Der Mittwoch war für Deutschland ein traumatischer Tag. Ausgerechnet am Tag der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten zerbrach auch die Regierung. Trump hat die deutsche Regierung immer wieder deutlich kritisiert – etwa wegen des zu geringen finanziellen Einsatzes für die europäische Verteidigung und wegen hoher und steigender Aussenhandelsüberschüsse der Deutschen im Aussenhandel mit den USA.
Dass die USA mehr aus Deutschland importieren, als die Deutschen aus den USA einkaufen, sieht der nächste US-Präsident als Verlust für sein Land. Dagegen wird Trump unter anderem mit höheren Zöllen von bis zu 20 Prozent vorgehen. Angekündigt hat er überdies auch, keine Sicherheitsgarantien mehr für Deutschland und Europa abzugeben, wenn die Deutschen ihren Anteil an den Verteidigungsausgaben nicht deutlich erhöhen.
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Die deutsche Regierung ist letztlich aber gerade an Budgetfragen gescheitert, insbesondere daran, dass der liberale Finanzminister Christian Lindner nicht bereit war, für Mehrausgaben die Schuldenbremse auszuhebeln, die wie in der Schweiz auch in Deutschland in der Verfassung verankert ist. Im Krisenmodus befand sich die Regierungskoalition zwischen den Grünen, den Sozialdemokraten und der FDP aber schon länger.
Zwei Jahre ohne Wachstum
Neben der politischen Krise befindet sich Deutschland auch in einer wirtschaftlichen Misere, wobei das eine das andere mitverursacht hat. Seit der Aufholprozess nach dem Corona-Schock vorbei ist, herrscht in der deutschen Wirtschaft Flaute. Schon im Jahr 2023 ist die deutsche Wirtschaft leicht geschrumpft, im laufenden Jahr wird dem Land ein weiteres Jahr Negativwachstum prognostiziert. Real, also zu konstanten Preisen, ist die Wirtschaftsleistung auf dem Niveau von Ende 2019.
Das ist nicht einfach nur das Abbild der globalen Konjunkturlage, sondern ein spezifisch deutsches Phänomen. Alle anderen grossen EU-Länder, die USA und auch die Schweiz haben das Vor-Corona-Niveau schon längst hinter sich gelassen.
Das wird auch beim Vergleich der Wirtschaftsprognosen und -schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) offensichtlich: Deutschland ist mit einem erwarteten Nullwachstum 2024 das Schlusslicht, sowohl unter den G7 als auch in der Euro-Zone. Und das schon das zweite Jahr in Folge:
Eine schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Die Prognosen von IWF, Euro-Kommission und der Bundesregierung gehen von einer leichten Erholung und einem Wachstum zwischen 0,7 und 1 Prozent im nächsten Jahr aus. Aber diese stammen vom Frühling oder Herbst, als die Ampel noch intakt war.
Vor allem im verarbeitenden Gewerbe ist die Stimmung bei den Unternehmen auf einem Tiefpunkt. Eine deutliche Mehrheit schätzt die Geschäftslage Monat für Monat schlechter ein. Der Einkaufsmanagerindex verharrt seit längerem weit unter der Grenze von 50, ab welcher Wachstum signalisiert wird. Die Schwäche Deutschlands zieht auch die Schweizer Industrie nach unten. Zuletzt hat sich hierzulande der PMI immerhin auf ein neutrales Level verbessert.
Deutschland leidet unter China
Das Tief in Deutschland geht zum einen auf eine gedämpfte Nachfrage nach Gütern und Industrieerzeugnissen seit dem Post-Corona-Boom zurück. Die besondere Dramatik der Lage hat aber auch mit dem deutschen Wirtschaftsmodell zu tun, das vor allem auf Exportüberschüsse ausgerichtet ist. Dass die Gemeinschaftswährung Euro wegen den Strukturproblemen des alten Kontinents tendenziell zu Schwäche neigte, kam den Deutschen lange zugute, er verbilligte ihre Produkte auf den Weltmärkten. Eine eigene Währung wie einst die Deutsche Mark hätte sich durch die Überschüsse verteuert und diesen entgegengewirkt.
