Roche-Präsident Christoph Franz lud BLICK-Leser zum Bürgergespräch ein
«Von Wirtschaft hatte ich keine Ahnung!»

Christoph Franz ist einer der mächtigsten Manager der Schweiz. Der Roche-Präsident stand acht BLICK-Lesern Red und Antwort – zu Medipreisen, Millionensalären und dem Wert des Lebens.
Publiziert: 28.03.2017 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:51 Uhr
Aufgezeichnet von Patrik Berger und Ivo Tuchschmid

Was für ein Rahmen für das zweite BLICK-Bürgergespräch! Roche-Präsident Christoph Franz (56) empfing acht Leserinnen und Leser im 28. Stock des Roche-Turms in Basel. Die bunt zusammengewürfelte Truppe nutzte die Gelegenheit, einem der mächtigsten Wirtschaftsführer der Schweiz kritische, aber auch sehr persönliche Fragen zu stellen. Ganz im Sinne des Bürgergesprächs, das Volk und Wirtschaftselite zusammenbringen soll. Nach der fast anderthalbstündigen Diskussion unter der Leitung von Christian Dorer (42), Chefredaktor der Blick-Gruppe, gestand Franz: «Das Gespräch war spannender und vielseitiger als manches Interview mit gestandenen Wirtschaftsjournalisten.» Dann lud er in den 38. Stock zu einem Imbiss ein.

René Deiss: Herr Franz, Sie sind viel unterwegs, haben fünf Kinder und eine Frau. Wie oft sehen Sie sie?
Christoph Franz:
Möglichst abends und am Wochenende. Reisen plane ich unter der Woche. Ich wollte nie ein Wochenend-Papa sein, der am Freitagabend reinschneit, befreit von allen Alltagssorgen. Auch als ich in Frankfurt arbeitete, war ich einmal in der Woche zum Abendessen bei der Familie in Zürich. Das geht aber nur, wenn man bei einer Airline arbeitet (lacht).

Pascal Maurer: Sie arbeiten viel, müssen Kritik einstecken. Stehen Sie morgens trotzdem gerne auf?
Ja, ich habe einen fantastischen Job! Wir entwickeln Medikamente, die Schwerkranken helfen. Ich komme immer wieder mit Patienten zusammen, die sich dafür bedanken, dass wir ihnen das Leben gerettet haben. Das sind beeindruckende Begegnungen, die mich motivieren. Da kommen mir auch schon mal die Tränen.

Remo Thoma: Heute sind Sie ein Topmanager. Waren Sie auch ein fleissiger Schüler?
Ja. Für mich war immer klar, dass es später in Richtung Chemie geht. Mein Vater arbeitete in Frankfurt als Ingenieur bei Hoechst. Am Wochenende habe ich freiwillig Versuche gemacht. Die Zeit im Militär öffnete mir dann den Blick für andere Dinge. Mir wurde klar, dass ich von Wirtschaft keine Ahnung hatte. So studierte ich Wirtschaftsingenieur. Ein Freund arbeitete bei der Lufthansa und war begeistert. Also hab ich mich da auch beworben.

Simon Sollberger: Sie waren bei der Deutschen Bahn, bei Lufthansa und Swiss. Für viele Bubenträume. Und dann wechseln Sie zu Roche?
Der Innovationsgeist bei Roche hat mich beeindruckt. Ich wollte noch einmal etwas ganz anderes machen. Mit über 50 bekommt man nicht mehr so viele Angebote für einen Branchenwechsel.

René Deiss: Ein gutes Stichwort. Viele Väter kommen zu mir, die ihren Job verloren haben. Sie sind verzweifelt, wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Topmanager wie Sie aber kassieren Millionen. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?
Diese Gefühle kann ich sehr gut nachvollziehen. Mit 43 Jahren wurde ich selber entlassen. Als Vater von fünf Kindern brauchte ich einen neuen Job, das war nicht ganz einfach. Man darf aber nicht vergessen, dass nur ganz wenige Firmen Millionengehälter zahlen. Entscheidend ist, dass die Wirtschaft gute Rahmenbedingungen hat.

