Es ist ein ungewöhnlich warmer Herbsttag, doch durch die Baustelle in Bern fegt ein Wind wie aus Eis. Der Rohbau des neuen Tumor- und Organzentrums des Inselspitals erinnert an ein lebendiges Skelett. Es wird gehämmert, gebohrt, gegipst, gemalt, geplättelt. Nachdem SonntagsBlick letzte Woche die Unterbezahlung zum Thema machte («Das ist nicht Lohndumping, das ist Sklaverei»), begleiten wir heute einen Arbeitsmarktinspektor, einer von sieben bei der Berner Arbeitsmarktkontrolle.
Sein Job: Auf Baustellen, in Gastrounternehmen, Bäckereien oder vergleichbaren Betrieben aufzutauchen. Und Fragen zu stellen: Für wen arbeiten Sie? Woher kommen Sie? Und vor allem: Wie viel verdienen Sie?
Auf der Insel-Baustelle erfährt SonntagsBlick von einem dramatischen Fall: Ein italienisches Plattenleger-Subunternehmen zahlt seinen Angestellten teilweise nur 1300 Euro, umgerechnet rund 1500 Franken, im Monat – Ferien, Reisespesen oder einen 13. Monatslohn gibt es nicht, obwohl die Plattenleger ein Anrecht darauf hätten.
Gearbeitet wird auch an Samstagen. Gewohnt wird in einem Bungalow auf einem nahen Campingplatz. So jedenfalls erzählen es die Büezer den Kontrolleuren – und dass sie aus Mazedonien, Rumänien, Albanien stammen.
Italienische Arbeitsverträge von Anfang Oktober, die SonntagsBlick einsehen konnte, stützen ihre Aussagen. Engagiert wurde die italienische Firma von einem Betrieb aus der Region Bern. Der erhielt den Auftrag via öffentliche Ausschreibung vom Berner Inselspital.
Pardini: «Sehr grober Verstoss»
Corrado Pardini (52), langjähriger Präsident der Arbeitsmarktkontrolle Bern und heutiger Vizepräsident: «Der Fall präsentiert sich als möglicher, sehr grober Verstoss gegen geltende Lohn- und Arbeitsbedingungen, darum wurde ich unverzüglich darüber informiert.»
Erhärten sich die Vorwürfe, gehe es nicht mehr nur um Lohndumping: «Das grenzt möglicherweise an Menschenhandel und Ausbeutung.»
Das neue Berner Inselspital ist ein Megaprojekt: 750 Millionen Franken sollen hier in zehn Jahren verbaut werden, bezahlt aus öffentlichen Mitteln. Lohndumping-Verdachtsfälle gab es bisher keine. Doch der nun aufgedeckte erscheint extrem: Gemäss GAV stehen Plattenlegern 5170 Franken pro Monat zu, Hilfsarbeitern immerhin noch 4215 Franken. Das sind Löhne, von denen man in der Schweiz leben kann. Im Gegensatz zu den 1500 Franken, welche die Plattenleger aus Italien angeblich erhalten.
SonntagsBlick kontaktiert den Schweizer Betrieb, der die italienische Firma engagiert hat. Aus juristischen Gründen darf er hier nicht genannt werden. «1500 Franken, so viel verdient bei uns ein Lehrling. Aber sicher kein Angestellter», sagt der Mitinhaber. Die Kontrolle auf der Baustelle sei überraschend gekommen, die Männer hätten unter Stress gestanden. So seien wohl falsche Angaben gemacht worden.
Doch warum braucht es die Plattenleger aus Italien überhaupt? Der Auftrag des Inselspitals ist mehrere 100'000 Franken schwer. Kann man das nicht aus eigener Kraft erledigen? Die Antwort: «Wir kamen in den Stress und brauchten Unterstützung.»
SonntagsBlick macht sich auf die Suche nach den betroffenen fünf Plattenlegern – und findet sie nach Feierabend auf dem Campingplatz. Sie wohnen zusammen mit dem Firmenchef und wollen bis Dezember bleiben. So lange dürfen sie laut Gesetz auf der Baustelle arbeiten. Deutsch können sie nicht.
