BLICK: Dürfen wir Schweizer zufrieden sein mit unseren Löhnen?
Matthias Mölleney: Nicht alle, denn die Unterschiede werden immer grösser. Natürlich waren und sind die Löhne im Detailhandel, wo die Margen besonders unter Druck stehen, schon immer tiefer als in der Finanzbranche. Doch die Schere hat sich noch weiter aufgetan. Während Angestellte in der Pflege mit tiefen Löhnen leben müssen, buhlen Unternehmen in Branchen mit akutem Fachkräftemangel mit exorbitanten Löhnen um qualifizierte Arbeitskräfte.
Wo liegt das Problem in der Pflege?
In einer Branche, die mehrheitlich vom Staat abhängig ist, die eigentlich nur Kosten verursacht, können sie einfach keine höheren Löhne zahlen. Obwohl dies opportun wäre, weil es äusserst wichtige Jobs sind. Hier könnte sich die Situation noch verschärfen.
Die Pflege wird also auf unabsehbare Zeit eine «Tieflohnbranche» bleiben?
Pflege, Detailhandel und Gastronomie – auf jeden Fall. Nicht nur, dass die Margen unter Druck sind, es gibt auch kaum Aufstiegsmöglichkeiten, eine Fachkarriere ist nicht möglich. Deshalb bleiben die Angestellten in ihren Lohnklassen sitzen.
Der Lohnunterschied zwischen Frau und Mann beträgt im Schnitt 17 Prozent. Wie kann diese Lücke geschlossen werden?
Es braucht Lohntransparenz. Sie ist ein geeignetes Mittel gegen die Diskriminierung. Ohne ein System, das alle einsehen können, das alle verstehen, werden wir diese Lohnschere niemals schliessen können. Wir müssen die alten Muster aus unseren Köpfen kriegen, dass Männern ein höherer Lohn zusteht.
Wie wirkt sich dieses verkrustete Muster auf unser Arbeitsklima aus?
Frustration und Neid sind die Konsequenzen. Je intransparenter Löhne sind, desto mehr haben Angestellte das Gefühl, zu wenig zu verdienen. Es entsteht ein Klima der Unzufriedenheit. Zudem verstösst es gegen den Verfassungsauftrag: Gleicher Lohn für Mann und Frau.
Die Wirtschaft wehrt sich mit Händen und Füssen!
Meines Erachtens ist die Frage nach den Lohnvorstellungen in einem Vorstellungsgespräch ein grosses Problem. Was soll die Bewerberin darauf antworten? Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass Frauen oft weniger Lohn fordern als Männer. Wenn man über Löhne verhandeln kann, gibt es immer noch Arbeitgeber, die denjenigen, die weniger fordern, nur deswegen auch weniger bezahlen. Bei Lohntransparenz gäbe es diese Ungleichbehandlung nicht mehr.
Warum sperren sich die Unternehmen gegen mehr Transparenz?
Nicht alle! Grundsätzlich geben sich Schweizer Unternehmen Mühe, faire Systeme einzuführen. Zudem pflegen wir eine konstruktive Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das ist unser Plus!
Das ist noch lange nicht die Lohntransparenz, die Sie fordern.
Nein, das sage ich auch nicht. Ich meine, wir haben eine gute Basis, die Lohntransparenz mittelfristig und schrittweise einzuführen. Klar, die Wirtschaft muss sich dazu bekennen, sonst bewegt sich nichts. In Österreich oder England müssen die Löhne sogar in den Stellenanzeigen angegeben werden. Das ist der richtige Weg.
Wie sähe eine Schweizer Lösung aus?
Erst einmal sollten wir nicht warten, bis wir durch den Fachkräftemangel gezwungen sind, mehr Transparenz einzuführen, sondern selber das Tempo bestimmen. Und zweitens sollten wir konkrete Schritte überlegen, denn so einen Wandel hin zu einer grossen Transparenz kann nur in mehreren Stufen gelingen.
Also braucht es neue Gesetze?
Nein, es braucht ein Umdenken. Wenn Angestellte ihre Löhne selber transparent machen und wenn beispielsweise auch Pensionskassen als Grossaktionäre von wichtigen Unternehmen die Frage nach Transparenz stellen, werden die Unternehmen umdenken müssen.
Matthias Mölleney (58) wechselte nach 20 Jahren in den Diensten der Lufthansa 1998 in die Schweiz. Dort war er Mitglied der Konzernleitung und Personalchef von Swissair, Centerpulse und Unaxis. Er ist Gastreferent an der Universität St. Gallen und weiteren nationalen und internationalen Hochschulen. Er hat mehrere Schriften zum Thema Personalmanagement veröffentlicht. 2005 gründete er die Beratungsfirma PeopleXpert GmbH in Uster ZH, die sich mit der Entwicklung und Einführung von modernen Personalmanagement-Konzepten beschäftigt sowie Unternehmen und Führungskräfte in Veränderungssituationen berät. Seit Anfang 2010 leitet er das Center for Human Resources Management & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich.
Matthias Mölleney (58) wechselte nach 20 Jahren in den Diensten der Lufthansa 1998 in die Schweiz. Dort war er Mitglied der Konzernleitung und Personalchef von Swissair, Centerpulse und Unaxis. Er ist Gastreferent an der Universität St. Gallen und weiteren nationalen und internationalen Hochschulen. Er hat mehrere Schriften zum Thema Personalmanagement veröffentlicht. 2005 gründete er die Beratungsfirma PeopleXpert GmbH in Uster ZH, die sich mit der Entwicklung und Einführung von modernen Personalmanagement-Konzepten beschäftigt sowie Unternehmen und Führungskräfte in Veränderungssituationen berät. Seit Anfang 2010 leitet er das Center for Human Resources Management & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich.