Patrizia Laeri #aufbruch
Kranke Start-up-Welt

Männliche Kapitalgeber bevorzugen männliche Gründer. Und entscheiden damit an der Gesellschaft vorbei, schreibt Patrizia Laeri.
Publiziert: 07.03.2018 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:40 Uhr
2017 haben Investoren 98 Prozent ihres Geldes in Gründer und 2 Prozent in Gründerinnen investiert.
Foto: Jamie Grill
Patrizia Laeri

Warnung: Es wird intim. 

Haben Sie geboren? Sind Sie seither inkontinent? Kate Winslet ist es. Die Hollywood-Schauspielerin und dreifache Mutter hat dieses Tabu-Thema als Erste gebrochen. «Es ist verdammt fies: Du niest, und schon machst du dich nass. Wenn du ein paar Kinder in die Welt gesetzt hast, passiert das einfach.»

Hatten Sie Prostata-Krebs? Und ist seither eine Erektion unmöglich? Tatsächlich erhält jeder zehnte Mann in seinem Leben die Diagnose Prostatakrebs. In der Hälfte der Fälle gelingt keine Operation ohne Schädigung der Penisnerven.

An einem Start-up-Anlass, den ich leitete, präsentierten Forscher für beide Fälle Hoffnung. Die Inkontinenz-Forscherin arbeitete an einer Lösung für die Frauenkrankheit: einem Stoff, der per Spritze die Blasenmuskel wieder anregt und Betroffene lebenslang heilen kann. Der Erektions-Forscher arbeitete an einem nervenstimulierenden Implantat, um das Männerproblem in den Griff zu bekommen.

Für wen haben sich die 11 Jurymitglieder entschieden? 10 waren für das Viagra-Start-up, eines für das Kate-Winslet-Start-up. Die 10 Jurymitglieder waren männlich, das eine Jurymitglied weiblich.

Wie bitte? Könnte es sein, dass die hochkarätige Jury gelenkt war durch eigene Betroffenheit? Oder haben die 10 männlichen Jurymitglieder kühl gerechnet? Ich rechnete also selber nach. 

Tatsächlich gibt es 200 Millionen Frauen wie Kate Winslet. Dazu kommen Millionen älterer Menschen, Männer wie Frauen, die inkontinent sind. Bei den Männern, die Prostatakrebs überleben, haben danach maximal 80 Millionen Erektionsstörungen. Das reine Marktpotenzial ist beim Inkontinenz-Fall ein Vielfaches höher. Aber das Viagra-Start-up gewinnt.

Dies zeigt symptomatisch, woran auch die Start-up-Welt krankt. Die Wirtschaft entscheidet in solch unausgewogenen Strukturen an der Gesellschaft vorbei. Männliche Investoren bevorzugen männliche Gründer. Letztes Jahr haben sie 98 Prozent ihres Geldes in männliche und 2 Prozent in weibliche Gründerinnen investiert. Dabei stützen sie sich oft auf Preise, die Männer-Jurys, die männliche Ideen bevorzugen, verleihen. 

Alle Hoffnungen für Betroffene wie Kate Winslet und mich liegen im Crowdfunding. Denn Zahlen zeigen: Im wirklich freien Wettbewerb bevorzugt die Masse die Ideen der Frauen. Weil da alle Betroffenen mitreden.

Die Ökonomin Patrizia Laeri (40) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von SRF-Börse und ECO sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt alle zwei Wochen für BLICK.

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