Raiffeisen verabschiedet sich von der Ära Vincenz. Zuerst rollten die Köpfe: Die gesamte Bankleitung und fast der gesamte Verwaltungsrat wurden ausgetauscht. Jetzt revidiert die drittgrösste Bankengruppe der Schweiz auch ihre Struktur. An der ausserordentlichen Delegiertenversammlung in Zürich-Oerlikon haben die Genossenschafter gestern eine neue Gruppen-Governance und eine neue Eignerstrategie abgesegnet.
Das Prinzip «Eine Bank, eine Stimme» gibt künftig jeder Raiffeisenbank, unabhängig von ihrer Grösse, eine Stimme in der neuen Generalversammlung. Diese ersetzt die bisherige Delegiertenversammlung, an der nur ein Teil der 229 Banken vertreten war.
Zwischen den Organen von Raiffeisen Schweiz und neuen Gremien der Raiffeisenbanken wird es einen institutionalisierten Meinungsaustausch geben. Der neue Raiffeisenbank-Rat soll dem Verwaltungsrat auf die Finger schauen, der nach der Wahl von Anne Bobillier (52) neu aus zehn Mitgliedern besteht. Die Vergütungen von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung werden der Generalversammlung künftig konsultativ zur Abstimmung vorgelegt.
Ex-Chef Pierin Vincenz (63) hatte St. Gallen zu einer mächtigen Zentrale ausgebaut, die den anderen Raiffeisenbanken häufig ihren Willen diktierte. Jetzt holen sich die Raiffeisenbanken die Kontrolle zurück. Ist die Ära Vincenz damit abgeschlossen? Im Gespräch mit SonntagsBlick nimmt Verwaltungsratspräsident Guy Lachappelle (57) Stellung.
Herr Lachappelle, Sie wirken erleichtert.
Guy Lachappelle: Es ist ein Freudentag. Am meisten freut mich die sehr hohe Zustimmungsrate. Sie lag in allen Abstimmungen bei über 90 Prozent. Das zeigt: Die Vertrauenskrise, die wir letztes Jahr um diese Zeit hatten, ist beendet.
Hat Raiffeisen jetzt mit der Ära Vincenz abgeschlossen?
Das ist schon längere Zeit der Fall. Wir haben im vergangenen Jahr versucht, ein neues Miteinander zu leben. Entscheidend dabei war, dass es kein Oben und Unten gab. Das dürfte auch der Grund für die hohe Zustimmungsrate sein, die wir heute erlebt haben.
Sie wechselten von der Basler Kantonalbank zu Raiffeisen, CEO Heinz Huber von der Thurgauer Kantonalbank. Sind Sie angekommen?
Selbstverständlich! Unsere Ankunft bei Raiffeisen war ein Prozess. Raiffeisen ist eine Genossenschaft, die ein Bankgeschäft führt. Das ist etwas Besonderes. Das muss man erlebt haben.
Die Finanzmarktaufsicht hat allerdings vorgeschlagen, dass Raiffeisen eine Aktiengesellschaft wird.
Das ist vom Tisch. Denn mit unseren 229 autonomen Banken haben wir eine enorm hohe Stabilität. Und über den Haftungsverbund stehen wir zueinander. Diese Stärke wollen wir nicht aufgeben.
Was bringt es den Kunden, dass Raiffeisen eine Genossenschaft bleibt?
Sie sind eben nicht nur Kunden, sondern auch an ihrer Bank beteiligt. Bei einer AG haben sie gemäss ihrem Anteil mehr oder weniger Einfluss. Wir hingegen haben ein sehr soziales Modell. Ob unsere Mitglieder eine grosse oder eine kleine Kundenbeziehung haben, spielt bei uns keine Rolle. Sie haben immer das gleiche Stimmrecht.
Sie haben die Strukturreform erfolgreich aufgegleist. Es gibt aber noch eine zweite Grossbaustelle: Das Hypothekengeschäft ist mit einem Anteil von rund 75 Prozent die wichtigste Einnahmequelle der Bank. Aber die Zinsen sind im Keller. Fahren Sie den Wachstumskurs im Hypothekengeschäft weiter?
Grundsätzlich wollen wir weiter wachsen. Aber wir haben auf die Marktsituation im Immobilienbereich reagiert und den Wachstumskurs bereits ein wenig zurückgenommen. Wir versuchen, innerhalb des bestehenden Geschäftsmodells mehr Diversifikation zu erreichen, uns stärker im Wertschriftengeschäft zu engagieren. Wir wollen aber auch neue Geschäftsmodelle erschliessen und künftig nicht nur ein reiner Hypothekenfinanzierer sein. Wir wollen auch das Wohnen ermöglichen. Mit einer Basis von 3,5 Millionen Kunden sitzen wir da auf einem riesigen Schatz.
Werden Sie Negativzinsen an die Kunden weitergeben?
Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich sehe zurzeit keine Notwendigkeit, das zu tun.