Bei Peter Spuhler (61) jagt trotz Corona-Lockdown ein Termin den nächsten. Eine Verwaltungsratssitzung der Textilmaschinenbaufirma Rieter. Dann per Telefonkonferenz die Herausforderungen des Automobilzulieferers Autoneum besprechen – und gleichzeitig die Situation bei Stadler Rail nie aus den Augen verlieren. Dazwischen findet der Unternehmer eine halbe Stunde Zeit für ein Telefoninterview mit SonntagsBlick.
SonntagsBlick: Herr Spuhler, die Corona-Krise hat die Schweiz seit Wochen fest im Griff. Wie geht es Ihnen?
Peter Spuhler: Den Umständen entsprechend gut. Meine Familie ist gesund, ich selbst auch. Und bei Stadler Rail hatten wir zum Glück nur etwa ein Dutzend Corona-Fälle. Das ist wenig angesichts von 12 '000 Mitarbeitern weltweit.
Wie hat sich die Krise auf den Betrieb ausgewirkt?
Als Schienenfahrzeughersteller reagiert Stadler Rail spätzyklisch auf Krisen. Wir mussten bisher keine staatliche Unterstützung beantragen. Die Auftragsbücher sind den Umständen entsprechend gut gefüllt, die Werke einigermassen ausgelastet. Die Ausnahmen sind Spanien und die USA. In Valencia mussten wir unsere Produktionsstätte auf Anordnung der Regierung vorübergehend schliessen. In Salt Lake City mussten wir die Belegschaft staatlich verordnet um zwei Drittel reduzieren. Ob wir das mit dem Abbau von Überstunden und dem Vorbezug von Ferien kompensieren können, muss sich noch zeigen.
Was waren Ihre ersten Sofortmassnahmen?
Die Sicherstellung der Liquidität und Zahlungsfähigkeit steht in der Krise immer an erster Stelle. Zurzeit verfügen wir noch über gute Reserven. Parallel dazu konzentrierten wir uns auf die Aufrechterhaltung der Lieferketten. Ein Abriss bedeutet, dass wir unsere Züge nicht fertigstellen können. Dann gibt es keine Abnahme durch den Kunden – und letztlich keine Schlusszahlungen.
Kam es bei der Lieferkette zu Problemen?
Wir haben weltweit zigtausend Lieferanten. Etwa zwanzig davon haben Lieferverzüge angemeldet, weil sie Liquiditätsprobleme haben oder Werke schliessen mussten. Drei stehen kurz vor dem Konkurs.
Was wären die Konsequenzen eines Konkurses?
Im ganzen Konzern wickeln wir momentan 149 Aufträge ab. Die beiden grössten sind die Züge für die S-Bahn in Berlin und die Metrozüge in Atlanta. Stoppt ein wichtiger Unterlieferant seine Lieferung, können wir bei mehreren Grossaufträgen in Verzug geraten. Deshalb ist es für uns extrem wichtig, durch ein tägliches Monitoring die Lieferkette-Situation im Griff zu behalten.
Welche langfristigen Folgen hat die Krise für Stadler Rail und die gesamte Schweizer Maschinenindustrie?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer abzuschätzen. Die Maschinenindustrie hängt stark von der Nachfrage aus dem Ausland ab. Autoneum zum Beispiel, wo ich ebenfalls Grossaktionär bin, leidet schon jetzt stark, weil viele Automobilkonzerne ihren Betrieb heruntergefahren haben. Es kommt jetzt sehr darauf an, wie schnell sich die verschiedenen Volkswirtschaften vom Corona-Schock erholen. Aber es ist klar: Die Folgen werden einschneidend sein. Nehmen wir nur schon die USA: Dort hängt das Bruttoinlandprodukt zu 75 Prozent vom Konsum ab. Und da jetzt viele Menschen ihren Job verlieren, wird dieser einbrechen.
Wie sieht es in Europa aus?
In Europa wird wegen der Corona-Krise noch mehr Liquidität in die Wirtschaft gepumpt. Die Verschuldung der Euroländer nimmt weiter zu, das schwächt den Euro gegenüber dem Franken weiter. Hier ist die Nationalbank in der Pflicht, Gegensteuer zu geben. Eine Franken-Euro-Parität wird immer wahrscheinlicher. Das würde die Schweizer Exportindustrie erneut vor riesige Herausforderungen stellen.