René Deiss: Und doch kommt es immer wieder zu Entlassungen.
Für den Einzelnen ist das bitter. Man muss die Leute unterstützen. Wichtig ist aber auch, dass die Arbeitnehmer mobil bleiben. Ich selber bin wegen dem Job bei der Swiss in die Schweiz gezogen. Das war ein Himmelfahrtskommando. Darum hab ich meine Wohnung in Deutschland erst einmal behalten.

Pascal Maurer: Sie tragen Verantwortung für die Bevölkerung, aber auch gegenüber den Aktionären. Wie schaffen Sie diesen Spagat?
Das ist in der Tat manchmal hart. Bei der Deutschen Bahn musste ich Lokwerke in Ostdeutschland schliessen. Solche Entscheidungen nimmt man abends mit nach Hause. Und doch muss man sie zuweilen fällen, um ein Unternehmen zu retten. Ein Patentrezept gibt es nicht. Bei Roche haben wir das Glück, mit den Nachkommen des Firmengründers Mehrheitsaktionäre zu haben, die nicht auf Quartalszahlen schauen, sondern einen Horizont von 20 bis 30 Jahren haben. Nur so können wir langfristige Projekte realisieren.

Alexis Saucy: Was muss sich in der Schweiz verbessern, um den USA Paroli bieten zu können?
In Amerika ist auch nicht alles einfach (lacht)! Entscheidend sind stabile Rahmenbedingungen. Selbst wenn sie schwierig sind, können wir uns darauf einstellen. Wenn aber mitten im Spiel die Regeln ändern, dann haben wir ein Problem. Die Schweizer Politik hat sich stark verändert. Referenden nehmen zu. Dann dauert es, wie derzeit bei der Unternehmenssteuerreform III, zwei, drei Jahre, bis man weiss, was Sache ist.

Pascal Maurer: Was halten Sie von alternativer Medizin?
Davon halte ich viel. Es wäre vermessen zu glauben, dass nur unsere Medikamente helfen. Bestes Beispiel sind Medikamententests mit Placebos. Es gibt Probanden, die weiter mit dem Placebo behandelt werden wollen. Auch wenn sie wissen, dass es nicht das richtige Medikament ist.

Simon Sollberger: Wieso sind unsere Medikamente so teuer?
Der Anteil der Medikamentenkosten am Gesundheitswesen liegt seit Jahren stabil bei 10 Prozent. Roche investiert jährlich 10 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung. Nach zehn Jahren verlieren wir den Patentschutz. In dieser Phase müssen wir natürlich etwas verdienen. Aber die Preise werden nicht allein von uns gemacht.

Simon Sollberger: Was darf ein zusätzliches Lebensjahr eines Todkranken kosten?
An einer solchen Diskussion möchte ich mich nicht beteiligen. In England gibt es gar Formeln, die berechnen, wie viel ein Menschenleben wert ist. Davon halte ich nichts. Aber klar: Wir werden alle älter, es ist eine grosse Herausforderung, das Gesundheitssystem finanzierbar zu halten.

Helena Jenzer: Auf dem Land machen Spitäler dicht, das ist tragisch für Randregionen. Wieso produziert Roche nicht mehr auf dem Land?
Das machen wir bereits. In Rotkreuz ZG etwa sind wir der grösste Arbeitgeber. Da arbeiten auch viele Leute aus den Kantonen Uri, Schwyz und Luzern. Wichtig ist aber, dass wir in der Schweiz den hohen Produktionsanteil von 20 Prozent halten können.

Alexis Saucy: Warum ist Roche in Zürich nicht präsenter? Sie leben in Zürich und schätzen die Lebensqualität der Stadt.
Ja, immer abends nach 17 Uhr (lacht)! Die Rivalität zwischen Zürich und Basel ist für mich kein Thema. Die chemische Industrie hat sich in Basel entwickelt. Roche wird nie nach Zürich ziehen, die Strukturen in Basel sind ideal. Allerdings forschen wir auch in Schlieren. Wir haben dort exzellente Wissenschaftler der ETH. Überhaupt sind Drohungen wie «Wir verlassen das Land!» Kindergarten.

Silvia Wolf: Sie beschäftigen Leute aus der ganzen Welt. Wie integrieren Sie diese Menschen?
Wir haben in Basel zwei internationale Schulen, das öffentliche Schulsystem ist in der Schweiz hervorragend. Basel hat Charme, ist ideal für Familien. Das ist wichtig, nur so kriegen wir gute Leute. Für Mitarbeitende aus dem Silicon Valley ist Basel auf den ersten Blick kein Traumstandort. Sie ändern ihre Meinung meist sehr schnell, wenn sie hier sind.

