Bewölkter Himmel, etwas Regen, nicht zu heiss: Die Bedingungen für das Wachstum der Kartoffel könnten aktuell kaum besser sein. Das sagt Ruedi Fischer (52), der oberste Kartoffelbauer im Land. Der Berner spricht von «gewaltigen und genialen» Bedingungen. Von «wachsigem» Wetter. Wenn der Sommer nicht allzu trocken und heiss wird, könnte 2020 ein richtig gutes Kartoffeljahr werden.
Das Problem: Die Bestände aus der Ernte des letzten Jahres sind noch lange nicht aufgebraucht. Das gilt insbesondere für die Kartoffeln, die bereits zu Pommes frites verarbeitet wurden. Sie stapeln sich bei minus 25 Grad in diversen Tiefkühllagern. Die Schweiz sitzt auf mehreren 1000 Tonnen Pommes frites. Oder mit anderen Worten: Es herrscht Pommes-Stau!
Hintergrund ist das Konsumverhalten während des Lockdowns. Zwei Monate verharrte die Bevölkerung in den eigenen vier Wänden. Pommes frites werden aber vor allem auswärts gegessen werden. Auf der Skipiste. Beim Wandern am Berg. In der Burger-Bude. Auf dem Fussballplatz. Am Turnfest.
Rüebli statt Pommes
Zu Hause landen Fritten nur selten auf dem Teller. «Leider», sagt Fischer. Der Ruf ist schuld. Ungesund soll das Produkt sein. Eine Fettbombe, kein Fitfood. Beim Besuch in der Beiz gönnt man sich die Sünde, aber zu Hause solls lieber ein Rüebli-Stäbli sein. Zudem sind Fritteusen ausser Mode gekommen – das Öl wird schnell ranzig.
Deshalb sind die Lager immer noch voll. Deshalb hat der Pommes-Hersteller Kadi angekündigt, dass er bis zu 25 Prozent weniger Kartoffeln von der kommenden Ernte beziehen wird, sofern sich nichts Wesentliches an der Situation ändert. Denn tiefgefrorene Pommes halten locker «12 bis 24 Monate», sagt Fischer.
Und was passiert mit den Knollen, die allenfalls keinen Abnehmer finden im Herbst? Sie könnten vermehrt zu Kuhfutter verarbeitet werden. «Das macht man heute schon so. Die Kühe mögen das sehr und geben mehr Milch», sagt Fischer. Alternativ könnten die Kartoffeln auch zur Produktion von Bio-Strom genutzt werden.
Inspiration aus Belgien
Am liebsten aber wäre es Fischer, wenn der Konsum der Schweizer wieder anzieht. Wenn wieder mehr Pommes geschlemmt werden. Mehr Rösti. Mehr Gschwellti. Mehr Gnocchi und mehr Gratin. Er – und die von ihm präsidierte Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten – liebäugelt deshalb mit einer Kampagne, die zum Essen anregen soll. Das berichten auch die Zeitungen von CH Media.
Belgien ist Vorbild. Es ist das Mutterland der Fritten. Moules-frites ist das Nationalgericht. Die Bauern im Staat produzieren das ganze Jahr über und gehören zu den grössten Fritten-Herstellern der Welt. Der Lockdown hat die Kartoffelindustrie des Landes aber in die Krise geschickt. Sie sitzt auf einem Berg von Kartoffeln. Und damit nicht 750'000 Tonnen der wertvollen Knollen entsorgt werden müssen, ist die belgische Bevölkerung aufgerufen, zwei Mal pro Woche Pommes frites zu essen.
«Schweizer, esst Rösti» oder «Schweizer, esst Pommes»: Ist das auch die Lösung für die hiesige Industrie? Fischer macht sich Gedanken darüber.