Plattenleger haben andere Version
Die Geschichte, die sie dem Journalisten auf Italienisch erzählen, ist eine ganz andere als die im Protokoll der Kontrolleure: «Für 1300 Euro könnte ich auch in Italien bleiben», behauptet einer wild gestikulierend. Hier verdiene er mindestens 4000. Überprüfen lässt sich das nicht. Doch 1300 Euro für einen Handwerker wären in Italien ein stolzes Gehalt – vor allem für Nichteinheimische. Löhne von weit unter 1000 Euro sind dort üblich.
In der Redaktion trifft ein Schreiben von Anwälten der Schweizer Firma ein. Darin werden nochmals alle Vorwürfe bestritten. Man könne dies mit Verträgen belegen.
Gewerkschafter Pardini: «Es ist immer dasselbe Spiel. Sobald wir die Missstände aufdecken, werden neue Verträge aus dem Hut gezaubert.» Der Gewerkschafter und SP-Nationalrat kennt die Maschen der luschen Baufirmen seit Jahren.
Das Inselspital versichert, von den Vorwürfen nichts gewusst zu haben. Verdachtsfälle kläre man mit der Paritätischen Kommission ab – einem Kontrollgremium aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dorthin wird der Fall nun weitergeleitet.
Stellt die Kommission Missbrauch fest, kann sie eine Konventionalstrafe verhängen und die Büezer dürfen die Nachzahlung ihres Lohns einfordern. Dazu Pardini: «Oft müssen diese Menschen die nachbezahlten Löhne umgehend wieder dem Arbeitgeber retournieren.» Er verspricht, dranzubleiben. Und für die Rechte der Büezer zu kämpfen. So bleibt die Hoffnung, dass dieser Billiglohn-Skandal nicht, wie so viele, im Lärm der Baustelle untergeht.
Wo gehobelt wird, fallen immer auch Späne. Auf den Schweizer Baustellen aber wird der Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert.
Ob die Post in Härkingen ein Paketzentrum erstellt, ob sich die Messe Basel einen Neubau gönnt, ob ein Grossverteiler im Aargau ein gigantisches Logistikzentrum hochzieht: Überall werden gravierende Fälle von Lohndumping aufgedeckt.
Jüngstes Beispiel ist das neue Tumor- und Organzentrum des Berner Inselspitals, die grösste Baustelle im Mittelland: Plattenleger aus Osteuropa werden hier mit Hungerlöhnen von 1500 Franken monatlich abgespeist, die Nächte verbringen sie auf dem Campingplatz.
Selbstverständlich zahlt das Berner Inselspital als Bauherr den gesetzlichen Mindestlohn. Den Löwenanteil davon freilich streichen ein lokaler Gewerbler und dessen Subunternehmer aus Italien ein. Zehntausende Steuerfranken dürften damit in die Kassen von Gaunern fliessen.
Es ist ja keineswegs so, dass es auf den Baustellen zu wenige Inspektionen gibt. Die Arbeitsmarktkontrolleure melden täglich Missbrauchsfälle. Bei den kantonalen Behörden und bei den Berufskommissionen der Baubranche fehlt dann aber das Personal, um all diesen Berichten nachzugehen.
Unzählige Fälle von Schwarzarbeit und Lohndumping werden also gar nicht erst verfolgt. Wird einer Meldung doch einmal nachgegangen, setzen die angeschuldigten Firmen ihre Arbeiter unter Druck, bis diese ihre Chefs
decken. Und selbst wenn ausnahmsweise jemand verurteilt wird: Mehr als eine lächerliche Busse hat er nicht zu befürchten.
2014 sagten die Stimmbürger Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative der SVP. Seither sollten sich Wirtschaft und Politik die Hände schwielig arbeiten, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Sie sollten zeigen, wie ernst sie die Ängste vor einer Verwahrlosung des Arbeitsmarkts nehmen. Noch so eine Volksinitiative, noch so eine Abschottungsdebatte kann sich unser Land nicht leisten.
Was aber haben die Verantwortlichen in den letzten drei Jahren effektiv getan? Hat man von einem umfassenden Aktionsplan unseres Wirtschaftsministers zur Bekämpfung von Lohndumping auf dem Bau gehört? Ja, hat das überhaupt jemand gefordert? Diskutiert man in Bundesbern darüber, dass die Selbstregulierung der Baubranche durch Arbeitgeber und Gewerkschaften im Kampf gegen skrupellose Menschenhändler offensichtlich nichts taugt?