Die Ausrichtung an Exportüberschüssen hat zur Folge, dass das Land zum einen mehr als andere Länder unter den Problemen Chinas, dem wichtigsten Handelspartner Deutschlands, leidet. Dass Trump die Überschüsse der Deutschen im Handel mit den USA wie erwähnt als Verlust für sein Land sieht und sie vor allem mit Zöllen bekämpfen will, verschlechtert sowohl die ökonomische als auch politische Ausgangslage Deutschlands weiter.
Besonders deutlich zeigen sich die Probleme in der grössten Branche Deutschlands, der Autoindustrie. Sie ist besonders stark auf Exporte angewiesen, sie steht unter besonders scharfer Konkurrenz und sie leidet wegen beidem aktuell besonders deutlich, wie Gewinnwarnungen und einbrechende Umsatzzahlen praktisch aller grossen Autokonzerne veranschaulichen.
Verschlimmert wird die Lage für Deutschland zudem durch deutlich gestiegene Kosten. Vor allem die hohen Energiepreise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine machen den energieintensiven Branchen zu schaffen. Und mit der durch interne Konflikte gelähmten Regierung gibt es für die Unternehmen keine Planungssicherheit mehr, mit dem Ergebnis, dass Investitionen vertagt werden. Nicht zu vergessen ist auch der Effekt der steigenden Zinsen – vor allem im Baugewerbe.
Entscheidende Entwicklungen verschlafen
Doch das sind noch nicht alle Gründe für Deutschlands enttäuschende Entwicklung. Auf der einen Seite herrscht seit Jahren ein Fachkräftemangel, der sich durch die Pensionierung der Babyboomer noch verschärft. Und Deutschland hat ein Produktivitätsproblem: Bis zum Jahr 2017 ist die Produktivität pro Erwerbstätigem in Deutschland zwar noch gestiegen. Seitdem aber stagniert sie. Das Land schafft es nicht, neue Technologien effizient einzusetzen und den Output pro Arbeitsstunde zu steigern. So hinkt Deutschland auch in der Digitalisierung deutlich hinterher.
Ökonomische und politische Folgen für die Schweiz
Die Schweiz ist von der Multimisere in Deutschland mehrfach betroffen. Wirtschaftlich bleibt der nördliche Nachbar weiterhin dominant, auch wenn bei den Exporten die USA Deutschland beim Exportanteil der Schweiz überholt haben. Die Bedeutung Deutschlands für die Schweiz wird mit diesen Handelszahlen nur ungenügend erfasst, denn sie messen nicht die viel weitergehenden engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen – besonders zwischen Deutschland und der Schweiz –, was ganz besonders für die süddeutschen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern zutrifft.
So bestehen enge Wertschöpfungsketten zwischen Unternehmen beider Länder. Ein Beispiel dafür sind Hunderte von Schweizer Unternehmen, die als Zulieferer für die deutsche Autoindustrie produzieren. Die wohl bekanntesten Beispiele sind die Ems-Chemie und Autoneum. Dazu kommt, dass Deutsche nach den Italienern den zweitgrössten Anteil an Ausländern in der Schweiz stellen, dass viele Schweizerinnen und Schweizer und Deutsche im jeweils anderen Land arbeiten und für Konsumentinnen und Konsumenten die Grenze zwischen den beiden Ländern nur noch eine geringe Rolle spielt.
Die engen Verbindungen zwischen der Schweiz und Deutschland begründen auch das bekannte Sprichwort, gemäss dem, wenn Deutschland niest, die Schweiz einen Schnupfen bekommt. Ein Wirtschaftseinbruch in Deutschland hat immer wieder auch zu Problemen für die Schweizer Wirtschaft oder für einzelne ihrer Sektoren – wie aktuell die Autozulieferer – geführt.
Nicht zuletzt wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung war bisher die Politik in Deutschland gegenüber Anliegen der Schweiz auch aus Eigeninteresse offener als jene anderer EU-Länder. Dass ausgerechnet in der Endphase der Verhandlungen um ein neues Rahmenabkommen mit der EU die deutsche Regierung faktisch ausfällt, ist deshalb aus Schweizer Sicht besonders ungünstig.