Rätsel um verschwundene Autos, die Spur führt in den Osten
50’000 Schweizer Autos verschwunden!

Jedes Jahr werden in der Schweiz 300'000 Fahrzeuge ausgemustert. Sie werden exportiert, verschrottet – oder verschwinden spurlos. BLICK hat sich auf die Suche gemacht.
Publiziert: 10.02.2019 um 23:01 Uhr
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Aktualisiert: 11.02.2019 um 00:05 Uhr
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Automarkt in Bulgarien: Hier und in anderen Ländern Osteuropas landen viele der jährlich rund 300'000 ausgemusterten Autos in der Schweiz.
Foto: transit / Tom Schulze
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

46'674 Autos sind letztes Jahr in der Schweiz verschwunden, sind aus jeder Statistik herausgefallen. Das heisst, der Fahrzeugausweis, so etwas wie die Identitätskarte für jedes Auto in der Schweiz, wurde annulliert. Ab dann gehören die Personenwagen nicht mehr zum Fahrzeugbestand der Schweiz.

Im letzten Jahr gab es bei uns 4,6 Millionen eingelöste Fahrzeuge. Ein Prozent davon ist verschwunden, das heisst, sie landeten weder im Schredder noch in der Exportstatistik. Diese Zahl hat die Stiftung Auto Recycling Schweiz exklusiv für BLICK berechnet. Wo diese Autos sind, lässt sich nur vermuten. 

In den Ferien das Auto verticken

Autohändler Ernst Stoll (54) aus Wallisellen ZH hat einen Verdacht: «Gerade über Weihnachten, zu Ostern und in den Sommerferien verlassen viele Autos mit sogenannten Zollnummern die Schweiz Richtung Ost- und Südosteuropa. Da sind einige darunter, die in keiner Exportstatistik auftauchen.» Die Zollnummer verfällt nach einer gewissen Zeit, dann kümmert sich keine Statistik mehr um diese Autos. 

Zudem ist die Berechnung der in der Schweiz aus dem Verkehr gezogenen Autos keine exakte Wissenschaft. Ein Teil der Autos verschwindet in der statistischen Unschärfe oder vergammelt als Ladenhüter bei Occasionshändlern. Einige Autos rosten auf einem Privatgrundstück vor sich hin. 

Autohändler Stoll hat noch eine weitere Erklärung: «Aus der Schweiz werden Teile alter Autos containerweise exportiert. Auch so verschwinden ganze Autos.» Das ist nicht wirklich legal, denn Autoteile dürfen nur dann in Containern ausgeführt werden, wenn eine ausführliche Packliste besteht. Gemacht wird es trotzdem.

Schweizer Autos landen früh im Schredder 

Dabei lohnt sich das Geschäft mit den Autoteilen auch in der Schweiz, wie Andreas Kaufmann (58), Geschäftsführer der Autoverwertung Truninger in Rickenbach ZH, weiss (siehe Box). Die Autoverwerter machen ihr Geld mit Einzelteilen und ausgeweideten Autowracks, die sie an die Schredder verkaufen. 2018 sind 72'032 Autos in der Schweiz im Schredder gelandet. Dies, nachdem die Autos im Schnitt 17 Jahre im Einsatz waren. «Das ist fast schon luxuriös, in anderen Ländern werden Autos viel länger gefahren», unterstreicht Kaufmann. 

Was ihr altes Auto wirklich wert ist

Wenn Ihnen der Garagist noch den einen oder anderen Hundert-Franken-Schein für Ihr altes Auto in die Hand drückt, anstatt die Entsorgung zu verrechnen, dann ist klar: Aus dieser Kiste kann der Autoverwerter noch einiges rausholen! Aus einem alten BMW zum Beispiel, der als Ganzes vielleicht noch 1500 Franken wert ist, lassen sich im Idealfall Einzelteile in der Summe von knapp 3000 Franken machen. Obendrauf gibts dann noch 40 bis 120 Franken pro Tonne Stahlschrott. 

