Bequemer Kaschmirpulli, elastische Trainerhosen oder unifarbene T-Shirts: Während der Pandemie erlebte gemütliche Kleidung einen Aufschwung und hielt Einzug auf die Bildschirme von Meetings. Gleichzeitig verlor der elegante Anzug an Gewicht. Noch härter traf es die Accessoires, die zum Anzug gehören.
Im Jahr 2019 importierte die Schweiz laut dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) noch etwas über 60 Tonnen an Krawatten, Fliegen oder Krawattenschals. Der Wert betrug rund 15 Millionen Schweizer Franken. Im darauffolgenden Pandemiejahr 2020 brach die Menge jedoch auf 36 Tonnen ein und sank seither weiter in Menge und Wert. Letztes Jahr verzeichnete das BAZG noch 33 importierte Tonnen mit einem Wert von 8,3 Millionen Schweizer Franken.
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Wer sich aber an Wirtschaftsforen umsieht, Debatten im Fernsehen beobachtet oder die Pressekonferenz zum Untergang der Credit Suisse nachschaut, stellt fest: Die Krawatte scheint noch immer dazuzugehören, gar wieder in Mode zu kommen. Erlebt sie tatsächlich ein Revival und beendet ihr Nischendasein?
Unsichere Zeiten fordern einen seriösen Auftritt
Eine Antwort auf die Frage liefert die These: Je unsicherer die Zeiten, umso formeller der Anzug. Dies bestätigt Ziad El-Achi, selbständiger Herrenschneider mitten in der Altstadt von Zürich: «Je schlechter die Wirtschaft, desto besser muss man auftreten. Man will zeigen: Wir sind erfolgreich.»
Dieser Tage ist viel von Massenentlassungen zu hören, künstliche Intelligenz wirbelt Abläufe durcheinander und die geopolitische Lage fördert die Unsicherheit. Firmen und deren Vorstehende wollen also zeigen, dass bei ihnen alles ordentlich läuft. Im eleganten Anzug versprühen sie Zuversicht, vermitteln Stärke.
«Menschen arbeiten gerne mit erfolgreichen Menschen zusammen», sagt El-Achi und macht ein Gedankenexperiment: Müsste man fünf Leute kündigen, dann sind automatisch diejenigen, die sich stets gut kleiden und sich Mühe geben, sicherer. Denn ein gutes Aussehen und ein gepflegter Auftritt signalisieren dem Unterbewusstsein, dass es diese Leute braucht. «Bereits Oscar Wilde sagte: ‹Nichts geht so tief wie die Oberfläche.›»
Schicker Anzug für das gute Gefühl
Auch Konrad von Niederhäusern kennt den Aspekt mit der Unsicherheit: «Wenn die Wirtschaft hustet, dann überlegt man sich schon, ob man weiterhin ein T-Shirt anzieht oder nun doch ein schickes Hemd», sagt der Verkaufschef von PKZ. Seit dreissig Jahren bewegt er sich im Modebusiness, dabei hat er schon einige Schwankungen bei der Krawattennachfrage miterlebt.
Den jüngsten Aufschwung sieht er weniger wirtschaftsgetrieben, sondern ausgelöst durch den Nachholbedarf nach der Pandemie: «Wir haben im vergangenen Jahr 11 Prozent mehr Krawatten verkauft als 2022. Es ist ein Trend von Casual zu mehr Business-Look festzustellen», so der Verkaufschef.
Während Corona explodierte die Nachfrage nach sogenannter Lounge-Wear, gemütlicher Kleidung für zu Hause. Jetzt aber haben die Leute ein Nachholbedürfnis nach eleganter Kleidung, sie wollen aus dem Gammel-Look raus. «Die Lust auf den Blazer, den Hosenanzug oder das schicke Kleid ist zurück.»
Die Mode heute weise einen Dreh ins Klassische auf – sie sei nicht mehr ganz so ausgefallen wie zuvor, aber sie vermittle eine positive Haltung: «Dahinter steckt das Gefühl: Ich will schick sein.»
Die Krawatte profitiert aber nicht unmittelbar davon, denn der Anzug soll schick sein, aber auch bequem. Eine Krawatte kann, muss aber nicht. Oder wie El-Achi es ausdrückt: «Die Krawatte ist eine Laune geworden; von der Pflicht zum Genuss.»
Die Italiener machens vor
Nicht so in Italien: Models mit Krawatte schreiten über die Laufstege, und der Italiener spaziert mit Schlips durch die sonnigen Gassen Mailands. Ein Indiz, dass also bald der Genuss vorbei und die Krawatte wieder zum Alltag wird? «Der Italiener ist stärker mit der Mode- und der Textilwelt verbunden», sagt Oliver Weisbrod.
Der Co-Geschäftsführer in sechster Generation der Weisbrod-Zürrer beobachtet den Markt seit langem: «Was in Italien passiert, ist zeitlich zu uns versetzt. Der italienische Mann geht schnell mit der Mode, der Schweizer folgt langsamer.» Entsprechend haben bei ihm die Verkäufe von Krawatten erst sehr bescheiden angezogen – «vor allem für die ganz offiziellen Anlässe wie Hochzeiten oder Konfirmationen».
Mehr zu Krawattenpflicht und Kleidervorschriften
Gerade hier sei der Nachholeffekt nach Corona am stärksten. «Bei vielen kam erst das Kind und dann die Hochzeit», sagt PKZ-Verkaufschef von Niederhäusern mit einem Schmunzeln. Nicht gefeierte Feste werden also gebührend nachgeholt. Davon profitiert die Krawatte – und auch die Fliege, die im Office kaum anzutreffen ist. «Fliegen finden sich im Business-Bereich sehr wenige», so von Niederhäusern.
Nicht auffallen und seriös wirken
Lässt sich also festhalten: Die Krawatte erlebt zwar in gewissen Kreisen ein Revival – aber nicht in der Wirtschaftswelt. Dort gilt sie als Zeichen der Seriosität, während ansonsten der festliche oder modische Aspekt im Vordergrund steht.
Ganz anders ist das in Frankreich: Dort trägt praktisch jeder Businessmann und jeder Politiker eine Krawatte. Ihr Motto lautet «Ton in Ton», alles hat die gleiche Farbe, wie Präsident Macrons Auftritte zeigen. Konrad von Niederhäuserns Analyse: «Das Outfit muss die Persönlichkeit unterstützen, aber nicht dominieren. Die französische Denkweise ist: Ich als Inhalt muss noch besser sein als mein Outfit.»
Der Politiker lenkt damit von seiner Persönlichkeit ab – im Gegensatz zum Schweizer, der mit seinem Anzug seine Persönlichkeit zu unterstreichen versucht. Dabei gibt es jedoch einen wichtigen Punkt, den Christian von Rechenberg, General Manager des Baur au Lac, täglich im Alltag sieht: «Ja, Kleider machen Leute. Doch die Authentizität beim Tragen einer Krawatte zeigt sich schnell.»
Im Zweifelsfall heisst das also: Finger weg von der Krawatte – denn wer sich sichtlich unwohl fühlt, legt auch keinen überzeugenden Auftritt hin.