SonntagsBlick: Herr Eichenberger, Winston Churchill bezeichnete die Erbschaftssteuer als «Korrektiv gegen die Entwicklung einer Schicht von reichen Faulpelzen». Es ist stossend, dass Erbschaften heute in den meisten Kantonen nicht besteuert werden.
Reiner Eichenberger: Einspruch, das stimmt nicht! Mit Ausnahme von Schwyz kennen alle Kantone hohe Erbschaftssteuern. Allerdings nicht für direkte Nachkommen, sondern für weiter entfernte Verwandte und Bekannte. Der Satz beträgt bis zu 49 Prozent. Nur in der direkten Linie werden Erbschaften meist nicht besteuert.
Warum sollten Kinder steuerlich begünstigt werden?
Weil die Erbschaftssteuer nur dann effizient ist. Im Normalfall lieben die Eltern ihre Kinder und setzen alles daran, sie zu schützen. Einer nationalen Erbschaftssteuer würden sie deshalb auszuweichen versuchen.
Wie?
Viele vermögende Personen besitzen Häuser im Ausland. Um die Erbschaftssteuer zu umgehen, müssen sie nur den Wohnsitz kurz dorthin verlegen. Und können dann ihren Kindern alles schenken oder in Ruhe sterben. Damit ist alles steuerfrei.
Nicht alle Reichen wollen ihren Lebensabend in Thailand verbringen, um Steuern zu sparen.
Viele Reiche sind solidarisch mit dem Staat. Aber zu glauben, sie würden einfach so 20 Prozent ihres Vermögens hergeben, ist naiv. Wenn die Erblasser nicht selber ausweichen, bringen ihre Kindern und Berater sie dazu. Die Verwaltung grosser Vermögen ist fast immer professionell, mit Anwälten, Family Offices, Steuerberatern. Da will jeder das Geschäft machen.
Chancengleichheit ist wichtig für unsere Gesellschaft. Auch wenn die Erbschaftssteuer nicht perfekt ist, würde sie einen Beitrag zur Verbesserung leisten.
Zu glauben, damit würde eine gerechtere Welt geschaffen, ist absurd. Die Initiative will Privatvermögen ab zwei Millionen zu 20 Prozent besteuern, Firmenvermögen jedoch erst ab 50 Millionen zu fünf Prozent. Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Die Initiative erreicht das Gegenteil von dem, was sie vorgibt.
Mit den tieferen Sätzen für Unternehmen sollen die Arbeitsplätze geschützt werden.
Klar, aber das funktioniert nicht. Die Ausnahmen machen die Steuer nur noch schlimmer. Vermögende Personen würden ihr Geld in Firmen verschieben, in sogenannte Cash AGs. Der Staat müsste mit einem riesigen Aufwand kontrollieren, ob ein Unternehmen eine richtige Firma ist oder nur eine Cash AG. Zudem würden die Erben gezwungen, die Firma weiterzuführen, auch wenn sie unfähig sind oder das nicht wollen. Das führt zu enormen volkswirtschaftlichen Kosten.
Manager verdienen heute so viel, wie sie nie im Leben ausgeben können. So entstehen Dynastien, die nicht arbeiten müssen. Die Erbschaftssteuer setzt ein Gegengewicht.
Es ist Irrglaube, dass Manager früher weniger verdient haben als heute. Viele von ihnen sind sehr reich gestorben, zum Teil verdankten sie ihr Vermögen Insidergeschäften. Das ist heute nicht mehr möglich, zudem ist die Transparenz grösser. Die Schweiz ist ein Land mit sehr hoher sozialer Mobilität. Es gibt viele Aufsteiger, aber auch viele Absteiger. Die Einkommensverteilung vor Steuern ist so ausgeglichen wie sonst nur in Südkorea. Die Leute haben die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Aber die Vermögen sind sehr ungleich verteilt. Das reichste Prozent besitzt 40 Prozent des Reinvermögens.
