Revolution des Alterns: Novartis-CEO Joe Jimenez setzt auf regenerative Medizin
«Wir werden dramatisch länger leben»

Der Basler Pharma-Multi Novartis will die Alterung von Muskeln, Knorpeln, Augen und Ohren «umkehren».
Publiziert: 04.12.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:14 Uhr
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«Die Erkältungs- und Grippewelle könnte in diesem Winter ziemlich heftig werden» Joe Jimenez
Foto: Valeriano Di Domenico
Interview: Moritz Kaufmann und Guido Schätti

SonntagsBLICK: Haben Sie die Influenza-Impfung bereits hinter sich?
Joe Jimenez:
Ja, seit rund einem Monat.

Wie schlimm wird die Grippe in diesem Winter?
Wie ich von unseren Sandoz-Leuten höre, verkaufen sie derzeit überdurchschnittlich viele Anti-Infektiva: Die Erkältungs- und Grippewelle könnte in diesem Winter ziemlich heftig werden.

Wie halten Sie sich fit?
Ich gehe zwei- bis dreimal wöchentlich ins Fitnessstudio, hebe Gewichte und trainiere auf dem Laufband. Zudem schwimme ich regelmässig.

Bis vor kurzem hatte Novartis eine eigene Impfstoffdivision. Haben Sie den Verkauf jemals bereut?
Nein. Wir haben festgestellt, dass wir überall die Nummer eins oder zwei sein müssen, um auf Dauer erfolgreich zu sein. Das war in der Impfstoffdivision nicht der Fall. Zusammen mit Glaxo Smith Kline hat das Geschäft nun die richtige Grösse.

Unter Daniel Vasella (63) hatte Novartis eine Vielzahl unabhängiger Divisionen. Heute ist der Konzern voll integriert. Das erhöht die Risiken.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir hatten früher viele Divisionen, die wie das Impfstoffgeschäft oder die Tiermedizin zu klein waren. Sie waren Ausseneinflüssen viel stärker ausgesetzt. Heute sind wir fokussierter. Alle Geschäfte haben eine globale Reichweite und sind ihn ihrem Bereich top. Dies gibt uns Stabilität.

Was bringt die Zentralisierung?
In der Produktion sparen wir ab 2020 jährlich eine Milliarde Dollar. Bei den internen Dienstleistungen wollen wir die Kosten stabil halten, selbst wenn der Konzern wächst. So können wir mit der Zeit die Margen um mehrere Prozentpunkte verbessern.

Wie viele Arbeitsplätze gehen dadurch verloren?
Wir bauen nicht ab, verlagern aber einzelne Stellen in Länder mit tieferen Kosten. Wir haben Servicecenter in Mexiko, Prag, Dublin, Kuala Lumpur und Hyderabad.

Sie verlagern Jobs in Tieflohnländer?
Ja. Gleichzeitig schaffen wir aber einige neue Jobs in Basel. Wir verlagern den Hauptsitz der Onko­logie-Einheit hierhin. Die biotherapeutische Forschung konzentrieren wir in Basel und Cambridge. Auch dadurch entstehen neue Jobs in der Schweiz.

Sie stecken jährlich neun Mil­liarden Dollar in die Forschung. Ihr wichtigstes Medikament Glivec wurde aber noch von Ciba entdeckt. Warum ist Novartis nicht innovativer?
Glivec verliert dieses Jahr den Patentschutz in den USA, nächstes Jahr in Europa. Die Nachfolger stehen bereit und kommen aus der Novartis-Forschung. Zum einen etwa das Schuppenflechte-Medikament Cosentyx, das in Basel entwickelt wurde und schon im ersten Jahr mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz generiert. Das zweite wichtige Medikament ist Entresto, welches Todesfälle und Hospitalisierungen bei Herzschwäche um je 20 Prozent senkt.

Aber ganz zufrieden können Sie nicht sein. Bei den Immuntherapien, welche die Behandlung von Krebs revolutionieren, ist Novartis nicht dabei.
Unsere Leute wollten zuerst verstehen, wie die neuartigen Medikamente funktionierten. Deshalb waren wir etwas spät. Die anderen verstanden den Mechanismus ebenfalls nicht, aber sie waren schneller bei der Entwicklung dieser speziellen Medizin. Bei der nächsten Welle von Medikamenten werden wir aber dabei sein. Wir haben zwölf Wirkstoffe, die in 27 Versuchen getestet werden.

Die Gesellschaft wird immer älter. Wie lange werden wir in Zukunft leben?
Ich glaube, dass sich die Lebenserwartung in den nächsten 20 Jahren dramatisch erhöht.

Was macht Sie so optimistisch?
Die Technologie! Wir haben eine Plattform für regenerative Medizin. Wir forschen, wie man Muskeln, Seh- und Hörvermögen wie auch Knorpel regenerieren kann.