All diese Aktionspläne, Forderungen, Debatten gibt es nicht. Nun dreht die Baubranche etwas an der Schraube. Man plant ein Verzeichnis der sauberen Unternehmen. Bauherren sollen sich informieren können, ob einer Firma zu trauen ist. Weit wird man damit nicht kommen: Im Kampf gegen Kriminelle braucht es keine Schraubenzieher. Es braucht den Vorschlaghammer.
Solange niemand das Problem entschieden genug angeht, fliegen auf den Schweizer Baustellen nicht nur die Späne. Solange stets neue, krasse Fälle von Lohndumping bekannt werden, wird das Vertrauen der Stimmbürger in Rechtsstaat, Politik und Wirtschaft immer weiter ausgehöhlt.
Wo gehobelt wird, fallen immer auch Späne. Auf den Schweizer Baustellen aber wird der Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert.
Ob die Post in Härkingen ein Paketzentrum erstellt, ob sich die Messe Basel einen Neubau gönnt, ob ein Grossverteiler im Aargau ein gigantisches Logistikzentrum hochzieht: Überall werden gravierende Fälle von Lohndumping aufgedeckt.
Jüngstes Beispiel ist das neue Tumor- und Organzentrum des Berner Inselspitals, die grösste Baustelle im Mittelland: Plattenleger aus Osteuropa werden hier mit Hungerlöhnen von 1500 Franken monatlich abgespeist, die Nächte verbringen sie auf dem Campingplatz.
Selbstverständlich zahlt das Berner Inselspital als Bauherr den gesetzlichen Mindestlohn. Den Löwenanteil davon freilich streichen ein lokaler Gewerbler und dessen Subunternehmer aus Italien ein. Zehntausende Steuerfranken dürften damit in die Kassen von Gaunern fliessen.
Es ist ja keineswegs so, dass es auf den Baustellen zu wenige Inspektionen gibt. Die Arbeitsmarktkontrolleure melden täglich Missbrauchsfälle. Bei den kantonalen Behörden und bei den Berufskommissionen der Baubranche fehlt dann aber das Personal, um all diesen Berichten nachzugehen.
Unzählige Fälle von Schwarzarbeit und Lohndumping werden also gar nicht erst verfolgt. Wird einer Meldung doch einmal nachgegangen, setzen die angeschuldigten Firmen ihre Arbeiter unter Druck, bis diese ihre Chefs
decken. Und selbst wenn ausnahmsweise jemand verurteilt wird: Mehr als eine lächerliche Busse hat er nicht zu befürchten.
2014 sagten die Stimmbürger Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative der SVP. Seither sollten sich Wirtschaft und Politik die Hände schwielig arbeiten, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Sie sollten zeigen, wie ernst sie die Ängste vor einer Verwahrlosung des Arbeitsmarkts nehmen. Noch so eine Volksinitiative, noch so eine Abschottungsdebatte kann sich unser Land nicht leisten.
Was aber haben die Verantwortlichen in den letzten drei Jahren effektiv getan? Hat man von einem umfassenden Aktionsplan unseres Wirtschaftsministers zur Bekämpfung von Lohndumping auf dem Bau gehört? Ja, hat das überhaupt jemand gefordert? Diskutiert man in Bundesbern darüber, dass die Selbstregulierung der Baubranche durch Arbeitgeber und Gewerkschaften im Kampf gegen skrupellose Menschenhändler offensichtlich nichts taugt?
All diese Aktionspläne, Forderungen, Debatten gibt es nicht. Nun dreht die Baubranche etwas an der Schraube. Man plant ein Verzeichnis der sauberen Unternehmen. Bauherren sollen sich informieren können, ob einer Firma zu trauen ist. Weit wird man damit nicht kommen: Im Kampf gegen Kriminelle braucht es keine Schraubenzieher. Es braucht den Vorschlaghammer.
Solange niemand das Problem entschieden genug angeht, fliegen auf den Schweizer Baustellen nicht nur die Späne. Solange stets neue, krasse Fälle von Lohndumping bekannt werden, wird das Vertrauen der Stimmbürger in Rechtsstaat, Politik und Wirtschaft immer weiter ausgehöhlt.