Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (61) in U-Haft. VR-Präsident Johannes Rüegg-Stürm (57) abgesägt. Dessen Nachfolger Pascal Gantenbein (47) um Schadensbegrenzung bemüht. Und ein angezählter Raiffeisen-CEO. Niemand weiss, ob Patrik Gisel (55) die Äffäre Vincenz übersteht.
Im Land läuft der grösste Wirtschaftskrimi seit Jahren. Doch der interessiert die Raiffeisen-Genossenschafter an der Basis so wenig wie die Wiederholung des «Tatorts» vom letzten Sonntag.
Goldach SG, Wartegghalle, am Freitagabend: Die Jungs der Gruppe Fäaschtbänkler heizen ein. Die Dreifachturnhalle füllt sich zusehends mit Anteilseignern der Raiffeisenbank Goldach. Am Eingang begrüsst sie der Verwaltungsratspräsident persönlich.
Die eine oder der andere im mehrheitlich gesetzten Alter war kurz zuvor noch beim Coiffeur. Abendgarderobe so wie immer: in Jeans und kariertem Hemd der Herr, mit adretter Bluse die Dame. Anzug und Lackschuhe tragen nur die Raiffeisenbanker.
Live-Übertragung in weitere Mehrzweckhallen
Gleiches Bild in der Mehrzweckhalle von Tübach SG und in der Spielbüelhalle von Untereggen SG, in welche die Generalversammlung live übertragen wird. Über 1200 Genossenschafter kommen an diesem Abend zusammen, der erst nach Mitternacht sein Ende finden sollte.
Es gibt Saft vom Fass des lokalen Getränkeherstellers Möhl, roten und weissen Wein à discrétion von Volg. Man ist unter Seinesgleichen. Wen BLICK auch anspricht, kaum einer will sich dezidiert zur Vincenz-Affäre und dem ramponierten Image der drittgrössten Schweizer Bank äussern. Weder mit richtigem Namen noch im Bild. «Was denkt denn dann mein Nachbar?»
Viele der anwesenden Genossenschafter scheinen gar nicht wissen zu wollen, was in der Chefetage von Raiffeisen Schweiz schieflief. Kritik? Fehlanzeige. Walter Müller* zu BLICK: «Mich würde es nicht wundern, wenn man Herrn Vincenz nichts nachweisen könnte und er freikäme.» Dann werde es für den Staat aber richtig teuer. Für seinen Sitznachbarn hat «die ganze Sache sowieso zu wenig Fleisch am Knochen».
«Ich bin gespannt aufs gute Essen»
Dann spricht man wieder über Bekannte im Saal, deren Mallorca-Bräune oder die paar Pfunde mehr auf den Rippen. Punkt 19 Uhr beginnt die Generalversammlung (GV). «Mir ist gleich, was die da oben auf der Bühne sagen», flüstert einer. Weiter hinten: «Ich bin gespannt, was es Gutes zu essen gibt.»
Auf der Bühne lassen sich Beat Ulrich, Präsident des Verwaltungsrats, und Ernst Locher, Bankdirektor, feiern wie Lokalhelden. Persönlich begrüsst Ulrich den Journalisten des «St. Galler Tagblatts». Er sei sicher, dieser werde eine positive Berichterstattung mit einem tollen Bild von der GV machen. Will heissen: Pass auf, schreib jetzt bloss nichts Falsches!
«Das hätte nicht passieren dürfen»
Zu Recht stolz macht VR-Präsident Ulrich das Rekordergebnis, das die Raiffeisen Goldach mit ihren 5858 Mitgliedern im Jahr 2017 erzielt hat. «Umso mehr machen uns und die anderen 255 Genossenschaftsbanken die Entwicklungen der letzten Monate insbesondere um die Person Pierin Vincenz betroffen», sagt Ulrich. «Das hätte nicht passieren dürfen. Der Schaden ist für das Image sehr beträchtlich.» Von allen brauche es jetzt täglich viel Arbeit, «um das wieder aufzufangen».
Als wolle er unterstreichen, dass die Raiffeisen Goldach trotz Rekordergebnis nicht abhebt wie andere oben in der Chefetage des Genossenschaftsdaches, der Raiffeisen Schweiz, schiebt er nach: «Gerade jetzt, wo wir das Rekordergebnis ausweisen dürfen, ist es uns doppelt wichtig, dass wir nicht euphorisch und unvorsichtig werden.» Für ihn gehöre eine «gesunde Demut» zu einem Finanzunternehmen.
Nicht nur das Essen, auch die Dividende schmeckt
«Ich danke Ihnen, dass Sie offensichtlich zwischen den Vorfällen bei Raiffeisen Schweiz und den Lokalbanken unterscheiden können.» Ulrich versichert: «Wir sind in unserer Bank jetzt sicherlich noch mehr sensibilisiert und setzen alles daran, dass die Kontrollmechanismen funktionieren.»
Das Vertrauen hat er auf sicher. Wortmeldungen aus dem Publikum gibt es den ganzen Abend nicht. Dafür Applaus von den Genossenschaftern. Nicht nur für die Verzinsung ihrer Anteilscheine zu sechs Prozent, sondern auch für das angekündigte Festessen: Alpsteinbraten im Speckmantel an einer Biersauce mit Teigwaren und Rüebli. Das macht den Wirtschaftskrimi draussen im Land dann auch vollends vergessen.
* Name von der Redaktion geändert
Dass der Ex-Raiffeisen-Boss vor Ostern den Knast verlassen könne, war eine Ente. Pierin Vincenz (61) sitzt weiter in U-Haft, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft in Zürich gegenüber BLICK bestätigt. Bei der zweiten Person, die im Gefängnis bleibt, handelt es sich um Vincenz' Weggefährten und Ex-Aduno-CEO Beat Stocker (58). Für beide gilt die Unschuldsvermutung. Vor allem Vincenz ist an den Generalversammlungen (GV) lokaler Raiffeisenbanken, die derzeit stattfinden, regelmässig ein Thema: neben Goldach SG letzten Freitag auch an der GV der Region Haslital-Brienz. Auch dort beruhigt der Chef die Anteilseigner: «Das Kundengeschäft der Raiffeisenbanken ist nicht betroffen von den Turbulenzen um Pierin Vincenz.» Die U-Haft für die beiden ist für maximal drei Monate verfügt. Heute sitzen Vincenz und Stocker seit 40 Tagen ein.
Dass der Ex-Raiffeisen-Boss vor Ostern den Knast verlassen könne, war eine Ente. Pierin Vincenz (61) sitzt weiter in U-Haft, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft in Zürich gegenüber BLICK bestätigt. Bei der zweiten Person, die im Gefängnis bleibt, handelt es sich um Vincenz' Weggefährten und Ex-Aduno-CEO Beat Stocker (58). Für beide gilt die Unschuldsvermutung. Vor allem Vincenz ist an den Generalversammlungen (GV) lokaler Raiffeisenbanken, die derzeit stattfinden, regelmässig ein Thema: neben Goldach SG letzten Freitag auch an der GV der Region Haslital-Brienz. Auch dort beruhigt der Chef die Anteilseigner: «Das Kundengeschäft der Raiffeisenbanken ist nicht betroffen von den Turbulenzen um Pierin Vincenz.» Die U-Haft für die beiden ist für maximal drei Monate verfügt. Heute sitzen Vincenz und Stocker seit 40 Tagen ein.