Silvia Wolf: Haben Sie bei Roche einen Gebetsraum für Muslime?
Nein, wir haben keinen Gebetsraum. Das entspricht keinem Bedürfnis. Wir weisen in den Personalrestaurants aber aus, was für Fleisch auf dem Teller landet.

René Deiss: Sie haben sogar ein eigenes Hallenbad!
Wirklich? Ich schwimme lieber im Rhein (lacht).

Silvio Tettamanti: Was bringt die Digitalisierung?
Sie bietet uns grosse Chancen. Von der elektronischen Patientenakte bis hin zu medizinischen Tests, die wir beschleunigen können. Das alles kommt direkt den Patienten zugute. Heute kosten gewisse Verfahren wie die DNA-Sequenzierung 1500 Franken, man macht sie nur in speziellen Fällen. Dank technischer Fortschritte kann man die Kosten wohl auf 150 Franken senken. Und das Verfahren wird zum Standard in der Krebsbehandlung.
Die Daten können dann nur dank Digitalisierung bewältigt werden.

Alexis Saucy: Müssen wir Angst haben vor dem gläsernen Patienten?
Nein, wichtig ist, dass der Patient die Kontrolle über seine Daten behält. Für die Forschung dürfen sie nur anonymisiert ausgewertet werden. Auch Versicherungen dürfen die Daten nicht ausnützen. Letztlich ist das aber auch eine politische Frage. Raucher zahlen heute keine höheren Prämien als Nichtraucher. Frauen aber höhere als Männer. Für mich ist das nicht nachvollziehbar.

Silvio Tettamanti: Wie fördern Sie Innovation bei Roche?
Innovation kann man nicht erzwingen. Man muss die Angestellten gut bezahlen, ihnen tolle Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Es muss sich unter den Wissenschaftlern herumsprechen, dass sie sich bei uns entfalten können. Wir brauchen die besten Leute. Man braucht aber auch Mut. Und muss ihnen erlauben, auch einmal zu scheitern. Denn von zehn Medikamenten, die wir entwickeln, kommt nur eines auf den Markt.

Zur Person

Christoph Franz (56) ist seit drei Jahren Verwaltungsratspräsident des Schweizer Pharmariesen Roche (50 Mrd. Franken Umsatz, 94'000 Mitarbeiter).

Wirtschaftsingenieurwesen

Franz studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Darmstadt, 1990 stieg er bei Lufthansa ein. Dann folgten zehn Jahre bei der Deutschen Bahn.

Schweizer Bürger

2004 wurde er Chef der Swiss, später Chef des Mutterkonzerns Lufthansa. Christoph Franz ist seit kurzem Schweizer Bürger, er wohnt mit seiner Frau in Zürich und ist Vater von fünf Kindern.

Von Lufthansa zu Roche:  Christoph Franz ist seit kurzem Schweizer.
Von Lufthansa zu Roche: Christoph Franz ist seit kurzem Schweizer.
Stefan Bohrer

Christoph Franz (56) ist seit drei Jahren Verwaltungsratspräsident des Schweizer Pharmariesen Roche (50 Mrd. Franken Umsatz, 94'000 Mitarbeiter).

Wirtschaftsingenieurwesen

Franz studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Darmstadt, 1990 stieg er bei Lufthansa ein. Dann folgten zehn Jahre bei der Deutschen Bahn.

Schweizer Bürger

2004 wurde er Chef der Swiss, später Chef des Mutterkonzerns Lufthansa. Christoph Franz ist seit kurzem Schweizer Bürger, er wohnt mit seiner Frau in Zürich und ist Vater von fünf Kindern.

Das nächste Bürgergespräch findet mit Wirtschafts- und Bildungsminister Johann Schneider-Ammann statt. Und so nehmen Sie teil: Schreiben Sie ein E-Mail an redaktion@blick.ch mit dem Betreff «Bürgergespräch». Geben Sie Name, Alter, Wohnort, Beruf und Telefonnummer an. Zudem eine kurze Begründung, warum Sie teilnehmen möchten.

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