Die US-Computer-Firma Apple brauchte 42 Jahre, bis sie eine Billion Dollar wert war. Dann kam die Pandemie – und es wurden zwei Billionen daraus. Big Tech boomt.
2020 steigerte Google den Gewinn um 20 Prozent, Microsoft um 30 und Amazon um 100 Prozent. Auch der Gewinn von Netflix pulverisierte mit einem Plus von 76 Prozent die Erwartungen. Der US-Streamingdienst begrüsste im letzten Jahr 37Millionen neue Abonnenten. 204 Millionen sind es nun weltweit, über zwei Millionen in der Schweiz.
Die Aktienkurse der Internetriesen schiessen durch die Decke. Der US-Technologie-Index Nasdaq stieg seit letztem März um 44 Prozent. «Big Tech treibt die Börsen an», sagt Adriel Jost (35), Ökonom und Partner bei der Wirtschaftsberatung WPuls. «Die Kurse steigen weiter. Denn kein Anleger will den Zug verpassen, und Geld ist dank Notenbanken und Regierungen genügend vorhanden.»
Die Techbranche profitiert, weil Corona die Menschen in die Onlinewelt schickt. Der Druck auf die heimische Computer-Infrastruktur steigt – was auch Logitech in neue Dimensionen katapultiert: Der Schweizer PC-Hersteller kommt kaum noch nach mit der Produktion von Tastaturen, Mäusen, Webcams und Gaming-Produkten.
Logitech steigerte den Umsatz um 85 Prozent und den Gewinn um 248 Prozent. Die Aktie verteuerte sich im letzten Jahr um 144 Prozent.
«Schon vor einigen Jahren haben wir vier Megatrends identifiziert», sagt Bracken Darrell (67), Präsident und CEO von Logitech, zu SonntagsBlick. «E-Sport produziert Grossereignisse für Teilnehmer und Zuschauer, die Arbeit findet nicht mehr nur im Büro statt, Videokonferenzen nehmen zu und Milliarden von Menschen produzieren fortlaufend Inhalte im Netz.»
Corona habe diese Trends nicht ins Leben gerufen, so Darrell. «Aber die Pandemie hat sie beschleunigt.» Was heisst das für Logitech? «Ganz einfach», sagt Darrell: «Es bedeutet Wachstum.»
Auch kleine Techfirmen profitieren
Logitech sei ein klarer Krisenprofiteur, sagt Caroline Hilb (43), Leiterin Anlagestrategie und Analyse bei der St. Galler Kantonalbank. «Aber der Techtrend treibt auch die Umsätze von kleineren Schweizer Firmen in die Höhe.» So profitiert der Geräte- und Softwarebetreiber ALSO aus Emmen LU vom Digitalisierungsschub bei den KMU. Das Stanser IT-Unternehmen SoftwareOne bietet neben Cloud-Lösungen und Software-Lizenzen auch Sicherheitslösungen an.
«Damit liegen sie jetzt genau richtig», sagt Caroline Hilb. «Denn Corona ist ein Treiber der Cyberkriminalität, weil mehr Nutzung auch mehr Angriffsfläche bedeutet.» Seit März hat sich der Aktienwert von SoftwareOne verdoppelt.
In der Pandemie wächst das Internet der Dinge: Vom Kühlschrank bis zur Waschmaschine – kein neues Haushaltsgerät kommt mehr ohne Touchscreen und Verbindung zum Smartphone daher.
Jedes dieser Geräte hat eine Vakuumkammer. Nur logisch also, dass die Aktien von VAT seit letztem März von 107 auf 275 Franken schnellten: Das Halbleiter-Unternehmen aus Haag SG stellt Vakuumventile her, welche die Vakuumkammern regulieren. Die Firma Inficon aus Bad Ragaz SG wiederum produziert Geräte, die das Vakuum messen. Ihr Aktienwert hat sich seit März verdoppelt.
Aber nicht nur börsenkotierte IT-Unternehmen wachsen. 2020 wurden 2,1 Milliarden Franken in Schweizer Start-ups investiert. «Der Boom ist mit Händen greifbar», sagt Max Meister (42), Mitinhaber der Swiss Startup Group. «Tech ist wegen Corona auch in der Start-up-Branche zu einem Megatrend geworden.»
Alexander Renner (30) reitet erfolgreich auf dieser Welle mit. 2018 gründete er zusammen mit Mladjan Filipovic (33) die Umzugsplattform Moveagain. 5000 Zügelfirmen organisieren in der Schweiz jährlich 500'000 Umzüge. Doch viele von ihnen haben keine Website. «Das Kerngeschäft dieser Firmen ist der Transport», sagt Renner. «Wir übernehmen für sie die Digitalisierung.»
Auf der Plattform können die Kunden in wenigen Minuten einen kompletten Umzug buchen. «Wir finden für sie die passende Firma und den besten Preis», sagt Renner. Über 70 Zügelfirmen in der ganzen Schweiz sind bereits Partner von Moveagain. 2018 organisierte das Start-up einige Hundert Umzüge. 2020 waren es 5000. «Ein Online-Umzug ist so kontaktlos wie möglich», sagt Renner. «Da hat uns Corona natürlich in die Hände gespielt.»
Detailhandel leidet
Für viele Firmen bedeutet der Techboom allerdings eine Gefahr. Das gilt besonders im Handelsgeschäft, wo Amazon und Zalando Druck machen.
«Nicht alle Händler schaffen den Strategiewechsel vom traditionellen Handelsunternehmen zu einem zukunftsträchtigen Geschäftsmodell», sagt Alexandra Scherrer (29), E-Commerce-Expertin beim Beratungsunternehmen Carpathia. «Wer vom Techboom profitieren möchte, muss massiv in den Onlinebereich investieren, datengetrieben agieren und alte Strukturen abbauen.»
Ein erfolgreiches Beispiel sei der Medienanbieter Ex Libris: «Aus dem stationären Buchhändler mit einem Onlineshop ist ein Onlinehändler geworden, der noch 14 Filialen führt.»
Schöne neue Techwelt? «Noch nicht ganz», sagt Dirk Helbing (56), ETH-Professor für Computational Social Science. Zwar würden die Techfirmen an der Pandemie Milliarden verdienen. «Aber wir haben es nicht einmal fertiggebracht, einfache Plattformen für Krisenmanagement und Nachbarschaftshilfe bereitzustellen.»
Helbing warnt: «Big Tech dringt immer weiter in unser Leben vor – vielleicht schon bald bis in unseren Körper.» Der Überwachungskapitalismus könne zum Neurokapitalismus werden, sagt Helbing. Winzigste Nanoroboter im Körper würden dann Daten sammeln und versenden. «Manche Techfirmen möchten sogar unsere Gedanken und unser Verhalten steuern.»
Das würde die Entwicklung der Menschheit unwiederbringlich verändern, sagt Helbing. «Sollten wir nicht wenigstens darüber abstimmen?»