Dem Kiosk-Betreiber und Brötchen-Verkäufer Valora mit seinen über 4000 Angestellten laufen die Leute davon. Nicht in den Bahnhof-Shops, sondern in der Personalabteilung am Hauptsitz in Muttenz BL.
BLICK weiss: Allein in den letzten zwei Monaten haben sechs von 20 HR-Mitarbeiter gekündet. Wie Valora-Angestellte gegenüber BLICK berichten, gab es zuvor bereits Abgänge, weitere stünden demnächst an.
Besetzt wurden die freien Stellen bisher nicht mehr. Lediglich vier HR-Stellen sind derzeit ausgeschrieben, das Büro ist andauernd unterbesetzt. Das führe nicht nur zu stressbedingten Ausfällen in der Personalabteilung: 300 Unfallmeldungen stapeln sich auf den Pulten der HR-Abteilung. Dutzende von Kinderzulagen wurden noch nicht bezahlt, so die Vorwürfe der Angestellten.
Enger Austausch
Besonders prekär: Seit Dezember letzten Jahres haben Detailhandels-Mitarbeiter in Valora-Filialen (Kiosk, Avec, Press&Books, Spettacolo und Brezelkönig) über zwei Monate ohne schriftlichen Arbeitsvertrag gearbeitet. Zur Ausstellung eines ordentlichen Arbeitsvertrags fehlte schlicht die Zeit, so unterrichtete Quellen, die anonym bleiben wollen.
Die Personalkommission, die Rechtsabteilung und die Geschäftsleitung von Valora wurden über die Missstände informiert. «Trotz vielen Meldungen seit Sommer 2019 ist dort aber nichts passiert», klagt eine Büroangestellte, die am Hauptsitz in Muttenz arbeitet. Auch beim kaufmännischen Verband Schweiz (KFMV) – dem einzigen Sozial- und Gesamtarbeitsvertrag-Partner von Valora – seien Meldungen eingegangen.
Michael Horvath, Mitarbeiter Sozialpartnerschaft des KFMV, bestätigt den Eingang von Meldungen von Angestellten, nimmt aber keine Stellung zu konkreten Vorwürfen. «Wir sind in engem Austausch mit den verantwortlichen Personen und werden mit unseren Anliegen sehr ernst genommen», sagt Horvath.
Diese Erfahrung kann Dieter Egli, Mediensprecher der Gewerkschaft Syna nicht teilen. Bis vor drei Jahren war Syna noch Vertragspartner. «Valora war nicht bereit auf unsere Mindestforderungen einzugehen. Deshalb haben wir die Partnerschaft beendet.» Seither arbeitet der Kiosk-Konzern mit keiner Gewerkschaft mehr zusammen.
Kündigungen wegen Transformationsprozess
Die Angestellten machen die gewonnene SBB-Ausschreibung für die Convenience-Flächen für die Missstände verantwortlich. Ab 2021 betreibet Valora alle 262 Verkaufsflächen an Schweizer Bahnhöfen. Der Preis für die begehrten Flächen ist hoch: Die Mieten verdoppeln sich nahezu, Umbaukosten in Millionenhöhe stehen an. Deshalb spare Valora an allen Ecken und Enden: Beim Büropersonal und selbst bei der Weiterbildung macht das Unternehmen Abstriche.
Valora bestätigt auf Anfrage von BLICK zwar, «dass verschiedene Mitarbeitende gekündigt haben». Man baue aber keine Stellen ab, die HR-Abteilung befinde sich derzeit in einem Transformationsprozess. «Es liegt in der Natur eines solchen Prozesses, dass nicht alle Mitarbeitenden mitziehen möchten und das Unternehmen verlassen», schreibt Valora weiter.
Valora räumt Mängel im Ausbildungsbereich ein
Der Convenience-Anbieter gibt auch zu, dass es in der Personalabteilung derzeit zu Ressourcen-Engpässen komme. Man überbrücke diese aber mit Büro-Aushilfen. Dass Angestellte ohne schriftlichen Vertrag arbeiteten oder die Kinderzulagen nicht erhielten, streitet Valora ab. Auch Unfallmeldungen würden in der Regel umgehend bearbeitet. Falls es länger dauere, sei die Transformationsphase schuld.
Seit BLICK Valora mit den Vorwürfen der Mitarbeiter konfrontierte, seien die Vertragsvereinbarungen dank der Aushilfskräfte aufgearbeitet worden. Unfallmeldungen und Kinderzulagen seien aber noch immer zu Hunderten überfällig.
Einsichtig zeigt sich das Unternehmen aber im Bereich der Aus- und Weiterbildung: «Valora räumt ein, dass dieser Bereich ausgebaut werden muss und trifft entsprechende Massnahmen». So sind drei der vier ausgeschriebenen HR-Stellen auch für die Ausbildung zuständig. Erstmal muss im Büro aber wieder Ordnung einkehren. Denn in einem sind sich alle einig: Am Ende sind die Leidtragenden – einmal mehr – die Mitarbeiter im Detailhandel.