkturprogramme à la John Maynard Keynes.
Ich traue es der schweizerischen Gesprächskultur zu, dass wir gemeinsame Lösungen finden. Wenn die Beschäftigung auf breiter Front einknickt, kann es vielleicht auch Sinn machen, wenn der Staat vorübergehend einspringt. Ich glaube aber auch, dass die Leute in härteren Zeiten bereit sind, bescheidener zu werden und mehr zu arbeiten.
Was macht Sie da so sicher?
Neben der Gesundheit ist die Beschäftigung, die Sicherheit am Arbeitsplatz, das wichtigste Anliegen des Schweizers. Und die Angst vor Jobverlust ist trotz Vollbeschäftigung gross. Ich bin überzeugt: Damit dies nicht geschieht, setzt sich jeder ein.
Täuscht der Eindruck, oder sehen Sie in dieser Krise auch Positives?
Ja, durchaus. Wir rennen immer Dingen nach, die wir nicht haben und von denen wir denken, dass wir sie auch noch haben müssten. Vielleicht sollten wir zu einem anderen Bewusstsein kommen. Zu mehr Zufriedenheit, Dankbarkeit, ja auch Demut dem Leben gegenüber.
Sie könnten ja auch die Menüs in Ihren Restaurants der Krise anpassen. Keine exotischen Delikatessen mehr, dafür Kartoffeln aus dem Thurgau. Bescheidenere Kost.
Viele traditionelle Gerichte der italienischen Küche stammen aus der Cucina povera, die wir ohnehin auf den Menükarten haben. Denken Sie etwa an Polenta oder Risotto. Das waren Arme-Leute-Essen, Hauptmahlzeiten also, die in Zeiten des Wohlstands zu Beilagen degradiert worden sind.
Sie meinen, das kommt wieder?
Ich sage nur: Wir pflegen diese alten Rezepte. Und wir registrieren natürlich, dass die Gäste in härteren Zeiten damit rechnen, dass die Einkünfte nicht mehr so sicher sind, und deshalb eher bescheidener bestellen. Gar keinen oder einen günstigeren Wein nehmen. Oder sie verzichten auf Rindfleisch und essen Teigwaren.
Das macht Ihnen keine Sorgen?
Als Gastgeber servieren wir, was unsere Gäste wünschen. Der französische Aufklärer Jean-Jacques Rousseau sagte den berühmten Satz: «Zurück zur Natur!» Ich sage: Vorwärts zur Natur! Das könnte ein neues Motto sein.
Als Patron einer Familiengesellschaft können Sie das ja vorleben.
Wir beschäftigen 1300 Personen aus 64 Nationen aus allen Kontinenten und Religionsgemeinschaften der Welt. Das geht nur mit gegenseitigem Respekt und Wertschätzung. Die Mitarbeiter wissen, da ist einer, der schaut für das Unternehmen. Wir gehen wahrscheinlich weiter im Risiko und in der Opferbereitschaft als ein Manager, der nicht weiss, ob er in drei Monaten noch angestellt sein wird. Und wir haben auch eine ganz andere Zeitvorstellung unseres Geschäfts als ein CEO, der von Quartalsergebnis zu Quartalsergebnis hechelt. Ich würde meinen letzten Franken einsetzen, wenn es gilt, das Unternehmen zu erhalten.
Das klingt wie aus einer anderen Zeit. Im Fall Sika schleicht sich die Familie einfach aus der Verantwortung und verhökert die Firma.
Ich kenne den Fall Sika zu wenig, um dies beurteilen zu können. Aber: Wenn einer bei einer Familienfirma am Schluss ohne unternehmerische Not Kasse macht, ist das für mich Hochverrat an der ursprünglichen Idee, die Firma von Generation zu Generation weiterzugeben. Wenn irgendwann keiner mehr da ist, der sich interessiert und mit der Ur-Idee nicht mehr vertraut ist, dann müssen selbstverständlich andere Lösungen geprüft werden. Aber auch in so einem Fall muss das Wohl der Firma im Zentrum bleiben und nicht nur das finanzielle Interesse der Erben.
Was ist für Sie in diesem Zusammenhang der höchste Wert?
Sagen wir es leicht pathetisch: Das höchste schweizerische Gut, sozusagen der Urwert des Landes, sind nach dem Rütlischwur Freiheit und Unabhängigkeit. Daran halte ich mich auch als Unternehmer. Das heisst zum Beispiel: Mindestens jeder zweite Franken in der Firma muss Eigenkapital sein.
Und wie steht es bei Bindella mit dem zweiten Postulat, die Firma in die Hand der nächsten Generation zu geben?
Grundsätzlich gilt für mich: Jede Generation hat von der Geburt bis zum Ableben Verpflichtung und Zeit, sich um Geschäft und Stabübergabe zu kümmern. In dieser Zeit muss auch ich mein Bestes geben. Danach sind die nächsten zuständig.
Wo stehen Sie in dieser Frage?
Ich habe vier Söhne und eine Tochter. Wir haben jetzt erste Dispositionen getroffen und diskutieren mit einem unabhängigen Mediator die Regeln der Stabübergabe. Dazu gehört: Wer aus dem Risiko der Firma aussteigen will, zahlt einen Diskont auf das gesamte Erbe. Das bedeutet, er bekommt unter dem Strich weniger als die, die in der Firma bleiben.
Das heisst, jedes Kind kann in der Firma aktiv werden, wenn es will?
Ich gehe davon aus, dass die Kinder mit dieser Moderation untereinander die Lösung finden. Der Prozess läuft jetzt seit diesem Jahr und ich hoffe, dass wir das in den nächsten zwei Jahren regeln können.
Und wenn es nicht klappt?
Dann müssten die Eltern als Ultima ratio, also als letztes Mittel, die Lösung vorgeben. Aber ich möchte dieses Diktat eigentlich nicht aussprechen müssen. Sondern mich lieber an unser Firmenmotto halten: La vita è bella!