Die Medienunternehmen Tamedia, Admeira, AZ-Medien, Somedia, Ringier/Axel Springer und Ringier (zu dem auch SonntagsBlick gehört) warnten die Kunden des Werbevermittlers Publicitas öffentlich: Zahlt eure Inserate nur noch direkt an uns! Die Verlage beklagen übereinstimmend, dass sie noch viel überfälliges Geld zugute hätten. In Verlegerkreisen ist von einem zweistelligen Millionenschaden die Rede.
Worte können töten: So ein Communiqué wirkt wie eine Blendgranate. Die Glaubwürdigkeit ist hin.
Die Publicitas antwortete in kleinlautem Ton: «Wir arbeiten seit einigen Wochen an einem Sanierungskonzept zur mittelfristigen Stabilisierung der Publicitas und bedauern ...» CEO Jörg Nürnberg versprach SonntagsBlick am Freitagmorgen ein Telefoninterview, zog die Zusage aber am Abend zurück.
In seinen guten Zeiten war der weltweit tätige Konzern hochrentabel. Er hatte den Ruf als «Bank der Verleger», half den Verlagen bei Engpässen und gab Darlehen zu günstigen Zinsen: eine wahre Milchkuh. Ab 1997 galt die Publicitas-Aktie vorübergehend sogar als heisser Internet-Wert und schoss von unter 300 auf 1980 Franken hoch.
Opfer des Medienwandels
Heute ist die Firma, die früher fast wie eine Behörde auftrat und als «Bundesamt für das Anzeigenwesen» verspottet wurde, das bisher prominenteste Opfer des Medienwandels in der Schweiz.
1855 gründete der Buchhändler Ferdinand Haasenstein in Altona (D) eine Vermittlungsagentur für Inserate. 1868 eröffnete der Lehrer Carl-Ludwig Georg in Basel eine Filiale, weil er 15 Kinder hatte und einen Nebenverdienst brauchte.
Er starb früh, aber sein gleichnamiger Sohn trat mit 18 Jahren seine Nachfolge an und eröffnete Filialen am laufenden Band. Mit dem Geld von Genfer Investoren konnte er 1890 seine deutschen Partner auskaufen. 1916 wurde die Firma in «Publicitas» umbenannt, weil «Haasenstein & Vogler» zu deutsch klang.
Ihre Spezialität waren die Pachtverträge. Den Anfang machte 1873 der Berner «Bund». Er übertrug das Inseratengeschäft der Agentur. Das Geschäftsmodell war vor allem für kleine und mittlere Verlage sinnvoll. Sie sparten die Fixkosten für den Verkaufsapparat, die «P.» konnte je nach Volumen bis zu 40 Prozent vom Umsatz behalten.
In den Nachkriegsjahren wurde die Firma von drei rivalisierenden Familien von leitenden Angestellten kontrolliert. Bei jeder Modernisierung – auch wenn es nur um Inserate in Telefonbüchern ging – wurden die Pachtverleger eifersüchtig. So kam es, dass die Publicitas im Lauf der Jahrzehnte die neuen Trends zwar früh verstand, aber aus Rücksicht auf die Verleger nicht konsequent nutzte.
In den 1980er-Jahren, als Radio und Fernsehen liberalisiert wurden, verzichteten Konzernleitung und Verwaltungsrat ausdrücklich auf die Vermarktung von Radio- und Fernsehwerbung. Konkurrent Goldbach füllte dankend die Lücke.
Immo-Portal lief gut
Schon 1994, als der Begriff Internet auch in Fachkreisen noch nicht geläufig war, baute die Publicitas in Lausanne ein Immobilienportal auf (Swissimo), das gut gedieh. Doch nach kurzer Zeit musste sie es ihrem mächtigen Verlags- und Vertragspartner Lamunière überlassen.
Der damals noch steinreiche Konzern war im Heimmarkt übervorsichtig, im Ausland hingegen tollkühn. Hans-Peter Rohner, CEO von 2002 bis 2012, zog ab 1995 schrittweise Real Media an Land, einen der Pioniere für Online Target Advertising (Zielgruppenwerbung). Es war im Prinzip die gleiche Idee, die später Google (gegründet 1998) zum Weltmeister machte.
2002 verlor die Publicitas wegen verfehlter Firmenkäufe in den USA über 200 Millionen Franken. Zugleich begann das angestammte Schweizer Inseratengeschäft zu schwächeln. Bald konnten die sinkenden Kommissionserträge die enormen Kosten des Filialnetzes nicht mehr decken.
Schliesslich ging sie im April 2014 zu einem Spottpreis von der PubliGroupe Holding an die deutsche Finanzheuschrecke Aurelius über. Diese reichte die Trophäe an drei deutsche Privatleute weiter, die jetzt um ihren Einsatz bangen.