Was kann der Bund tun, um der Industrie zu helfen?
Das ist nicht so einfach. Wie gesagt: Vieles hängt von der Nachfrage aus dem Ausland ab – und diese lässt sich aus der Schweiz heraus kaum beeinflussen. In der Krise einmal mehr bewährt hat sich das Instrument der Kurzarbeitsentschädigung. Dadurch haben die Unternehmen die Möglichkeit, die Belegschaft im Betrieb zu behalten, und müssen nicht beim nächsten Aufschwung mühsam Personal rekrutieren und ausbilden.
Die Politik diskutiert über allfällige Konjunkturpakete. Wie stehen Sie dazu?
Bei den letzten Konjunkturmassnahmen, ausgelöst durch die Euro- und Finanzkrise, war ich im Nationalrat Sprecher der SVP-Fraktion. Ich habe mich damals wie heute mit den Instrumenten und deren Auswirkungen befasst und bin absolut kein Fan von Konjunkturpaketen. Das Problem: Es ist bei-nahe unmöglich, dass staatliche Massnahmen an der richtigen Stelle ansetzen und dann auch noch zum richtigen Zeitpunkt greifen.
Dann soll der Bund Ihrer Meinung nach einfach nichts tun?
Doch. Die Sicherstellung der Kurzarbeitsentschädigung ist von zentraler Bedeutung. Genau gleich wie die Sicherstellung der Liquidität für die KMU. In dieser Hinsicht hat der Bundesrat einen super Job gemacht – gemeinsam mit den 300 involvierten Banken. Meine grosse Befürchtung ist aber, dass nun aufgrund der gesprochenen Corona-Milliarden langfristige Investitionsprogramme in die Energie- und Verkehrsinfrastruktur zusammengestrichen werden und dadurch auch bisher unbehelligte Unternehmen in die Kurzarbeit gedrängt werden. Dies darf auf keinen Fall passieren!
Was sagen Sie zur Exit- Strategie des Bundesrats?
Die Gesundheit der Bevölkerung hatte bisher zu Recht Vorrang. Nun erwarte ich aber, dass die Wirtschaft – insbesondere der KMU-Bereich und die Gastronomie – schneller hochgefahren wird als vom Bundesrat geplant. Sonst werden wir grosse, nachhaltige wirtschaftliche Schäden zu beklagen haben. Selbstverständlich müssen gleichzeitig branchenbezogene, gesundheitsschützende Massnahmen durchgesetzt werden.
Stadler Rail hat Standorte in Deutschland, Italien, Holland und vielen anderen Ländern. Überall wurden riesige Corona-Hilfspakete versprochen. Wie bewerten Sie die Massnahmen des Bundesrats im internationalen Vergleich?
In den verschiedenen Ländern wurde sehr viel angekündigt, aber noch nicht allzu viel umgesetzt – ausser in der Schweiz. Die Hilfe in der Schweiz funktionierte extrem schnell und unkompliziert. Zudem hatte die Schweiz einen anderen Vorteil: Wir verfügten über die nötigen Mittel, um die Wirtschaft in der Krise zu unterstützen. Jetzt zahlt sich aus, dass wir die Schuldenbremse eingeführt haben.
Spare in der Zeit, dann hast du in der Not – einige Firmen führen diese Weisheit ad absurdum: Sie beantragen Kurzarbeitsentschädigung, schütten ihren Aktionären aber gleichzeitig Dividenden in Millionenhöhe aus.
Diese Kombination ist heikel. Gleichzeitig ist es aber so, dass Dividenden, die jetzt ausgeschüttet werden, das Geschäftsjahr 2019 betreffen. Zudem hat ein Unternehmen nicht nur gegenüber den Mitarbeitern und Kunden Verpflichtungen, sondern auch gegenüber den Aktionären. Als Unternehmer muss ich mir eine Ausschüttung in so unsicheren Zeiten aber sehr sorgfältig überlegen. Ich muss sicher sein, dass das Geld dem Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt nicht fehlt.