Die Daten über die Vermögensverteilung sind absolut unbrauchbar. Sie erfassen nur das steuerbare Vermögen. Die Ersparnisse des Mittelstands und der ärmeren Leuten sind aber zum Grossteil steuerbefreit im Rentensystem parkiert. Deshalb taucht ihr Geld in den Statistiken nicht auf. Das führt zu grotesken Verzerrungen und falschen politischen Folgerungen.
Viele Erben haben nichts getan für ihren Reichtum. Ein Beispiel ist die Sika-Besitzerfamilie. Sie will ihre geerbten Aktien für einen Maximalpreis ins Ausland verscherbeln und setzt Arbeitsplätze aufs Spiel. Mit einer Erbschaftssteuer könnte sich der Staat schadlos halten.
Ich kenne die Steuersituation der Familie Burkard nicht. In jedem Fall zahlen sie aber Vermögenssteuern. Die Schweiz ist das Land mit der weltweit höchsten Vermögenssteuer. Der Spitzensatz beträgt in Zürich 0,7 Prozent. Zahlen reiche Erben ein Leben lang Vermögenssteuern, dann liefern sie rund 50 Prozent ihres Vermögens dem Staat ab. Und auf den Vermögenserträgen zahlen sie hohe Steuern. Die Schweiz gehört zu den ganz wenigen Ländern, die Kapitalerträge zum gleichen Satz wie Arbeitseinkommen besteuert. Der Staat kommt also schon heute zu seinem Anteil.
Deutschland und England kennen hohe Erbschaftssteuern und leben passabel damit.
Das Gegenteil ist der Fall. Diese Beispiele zeigen, dass die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen nicht funktioniert. Die zentralisierte deutsche Erbschaftssteuer, die Kinder und Ehepartner mit bis zu 30 Prozent besteuert, bringt nur 0,16 Prozent des BIP auf. Die kritisierte kantonale Erbschaftssteuer der Schweiz führt dagegen zu Einnahmen von rund 950 Millionen Franken oder 0,2 Prozent des BIPs ein. Auch in England ist der Ertrag geringer. Die Initianten erwarten Einnahmen von drei Milliarden Franken. Über so viel Naivität kann ich nur den Kopf schütteln.
Wie hoch wären denn die Einnahmen aus Ihrer Sicht?
Im besten Fall wären die Erbschaftssteuereinnahmen leicht höher als die 950 Millionen heute, langfristig – mit allen Ausnahmen und Anpassungsreaktionen – aber eher tiefer. Zudem käme es bei der Vermögenssteuer zu grossen Ausfällen, auch die Steuereinnahmen aus Kapitalerträgen gingen zurück. Unter dem Strich wäre die Erbschaftssteuer ein Negativgeschäft für den Staat. Auch die AHV würde geschwächt.
Wer den Staat ausbluten will, muss also die Initiative unterstützen?
Genau. Man würde eine relativ vernünftige durch eine unvernünftige Steuer ablösen. Die Initiative ist keinesfalls liberal. Sie nimmt etwas weg, mit dem der Verstorbene etwas für seine Kinder tun wollte. Das ist nicht liberal, sondern eher eine Störung der Totenruhe.
Jährlich werden gigantische Summen vererbt. Was lässt sich machen, dass die Gesellschaft etwas davon hat, ohne einen Zwangsapparat aufbauen zu müssen?
Die Erbschaftssteuer müsste freiwillig sein. Der Staat würde gesetzlicher Erbe von 20 oder 30 Prozent der Hinterlassenschaft. Der Erblasser hätte aber die Wahl, den Staat zu enterben. Ich bin überzeugt, dass so viel Geld zusammenkäme. Viele Leute ohne direkte Nachkommen geben das Geld lieber dem Staat als einem Cousin, den sie kaum kennen. Der Staat käme so ohne grossen Aufwand zu Geld. Zudem bekäme er Anreize, die Alten gut zu behandeln.