Stellen Sie sich vor, Sie überholen auf der Autobahn einen Lastwagen. Beim Seitenblick zur Fahrerkabine sehen Sie: Der Chauffeur hat die Füsse gemütlich aufs Armaturenbrett gelegt. Und er schaut nicht auf die Strasse, sondern erledigt Papierkram.
Keine Angst, der Mann darf das! Er muss seinen Laster nicht lenken. Das übernimmt der Chauffeur im LKW vor ihm. Die Lastwagen sind via WLAN elektronisch aneinandergekoppelt. Das erste Fahrzeug der Kolonne bestimmt Richtung und Geschwindigkeit. Zehn bis 15 Meter dahinter folgt der nächste Truck. Dank Windschatten spart der gesamte Konvoi bis zu zehn Prozent Treibstoff. Und mehr Abstand ist auch gar nicht nötig, denn der Computer braucht zum Bremsen keine Reaktionszeit – im Gegensatz zum Menschen.
Die neue Technik nennt sich Platooning (siehe Box) und ist keine futuristische Illusion. In Deutschland gehen ab Frühjahr 2018 die ersten Kolonnen des Lastwagenherstellers MAN im Alltagsbetrieb in Erprobung. Dabei sitzen keine Testfahrer am Steuer, sondern ganz normale Berufschauffeure des Logistikkonzerns DB Schenker.
Ab Sommer wird mit Ladung gefahren
Der Test soll zeigen, wann die Bildung eines Platoons Sinn macht und wie der Lastwagenkonvoi je nach Verkehrssituation am besten zusammengeschlossen und wieder aufgelöst wird. «Zu Beginn verkehren die Lastwagen noch leer, ab Sommer sind dann aber Fahrten mit realen Ladungen geplant», sagt MAN-Sprecher Gregor Jentzsch.
Auch in Amerika, Asien und anderen europäischen Ländern laufen Platooning-Tests von LKW-Herstellern und Logistikunternehmen. Die Schweizer Transportbranche verfolgt die Entwicklung aufmerksam. Ob Kühne + Nagel, Planzer Transport oder Camion-Transport – alle haben Interesse an der neuen Technologie.
Der Schweizerische Nutzfahrzeugverband (Astag) wollte im Mai 2017, am Tag der jährlichen Delegiertenversammlung, sogar einen Feldversuch auf der A1 durchführen. Das Projekt scheiterte, weil Astag von den deutschen LKW-Herstellern keine Fahrzeuge erhielt. «Forschung und Weiterentwicklung innerhalb der Schweiz sind de facto nicht möglich, weil es in unserem Land keine LKW-Hersteller gibt», erklärt Astag-Vizedirektor André Kirchhofer. Bestimmend seien die jeweiligen Konzerne im Ausland. Und die konzentrieren sich derzeit noch auf Tests im eigenen Land.
Alternative: SBB streben Pilotversuche an
Nun aber bekommen die LKW-Konvois in der Schweiz neuen Schub. SonntagsBlick weiss: Die SBB streben zusammen mit Partnern Pilotversuche an. Die Bundesbahnen wollen testen, ob sich mit Platooning beispielsweise die Nahverteilung im Güterverkehr effizienter bewerkstelligen liesse.
Ein Bahnunternehmen auf der Strasse – ist das ein schlechter Witz? Die SBB erklären: «Wir sind im Güterverkehr im freien Wettbewerb unterwegs und daher immer daran, Wettbewerbssysteme und Konkurrenzangebote zu analysieren. Auch auf der Strasse.» Grundsätzlich fokussiere man zwar auf die Stärken der Bahn. Wo diese Vorzüge aber nicht zum Tragen kommen, sei man daran interessiert, den Kunden Alternativlösungen zu bieten.
Bereitschaft vom Bund ist gegeben
Dazu muss man wissen: Bereits heute wird der überwiegende Teil des Schienengüterverkehrs in der Schweiz kombiniert mit der Strasse abgewickelt. Das bedeutet, dass lange Distanzen per Bahn, die Nahverteilung aber auf der Strasse bewältigt werden. «In diesem Kontext wollen wir auch verstehen und ausprobieren, ob sich neue Kombinationsmöglichkeiten bieten», lassen die SBB wissen.
Der Bund dürfte dies mit Freude zur Kenntnis nehmen. Das Bundesamt für Strassen (Astra) zumindest steht dem Platooning positiv gegenüber: «Wir haben den Akteuren aus der Wirtschaft unsere Bereitschaft zur Mitarbeit mehrfach mitgeteilt.» Sogar eine mögliche Teststrecke hat das Astra bereits im Auge. Den A1-Autobahnabschnitt zwischen Avenches und Payerne hält man für geeignet. Sprecher Thomas Rohrbach: «Das Astra ist auf Stand-by und wartet auf die Industrie.»
Platooning ist ein System für den Strassenverkehr, bei dem mehrere Fahrzeuge über WLAN elektronisch aneinandergekoppelt sind. Alle im «Platoon» (englisch für militärischen «Zug») fahrenden Fahrzeuge folgen einander in minimalem Abstand. Gesteuert werden sie vom Fahrzeug an der Spitze. Platooning kann für den strassengebundenen Personen- und Güterverkehr in Frage kommen. Aus wirtschaftlichen Gründen ist die Entwicklung aber vor allem für den Güterverkehr von Interesse.
Platooning ist ein System für den Strassenverkehr, bei dem mehrere Fahrzeuge über WLAN elektronisch aneinandergekoppelt sind. Alle im «Platoon» (englisch für militärischen «Zug») fahrenden Fahrzeuge folgen einander in minimalem Abstand. Gesteuert werden sie vom Fahrzeug an der Spitze. Platooning kann für den strassengebundenen Personen- und Güterverkehr in Frage kommen. Aus wirtschaftlichen Gründen ist die Entwicklung aber vor allem für den Güterverkehr von Interesse.