Besonders gefragt sind Leuchten, Spiegel, Heckklappen oder Stossstangen, aber auch Getriebe oder Motoren. Allerdings sollte das Auto zwischen acht und 15 Jahre alt sein, ältere Modelle sind nicht mehr so häufig unterwegs, entsprechend geht die Nachfrage nach Ersatzteilen zurück.

Moderne Autos dagegen verursachen ganz andere Probleme: «In neuen Autos steckt so viel codierte Elektronik, dass sie nicht einfach jedes Ersatzteil verwenden können. Selbst ein ersetzter Scheibenwischer-Motor muss bei der Bordelektronik angemeldet werden», sagt Andreas Kaufmann (58), Präsident des Schweizer Autoverwerter-Verbandes Vasso. Christian Kolbe

Wenn Ihnen der Garagist noch den einen oder anderen Hundert-Franken-Schein für Ihr altes Auto in die Hand drückt, anstatt die Entsorgung zu verrechnen, dann ist klar: Aus dieser Kiste kann der Autoverwerter noch einiges rausholen! Aus einem alten BMW zum Beispiel, der als Ganzes vielleicht noch 1500 Franken wert ist, lassen sich im Idealfall Einzelteile in der Summe von knapp 3000 Franken machen. Obendrauf gibts dann noch 40 bis 120 Franken pro Tonne Stahlschrott. 

Besonders gefragt sind Leuchten, Spiegel, Heckklappen oder Stossstangen, aber auch Getriebe oder Motoren. Allerdings sollte das Auto zwischen acht und 15 Jahre alt sein, ältere Modelle sind nicht mehr so häufig unterwegs, entsprechend geht die Nachfrage nach Ersatzteilen zurück.

Moderne Autos dagegen verursachen ganz andere Probleme: «In neuen Autos steckt so viel codierte Elektronik, dass sie nicht einfach jedes Ersatzteil verwenden können. Selbst ein ersetzter Scheibenwischer-Motor muss bei der Bordelektronik angemeldet werden», sagt Andreas Kaufmann (58), Präsident des Schweizer Autoverwerter-Verbandes Vasso. Christian Kolbe

Rund 90 Prozent der Materialien aus einem Altauto können wieder verwertet werden. Eine beeindruckende Zahl. «Wenn zu viele Altautos exportiert werden, fehlen in der Schweiz wichtige Materialressourcen. Die Schweizer Wirtschaft braucht den Autoschrott», warnt Kaufmann. 

Dem pflichtet Daniel Christen (54), Geschäftsführer der Stiftung Auto Recycling Schweiz, bei. Dennoch werden die meisten Autos, die in der Schweiz niemand mehr will, exportiert. 169'664 Stück waren es im letzten Jahr, wie Christen berechnet hat: «Autofahrer in Entwicklungsländern sind froh um die alten Autos aus der Schweiz. Diese werden noch jahrelang gefahren.»

So gut wie ein Gütesiegel

Die wichtigsten Märkte für gebrauchte Schweizer Autos sind Afrika, der Balkan, Ost- und Westeuropa (siehe Grafik). «Man darf nicht den Fehler machen, den Export von älteren Autos mit der Entsorgung von Elektronikschrott zu vergleichen. Bei den Autos geht es nicht einfach darum, auf billige Art und Weise unseren Schrott loszuwerden», sagt Christen. Im Gegenteil: Ein Auto, das in der Schweiz eingelöst war, das hat fast schon ein Gütesiegel. «In der Schweiz haben auch die gebrauchten Autos eine hohe Qualität. Hier wird viel mehr Geld für Reparaturen und Pflege ausgegeben als in anderen Ländern», sagt Autohändler Stoll. 