Wie soll das funktionieren?
Zum Beispiel die Muskeln: So ab dem 50. Lebensjahr regenerieren sie sich nicht mehr selbst. Wir versuchen, diesen Effekt umzukehren. Dasselbe beim Hören. Mit dem Alter verliert man das Hörvermögen. Wir versuchen, das mit einer Gentherapie umzukehren: Die Stammzellen sollen stimuliert werden, damit sie Hörzellen vermehren. Es funktioniert bei Tieren. Beim Menschen testen wir es gerade.

Wie lange werden wir also demnächst leben – 100, 120 Jahre oder noch länger?
Ich will mich nicht festlegen. Aber wenn wir von einer Lebenserwartung von Anfang 80 ausgehen wie heute, würde ich sagen: substanziell länger.

Werden wir dann auch länger arbeiten?
Wahrscheinlich! Das Rentenalter wird sich wohl erhöhen.

Bei allem Fortschritt kommt es auch immer wieder zu Rückschlägen. Ihr Konkurrent Eli Lilly scheiterte eben mit einem Alzheimer-Medikament. Novartis hat ein ähnliches Projekt.
Wir verfolgen einen anderen Ansatz als Eli Lilly. Wir glauben, dass Alzheimer am besten behandelt werden könnte, indem man die Krankheit zu einem Zeitpunkt verlangsamt oder gar stoppt, bevor die Symptome eingesetzt haben. Wir identifizieren deshalb Patienten mit einer genetischen Mutation, die den Ausbruch von Alzheimer begünstigt. Das ist ein sehr langfristig angelegter Versuch. Es kann bis zu zehn Jahre dauern, bis wir verlässliche Resultate haben.

Enttäuschend ist die Entwicklung der Augenheilsparte Alcon. Die 51 Milliarden Dollar, die Novartis dafür zahlte, machten Alcon zum teuersten Deal einer Schweizer Firma. Heute steht das Unternehmen zum Verkauf.
Wir konzentrieren uns voll auf den Turnaround des Geschäfts­bereiches. Als wir Alcon 2010 übernahmen, war die Firma sehr erfolgreich. Wir liessen sie deshalb an der langen Leine. Bis 2014 funktionierte das sehr gut, aber dann brachen die Innovationen ab. Heute ist klar, dass wir früher und entschlossener hätten intervenieren sollen. Wir sind enttäuscht, dass der Turnaround so lange dauert. Aber ich bin überzeugt, dass das neue Management es schafft. Was die Zukunft des Geschäfts betrifft, lassen wir uns alle Optionen offen.

Wie weit fortgeschritten ist die Kontaktlinse, die Alcon zusammen mit Google entwickelt?
Ich habe eine hier. Wollen Sie sie sehen?

Klar. Wir sollten aber unseren Fotografen rufen.
Sorry, aber das geht nicht. Die Linse ist ein Prototyp (Jimenez holt eine Linse, die er herumreicht. Sie sieht ganz normal aus, hat aber eine Art Sensor im Innern). Das ist der Prototyp einer anpassungsfähigen Kontaktlinse. Sie erlaubt zu fokussieren, wenn man in die Ferne schaut oder nach unten blickt und Zeitung liest. Diese Linsen werden einen grossen Durchbruch bringen. Die Technologie dahinter ist sehr komplex.

Wie teuer wird sie?
Das wissen wir noch nicht. Zusammen mit Google Verily werden wir einen Weg finden, um effizient zu produzieren.

Johnson & Johnson will die Baselbieter Biotech-Firma Acte­lion übernehmen. Ist es denkbar, dass Novartis als weisser Ritter einspringt und ein Gegenangebot macht?
Wir haben immer wieder gesagt, dass wir uns auf ergänzende Akquisitionen im Rahmen von zwei bis fünf Milliarden US-Dollar konzentrieren.

Mit einem Wert von 22 Milliarden fällt Actelion damit ausser Betracht. Lassen Sie uns zum Schluss über Donald Trump reden. Können Sie die Folgen seiner Wahl abschätzen?
Nein, wir beobachten seine Prioritäten im Gesundheitsbereich noch. Er ist ja bisher nicht im Amt.

Wie ist Ihre persönliche Einschätzung?
Nun, in den USA wurde in den letzten Jahren weniger investiert. Wahrscheinlich wegen der hohen Unternehmenssteuern. Wenn diese nun gesenkt werden, was sich andeutet, dann ist das sicher positiv.

Persönlich

Joe Jimenez (57), geboren in Kalifornien, ist seit 2010 Chef von Novartis. Zusammen mit Konzernpräsident Jörg Reinhardt (59) hat er den Pharmakonzern radikal umgebaut. Jimenez war in seiner Jugend ein ambitionierter Schwimmer. Er und seine Frau Denise leben in der Region Basel, die beiden haben eine Tochter und zwei Söhne.

Joe Jimenez (57), geboren in Kalifornien, ist seit 2010 Chef von Novartis. Zusammen mit Konzernpräsident Jörg Reinhardt (59) hat er den Pharmakonzern radikal umgebaut. Jimenez war in seiner Jugend ein ambitionierter Schwimmer. Er und seine Frau Denise leben in der Region Basel, die beiden haben eine Tochter und zwei Söhne.

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