Instagram schadet Mädchen mehr als Jungs
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Zürcher Studie:Instagram schadet Mädchen mehr als Jungs

Perfektionswahn auf Instagram
Diese Bilder machen Mädchen krank

Die schillernde Welt von Instagram hat auch ihre dunklen Seiten. Durch den Perfektionswahn auf der App fühlen sich Jugendliche in der eigenen Haut nicht mehr wohl. Der Druck hinterlässt Spuren.
Publiziert: 04.05.2019 um 23:42 Uhr
|
Aktualisiert: 11.05.2019 um 10:40 Uhr
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Der Perfektionswahn auf Instagram, das seit 2012 Facebook gehört, wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden von Jugendlichen aus. Besonders auf das von jungen Frauen.
Foto: Instagram
Dana Liechti

Stundenlang lag Lia Beyeler* im Bett und starrte auf ihr Handy. Sah Bilder von Frauen mit makellosem Körper und makellosem Leben. Blickte sie danach in den Spiegel, fühlte sie sich schlecht.

Während in der scheinbar perfekten Welt von Instagram alle glücklich und wunderschön zu sein schienen, kämpfte Lia mit Selbstzweifeln und Essstörungen. «Instagram verstärkte mein Gefühl noch, nicht zufrieden mit mir selbst und meinem Leben zu sein.»

Mädchen sehen sich häufiger Bilder an als Jungs

Wie der heute 21-Jährigen mit den kurzen, kupferfarbenen Haaren geht es vielen Jugendlichen. Denn der Perfektionswahn auf der App, die seit 2012 Facebook gehört, wirkt sich negativ auf ihr Wohlbefinden aus. Besonders auf das von jungen Frauen. Laut der sogenannten James-Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die jedes Jahr die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen untersucht, sehen sich Mädchen häufiger Bilder an und liken häufiger als Jungen.

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Auf Instagram geht es ums Sehen und Gesehenwerden, darum, wer das schönste Gesicht, den tollsten Körper und die meisten Likes hat: Es geht um Bestätigung. Je mehr, desto besser. Gerade bei Mädchen kann dieses Bedürfnis zur Sucht werden.

Oliver Bilke-Hentsch ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Chefarzt der jugendpsy­chiatrischen Modellsta­tion Somosa in Winterthur ZH. Er sagt: «Man weiss mittlerweile, dass 14- bis 16-jährige Mädchen am stärksten betroffen sind.»

«Sie möchte das von Gleichaltrigen hören»

Beim Veröffentlichen ­eines Bildes sei schon das Gespanntsein auf Rückmeldungen eine positive Erfahrung, «egal, wie die dann ausfällt: Ist sie auch noch wohlwollend, umso schöner» – besonders, wenn die Likes von anderen Jugendlichen kommen. «Da können die Eltern der Tochter noch so oft sagen, wie wunderschön sie ist, das bringt nichts. Sie möchte das von Gleichaltrigen hören.»

Das Problem: Häufig bekommen auf Instagram vor allem jene Komplimente, die den gängigen Schönheitsidealen entsprechen. Das schafft ­Unsicherheit. «Ich dachte, um genauso glücklich zu sein wie sie, müsste ich auch so erfolgreich sein und so perfekt aussehen», sagt Lia.

Laut einer britischen Studie der Royal Society for Public Health, die 1500 junge Leute zwischen 14 und 24 Jahren befragte, führt Instagram dazu, dass sich Menschen einsam fühlen, weil sie ständig Bilder von anderen betrachten, die gemeinsam etwas unternehmen. Bei der Hälfte löst die App Angstgefühle aus. Und 70Prozent zweifeln an ­ihrem eigenen Aussehen, wenn sie die durchtrainierten Körper und makellosen Gesichter auf Instagram sehen.

Eine Studie der Malisa-Stiftung aus Deutschland ergab kürzlich, dass Mädchen, die sich auf Instagram darstellen, oft einen sehr kritischen Blick auf ihr Aussehen haben. Folgen sie dann auch noch den Instagramstars, legen sie grösseren Wert darauf, schlank zu sein, und sie bearbeiten ihre Bilder stärker.
Dabei orientieren sie sich an Klischees – und bedienen veraltete Stereotypen. «Entgegen der Erwartung brachte das Internet nur ganz begrenzt ­Aufklärung. Altmodische, konservative und frauenfeindliche Tendenzen sind in den sozialen Medien sehr stark verbreitet», konstatiert der Psychiater ­Bilke-Hentsch.

Das Vergleichen mit Idolen und Gleichaltrigen sei an sich normal. Bei gesunden Jugendlichen, die ein stabiles Netz aus Familie und Freunden haben, muss man sich in der Regel keine Sorgen machen, wenn sie viel Zeit auf Instagram verbringen. Bilke-Hentsch sagt: «Zwar werden sie durch die App ihrem Körper gegenüber kritischer. Aber das ist meistens eine Phase.»

Früher oder später spürten sie, dass ihnen die Vergleiche nicht guttun, und sie distanzierten sich davon. «Diese Jugendlichen wissen, dass sie auch ausserhalb der virtuellen Welt jemand sind.»

