Klima schlägt Gewerbe, Frauen schlagen die Gewerkschaften: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind die grossen Verlierer der Wahl 2019. Prominente Gewerkschafter wie Corrado Pardini (54, SP), Adrian Wüthrich (39, SP) oder Philipp Hadorn (52, SP) hatten keine Chance in der Klima- und Frauenwahl 2019, ebenso wenig wie die Spitze des Schweizerischen Gewerbeverbandes: Mit Jean-François Rime (69, SVP) und Hans-Ulrich Bigler (61, FDP) wurden gleich Präsident und Direktor aus dem Nationalrat geschmissen.
Eine herbe Niederlage für Polit-Schwergewicht Rime (69), der am Tag danach dünnhäutig auf Fragen nach seinem Befinden reagiert. Und für das Gewerbe im Parlament eher schwarz sieht: «Die Vertretung der KMU im Parlament könnte nun zum Problem werden. Ich muss erst mal die Liste mit den Neuen durcharbeiten.» Und sich um seine Nachfolge als Präsident des Gewerbeverbandes kümmern. Denn im Mai 2020 dürfte auch mit diesem Mandat Schluss sein.
Rime geht auf Reisen
Rime, der zweimal für die SVP als Bundesrat kandidierte, hat sich seinen Abgang aus der Politik anders vorgestellt: «So einen Erdrutsch habe ich in meiner langen Politkarriere noch nicht erlebt.» Vor allem die grüne Welle hat den Freiburger überrascht, dabei hätte er durchaus ökologische Argumente gehabt: «Mit dem Restholz des Sägewerks heizen wir über 10'000 Haushalte in Bulle und Umgebung», sagt der Sägereibesitzer und Unternehmer. «Das habe ich im Wahlkampf zu wenig betont. Aber ich weiss nicht, ob das etwas gebracht hätte.»
Wohl kaum, denn ausser bei der Kinderbetreuung hätte er mit seinen Freizeitbeschäftigungen, für die er nun mehr Zeit hat, kaum bei den Grünen punkten können: «Ich bin Grossvater geworden, könnte nun mehr auf die Jagd gehen oder reisen. Ich habe ja nicht versprochen, dass ich nun weniger fliegen werde.»
Mehr Interviews als bei Wiederwahl
Rime musste der grünen Welle weichen, Gewerkschaftssekretär Hadorn den Frauen. So wie auch Gewerkschaftskollege Pardini. Dieser ist für die Medien nicht zu erreichen, Hadorn gibt gerne Auskunft: «Die Abwahl schmerzt schon, vor allem als Ü50 mit kurzer Kündigungsfrist als Parlamentarier!» Doch erstens behält der Solothurner seinen Job bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. Und zweitens hat er sich schon immer für Gleichberechtigung starkgemacht. Deshalb trägt er seine Niederlage mit Fassung: «Bei meiner Wahl würde keine einzige Frau aus Solothurn im Nationalrat sitzen, was ebenfalls ein Affront wäre.»
Auch einen Tag nach der Abwahl hat Hadorn seinen Humor nicht verloren. Er habe gar keine Zeit, seinem Nationalratssitz nachzutrauern, sagt er: «Im Moment bin ich gut ausgelastet, gebe wohl mehr Interviews, als wenn ich wiedergewählt worden wäre.» Zudem dürfe er später noch all die mitfühlenden Mails und Nachrichten beantworten. Das bedeute ihm wirklich viel.
Schlecht für die Sozialpartnerschaft
Die Abwahl einiger prominenter Gewerkschafter gibt Hadorn zu denken, auch wenn davon das Klima profitiert: «Die Jungen haben fürs Klima gestimmt, sich aber offenbar zu wenig Gedanken über die zum Teil prekären Anstellungsbedingungen für Praktikanten gemacht.» Zudem bedauert Hadorn, dass mit der Abwahl von Gewerblern und Gewerkschaftern ein Teil der für die Schweiz so wichtigen Sozialpartnerschaft verloren geht.
Das ist für Gewerbeverbands-Direktor Bigler (61) kein Problem, es komme auf die richtigen Seilschaften und Netzwerke an. Er verweist auf die rund 80 Nationalräte, die gewerblichen Anliegen durchaus offen gegenüberstünden: «Mein Einsatz für die KMU geht weiter. Die Arbeit wird anders, aber nicht mühsamer.» Diesbezügliche Erfahrung hat der Zürcher FDPler, er war bereits sieben Jahre ohne Nationalratsmandat als Verbandsdirektor tätig.
Aus seiner Enttäuschung macht Bigler keinen Hehl, die Leere nach der Abwahl ist für ihn aber kein Thema: «Ich stehe nicht mit leeren Händen da, weiss durchaus etwas mit mir und meiner Zeit anzufangen.» Zum Beispiel wieder vermehrt seiner Reiselust zu frönen, sich um Freunde und Familie zu kümmern. Das Reisen übrigens, so Bigler, werde sowohl klimafreundlich wie auch im Flugzeug erfolgen.