Für ein paar Hundert Franken nach Libyen

Bei den Ausfuhrländern führt Libyen die Exportstatistik an, gefolgt von Polen, Serbien, Bulgarien und Deutschland. Die 27'607 Autos nach Libyen gingen für im Schnitt gerade mal 480 Franken übers Mittelmeer. «Durch den Krieg wurden in Libyen viele Autos zerstört. Es gibt eine grosse Nachfrage nach Occasionsautos. Viele Fahrzeuge werden aber auch weiter in andere afrikanischen Länder exportiert», sagt ein Autohändler. 

Je tiefer der Preis, desto eher landet ein Auto in Afrika. Doch gibt es auch das Gegenteil: Für durchschnittlich rund 115'000 Franken (China) oder gar knapp 204'000 Franken (USA) wechselten einige Dutzend Schweizer Gebrauchtwagen im letzten Jahr den Besitzer. Dabei dürfte es sich um den Verkauf bedeutender Oldtimer-Sammlerstücke gehandelt haben.

In der Schweiz hat man schnell einen Totalschaden

Schnell heisst es in der Schweiz, ein Unfallauto hätte einen Totalschaden. Doch mancher dieser Wagen kann mit einigem Aufwand wieder fahrtüchtig gemacht werden werden. Das allerdings ist in der Schweiz teuer. 

Wenn das Auto so demoliert ist, dass eine Reparatur verkehrstechnisch nicht zu verantworten ist, kommt der Wagen auf den Schrottplatz. Wenn die Tragstruktur des Autos aber noch mehr oder weniger intakt ist, kann das Auto repariert werden. Bei Stundenansätzen zwischen 120 und 200 Franken lohnt sich die Reparatur in der Schweiz aber nicht – im Ausland dagegen schon. 

Bei Totalschäden wird der Kunde bei einigen Versicherungen wie der Axa mit dem Zeitwert des Autos entschädigt, der Wagen geht in den Besitz der Versicherung über. Axa und andere Versicherungen betreiben im Internet Auktionsplattformen, um die technischen und wirtschaftlichen Totalschäden an in der Schweiz eingetragene Autohändler zu verkaufen. 

Mehrere tausend Unfallautos verkauft die Axa so pro Jahr und löst im Schnitt 2000 bis 2500 Franken pro Wagen. Je nach Zustand des Fahrzeugs gebe es Unfallautos bereits ab einem Franken auf dieser Plattform zu ersteigern, im Normalfall beginne das Bietverfahren aber bei einigen Hundert Franken erklärt Villiger. Christian Kolbe

Schnell heisst es in der Schweiz, ein Unfallauto hätte einen Totalschaden. Doch mancher dieser Wagen kann mit einigem Aufwand wieder fahrtüchtig gemacht werden werden. Das allerdings ist in der Schweiz teuer. 

Wenn das Auto so demoliert ist, dass eine Reparatur verkehrstechnisch nicht zu verantworten ist, kommt der Wagen auf den Schrottplatz. Wenn die Tragstruktur des Autos aber noch mehr oder weniger intakt ist, kann das Auto repariert werden. Bei Stundenansätzen zwischen 120 und 200 Franken lohnt sich die Reparatur in der Schweiz aber nicht – im Ausland dagegen schon. 

Bei Totalschäden wird der Kunde bei einigen Versicherungen wie der Axa mit dem Zeitwert des Autos entschädigt, der Wagen geht in den Besitz der Versicherung über. Axa und andere Versicherungen betreiben im Internet Auktionsplattformen, um die technischen und wirtschaftlichen Totalschäden an in der Schweiz eingetragene Autohändler zu verkaufen. 

Mehrere tausend Unfallautos verkauft die Axa so pro Jahr und löst im Schnitt 2000 bis 2500 Franken pro Wagen. Je nach Zustand des Fahrzeugs gebe es Unfallautos bereits ab einem Franken auf dieser Plattform zu ersteigern, im Normalfall beginne das Bietverfahren aber bei einigen Hundert Franken erklärt Villiger. Christian Kolbe

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