Essstörungen und Depressionen

Besonders gefährdet sind jene zehn bis 15 Prozent der Teenager, die ohnehin an Konzentra­tionsproblemen, Schlaf- und Essstörungen oder Depressionen leiden, keinen stabilen Freundeskreis haben oder in schwierigen Familienverhältnissen leben. Junge Menschen wie Lia Beyeler, die zwar aus stabilen Verhältnissen stammt, aber lange an Essstörungen und Depressionen litt: «Ich lag im Bett und habe mir all diese perfekten ­Leben auf Instagram angeschaut, und es einfach nicht geschafft, auf die Beine zu kommen. Es kann jeden treffen.»

Jugendpsychiater Bilke-Hentsch sagt: «Ist ein junger Mensch fest davon überzeugt, nichts wert zu sein und vergleicht sich dann noch immer auf Instagram, erlebt er viel stärker als andere, dass er das nie erreichen kann. Und das schadet.»

Wie dramatisch die Auswirkungen sind, zeigt auch diese Zahl: Die Zahl der Jugendlichen, die beim psychiatrischen Notfalldienst des Kantons Zürich Hilfe suchen, hat sich in den letzten zehn Jahren verzehnfacht.

Mobbing und sexuelle Belästigung

Dagmar Pauli, stellvertretende Direktorin der Zürcher Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie: «Die Zahlen sind Ausdruck einer allgemeinen Jugendkrise, ausgelöst durch den Leistungsdruck und den Druck von Vergleichen in den sozialen Medien.»

Mittlerweile hat Lia In­stagram den Rücken gekehrt – sie hat die App gelöscht. Aus Selbstschutz, sagt sie.

Denn die ständigen Vergleiche mit anderen sind nicht die einzige Gefahr auf Instagram. Viele Jugendliche sind dort auch Mobbing, sexueller Belästigung und sogar dem Risiko des Suizids ausgesetzt. Mobbing ist im Netz schneller und intensiver als in der analogen Welt. Laut der James-Studie wurden 23Prozent der Schweizer Jugendlichen im Netz schon gemobbt, ein Drittel mit unerwünschten sexuellen Absichten angesprochen.

Auf Instagram folgt die nächste App

Und es kommt sogar vor, dass sich magersüchtige oder suizidale Jugendliche auf Instagram gegenseitig zu lebensbedrohlichem Abnehmen oder Selbstverletzen animieren. Psychiater Oliver Bilke-Hentsch: «Die On­linewelt kann niemals ein sicherer Ort sein.»

Während die dunklen Seiten von Instagram allmählich ans Licht kommen, erobert schon die nächste App die Onlinewelt. Die chinesische Kurzvideo-App Tiktok zielt mit Filmchen, Challenges und lustigen Filtern auf ein noch jüngeres Publikum – vor allem 12- bis 13-Jährige werden davon in den Bann gezogen.

Trotz aller Gefahren: Ein Verbot von Instagram und Co. wäre laut Jugendpsychiater Bilke-Hentsch keine Lösung. «Jugendliche verbringen ihr Leben heute hauptsächlich online», sagt er. Es sei darum entscheidend, dass sie sich in der realen und der virtuellen Welt bewegen können.

«Zum Problem wird es dann, wenn sich jemand nur noch in der digitalen Welt wohlfühlen kann und dauerhaft aus der normalen Welt aussteigt.» 

* Name geändert

Hier gehts zum Kommentar von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty.

Tipps und Tricks für Eltern

Sollte man Kindern den Cyberspace nicht einfach verbieten? Die Experten sind sich einig: Nein! Eltern müssen ihre Kinder auf dem Weg in die digitale Welt vielmehr begleiten und sie unterstützen. Nicht das Alter ist entscheidend, sondern dass die Kinder nicht allein sind und sich die Kompetenzen schrittweise aneignen können.

Hier die wichtigsten Tipps und Tricks, damit Ihr Kind nicht in die Suchtfalle gerät:

– Setzen Sie Ihr Kind nicht einfach unbeaufsichtigt der digitalen Welt aus. Versuchen Sie da­ran teilzunehmen, indem Sie sich von Ihrem Kind beispielsweise Videos oder Fotos zeigen lassen, die es besonders cool und lustig oder besonders uncool und blöd findet. Wichtig ist der Austausch. Lassen Sie sich diese Onlinewelt erklären. Sie werden sehen, wie stolz Ihr Kind ist, dass es etwas kennt, wovon Sie keinen Schimmer haben.

– Vereinbaren Sie mit Ihrem Kind eine bestimmte Zeitdauer, während der es online sein darf. Es ist sinnvoll unter der Woche weniger Zeit zur Verfügung zu stellen, dafür am Wochenende etwas mehr.

– Bieten Sie Ihrem Kind genügend attraktive Möglichkeiten, sich auch offline zu engagieren. Vielleicht lassen sich die Online- und Offlinewelt miteinander verbinden? So könnte Ihr Sprössling seinen neusten Fussballtrick in einem coolen Video zeigen.

– Führen Sie feste Offlinetage im Monat ein, wo keiner – auch Sie nicht! – zum Smartphone greift. Gehen Sie mit Ihren Kindern wandern oder im Wald spazieren, ohne GPS. Bringen Sie Ihrem Kind bei, wie man eine Karte liest.

– Schicken Sie Ihr Kind vor dem 15. Geburtstag mindestens einmal in ein Reitlager! Da lernt es, wie man ein Pferd führt und wie lebensnotwendig es ist, sich an Regeln zu halten. Die 500 Franken werden Sie nur zu gerne investieren, wenn Ihr Kind rotbäckig und voller Lebensfreude wieder nach Hause kommt.

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