Raiffeisen-CEO Patrik Gisel
Er verschenkt jedes Jahr 150 Mio Franken

Raiffeisen-CEO Patrik Gisel verteilt die Gewinne seiner Bank anders als die anderen. Und er will, dass mehr Leute Hausbesitzer werden.
Publiziert: 25.12.2016 um 13:49 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:35 Uhr
Patrik Gisel (54) aus Arbon TG ist seit Februar 2016 Chef von Raiffeisen Schweiz – und Besitzer einer Privatpilotenlizenz. In seiner Freizeit trainiert der promovierte Ökonom für Triathlons. Er lebt am Zürichsee und hat zwei erwachsene Söhne.
Foto: Joseph Khakshouri
Guido Schätti und Christian Maurer

Sie beklagen, der Mittelstand könne sich heute kein Wohneigentum mehr leisten. In welchem Alter wurden Sie Hausbesitzer?
Das war 1993, da war ich 31.

Dann gehörten Sie also nicht zum Mittelstand. Oder war es damals einfacher, eine Hypothek zu kriegen?
Nein, einfacher war es nicht. Die Hypo-Zinsen waren damals sogar substanziell höher. Aber die Banken rechneten noch nicht mit einem kalkulatorischen  Hypo-Zinssatz von 5 Prozent, um die Tragbarkeit zu bestimmen.

Sie wollen diese Regel über Bord werfen und mit einem tieferen Satz rechnen.
Stimmt. Im Gegenzug erhöhen wir aber die Amortisation. Die Leute erhalten also mit einem tieferen Einkommen einen Kredit, zahlen diesen aber schneller zurück. Damit ist die Tragbarkeit wieder gesichert.

Haben Sie Ihr Modell schon der Finanzmarktaufsicht vorgelegt?
Die Finma hat signalisiert, noch ein paar offene Punkte mit uns klären zu wollen. Wir werden unsere veränderten Tragbarkeitsberechnungen aber dennoch im ersten Quartal 2017 den Raiffeisenbanken zur Verfügung stellen.

Die UBS nennt ihr Modell ein Spiel mit dem Feuer, weil es die Immobilienpreise weiter nach oben treibe.
Diese Gefahr sehe ich nicht. Es werden nicht plötzlich massenhaft Leute Wohneigentum kaufen wollen. Das Volumen wird klein sein. Deshalb wird der Preiseffekt bescheiden sein. Den Volumeneffekt muss man aber sicherlich im Auge behalten.

Von Ihrem Modell sollen junge Familien profitieren. Was machen Sie für die ältere Generation?
Auch für Sie wird eine passende Tragbarkeitsberechnung angewendet werden. Das Problem für die ältere Generation ist, dass sich der Zeithorizont verkürzt. Das lässt sich entschärfen, wenn man den kalkulatorischen Zins senkt und die Amortisation erhöht.

Sie haben keine Angst, damit auf die Nase zu fallen?
Nein. Unsere Wertberichtigungen und Verluste in diesem Bereich sind die tiefsten in der ganzen Schweiz.

Aber die Zinsen könnten schon bald steigen. Die US-Zentralbank hat den Leitzins erneut erhöht und plant weitere Schritte.
Europa und die USA haben sich wirtschaftlich entkoppelt. In Europa bleiben die Zinsen auf absehbare Zeit tief. In der Schweiz werden wir noch lange Negativzinsen haben. Das Risiko einer Aufwertung des Schweizer Frankens wäre zu gross. Der Franken ist und bleibt eine Fluchtwährung.

Wann gibt Raiffeisen die Negativzinsen den Kunden weiter?
Das schliesse ich zum jetzigen Zeitpunkt aus. Unser Kunde versteht nicht, dass er dafür bezahlen soll, wenn er uns sein Geld anvertraut. Ich verstehe das ja selber nicht.

Gilt das auch für Grosskunden? Die Postfinance erhebt ab einer Million Franken Negativzinsen.
Negativzinsen bei Privatkunden sind kein Thema bei uns. Wir empfehlen unseren Banken einzig, bei Firmenkunden mit mehr als 5 Millionen Guthaben auf Transaktionskonti Negativzinsen zu erheben.

Wie viel liefern Sie der SNB ab?
Der Betrag ist nicht gross. Wir liegen nur leicht über dem Freibetrag.

Wie sieht es bei Ihrer Privatbanken-Tochter Notenstein aus?
Dort ist es mehr.

Sie haben dort grössere Probleme als die Negativzinsen.
Ich würde eher von Herausforderungen sprechen.

Wie viel Zeit geben Sie Notenstein, um auf Kurs zu kommen?
Unser Ziel ist, dass Notenstein in drei bis vier Jahren rund 10 Prozent des Ertrages der Gruppe erwirtschaften wird. Das sind 60 bis 80 Millionen.

Sie haben es einfach: Sie können wohlhabende Raiffeisen-Kunden zu Notenstein transferieren.
Es wird nie eine Verpflichtung für Raiffeisen-Kunden geben, ab einer gewissen Vermögenshöhe zu wechseln. Wir gehen die Kunden nicht aktiv an. Sie sollen selber entscheiden.

Wollen Sie auch über Zukäufe wachsen?
Auf jeden Fall. Mit 21 Milliarden Franken an verwalteten Vermögen liegt Notenstein unter der kritischen Grösse. Andere Privatbanken haben dasselbe Problem. Das kann uns im Wettbewerb in diesem gesättigten Marktsegment helfen.

Probleme haben Sie auch bei der Beteiligung Leonteq. Sie stürzte diese Woche an der Börse um einen Drittel ab. Raiffeisen verlor Millionen. Was ist los?
Der Gewinneinbruch von Leonteq in einem für alle Marktteilnehmer schwierigen Umfeld, wie auch die Aktienkursentwicklung, sind zwar unerfreulich. Sie ändern aber nichts an unserer positiven Beurteilung des Geschäftsmodells und des neu zusammengesetzten Management-Teams.

Und Raiffeisen trimmen Sie fit, indem Sie rund 200 Geschäftsstellen schliessen?
Die Frequenzen nehmen ab, bei allen Banken. Deshalb muss man den Vertrieb überprüfen. Vor zehn Jahren hatten wir 1300 Geschäftsstellen, heute sind es 960, künftig dürften es rund 800 sein. Der Entscheid, ob eine Geschäftsstelle bleibt oder geschlossen wird, liegt aber immer bei der Raiffeisenbank vor Ort. Raiffeisen Schweiz liefert nur die Grundlagen.

Denen können sich die lokalen Genossenschaften schwerlich widersetzen.
Doch, es gibt immer wieder Banken, die eine Geschäftsstelle aufrecht erhalten, obwohl dies streng betriebswirtschaftlich gesehen nicht rentiert.

Raiffeisen ist in den Dörfern und Kleinstädten präsent. Haben die KMU den Frankenschock überwunden?
Die Schweizer Wirtschaft hat den Schock einmal mehr sehr gut absorbiert. Der Preis ist aber, dass gewisse Funktionen und Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Dieser Prozess wird auch nächstes Jahr weitergehen.

Der starke Franken schadet also der Wirtschaft.
Nicht nur. Die Aufwertung ist eine extreme Fitnesskur für die Firmen. Sie haben viele Anpassungen gemacht, welche die ausländische Konkurrenz noch vor sich hat. Das ist langfristig ein Vorteil. Die Wettbewerbsfähigkeit hat sich massiv verbessert.

Das Parlament unterstützt die Bankgeheimnis-Initiative. Was halten Sie davon?
Wir unterstützen die Initiative nicht. Der Persönlichkeitsschutz in der Verfassung genügt. Wir befürchten, dass wir umfangreiche administrative und teure Massnahmen treffen müssen, um die Steuerkonformität beim Kunden abzuklären. Das sollte mit Erlaub nicht die Aufgabe der Bank sein.

Braucht es eine Steueramnestie?
Nein. Die Leute sind ehrlich. Die Angestellten haben ohnehin keine Möglichkeit Steuern zu hinterziehen. Aber das ist mein subjektiver Eindruck.

UBS-Chef Sergio Ermotti fordert die Banken auf die ganze Abwicklung in einer Transaktionsbank zusammenzulegen. Was halten Sie davon?
Über solche Kooperationen redet man seit 20 Jahren. Wir sind die einzigen, die gehandelt haben. Vor zehn Jahren haben wird die Wertschriftenverarbeitung mit der Bank Vontobel zusammengelegt. Nächstes Jahr bringen wir sie auf unsere eigene Plattform Arizon. Wenn hier weitere Banken mitmachen, sind wir offen.

Das sagen alle: Jeder lädt die anderen ein, auf die eigene Plattform zu kommen, keiner will bei der Konkurrenz mitmachen.
Wir haben in den letzten fünf Jahren 400 bis 500 Millionen Franken investiert in unsere IT-Plattform. Das ist ein enormer Betrag, den ich nicht einfach abschreiben kann.

Andere haben dasselbe Problem.
Das ist einer der Gründe, warum Kooperationen in der Praxis schwierig zu realisieren sind. Eine Transaktionsbank ist deshalb ein Langfristplan. Aber die Idee ist gut.

Viele Kunden und Genossenschafter sind nur bei Ihnen, weils den Museumspass gratis und viele andere Vergünstigungen gibt. Wie viel kostet Sie das?
Rund 150 Millionen Franken im Jahr. Weil wir als Genossenschaft keine Gewinne an unsere Besitzer, die Genossenschafter, ausschütten dürfen, beteiligen wir sie mit Naturalien am Gewinn.

Können Sie einen Genossenschaftskandidaten ablehnen, wenn er nur auf die Geschenke aus ist?
Theoretisch ja, praktisch tun wir's nicht. Es gibt natürlich Kunden, die nur die Mitgliedervorteile wollen, uns aber sonst kein Geschäft bringen. Aber das ist die klare Minderheit.

Wie schliesst Raiffeisen das Jahr 2016 ab?
Jetzt muss ich aufpassen, dass es nicht zu kitschig wird. Aber wir hatten erneut ein sehr gutes Jahr. Wir sind schneller als der Markt gewachsen, haben kaum Verluste, ein Top-Resultat. Die Raiffeisenbanken sind enorm stark im Vertrieb. Ich kann gar nicht anders als begeistert zu sein.

Dann können Sie beruhigt in die Ferien. Was machen Sie?
Anfang Woche gehe ich nochmals ins Büro. Dann fahre ich für ein paar Tage in die Berge.

Haben Sie noch Zeit für Sport?
Ja, diese Zeit nehme ich mir. Ich kann nirgends so gut verarbeiten wie beim Sport. Nach dem Rennen habe ich Klarheit im Kopf. Ich laufe nie mit Musik, immer allein. Das Training kriege ich hin, die nötige Erholung aber nicht.

Wie viel schlafen Sie?
Ich komme auf fünf bis fünfeinhalb Stunden im Schnitt.

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