Kaum ist die Fussballeuropameisterschaft vorbei, beginnt am Freitag, 26. Juli das nächste Sportgrossereignis. Die Olympischen Sommerspiele von Paris werden Heerscharen von Gästen in die französische Hauptstadt locken und der lokalen Wirtschaft einen Boost bescheren. Restaurants und Hotels können sich auf einen Andrang gefasst machen. Doch einen noch grösseren Effekt haben die Spiele auf die Schweiz, genau genommen auf das hiesige Bruttoinlandprodukt (BIP).
Denn das Internationale Olympische Komitee IOC hat seinen Sitz in Lausanne. Dort, in einem extravaganten Neubau neben einem alten Schlösschen unten am Genfersee, laufen die Fäden zusammen. Folglich werden dort auch die Einnahmen verbucht, die das IOC durch den Verkauf der Übertragungs- und Markenrechte erzielt. Und deshalb fliessen sie in die Berechnung des Bruttoinlandprodukts ein.
Verkauf der Rechte vergleichbar mit Export
Aus Sicht der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung seien Einkünfte aus immateriellen Gütern wie Lizenzen, Rechten oder Patenten kein Spezialfall und spielten in vielen Branchen wie zum Beispiel der Pharma eine wichtige Rolle, schreibt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) dazu. Dementsprechend seien Lizenzerträge, die aus der Vermarktung von grossen internationalen Sportveranstaltungen erzielt werden, nicht anders zu behandeln als andere Lizenz- und Patenteinnahmen.
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Der Verkauf der Rechte sei vergleichbar mit dem Export einer Dienstleistung, erklärt das Seco auf Anfrage. Und solche Dienstleistungsexporte sind Teil der Wertschöpfung im Land.
Riesige Schwankungen von Jahr zu Jahr
Das Problem bei den Einnahmen sind die grossen jährlichen Schwankungen. In den geraden Jahren, wenn Sommer- oder Winterspiele stattfinden, nimmt das IOC viel mehr ein als in ungeraden Jahren. Ausnahme war 2021, als wegen Corona die abgesagten Sportevents von 2020 nachgeholt wurden. Dieses Jahr dürfte die Olympischen Sommerspiele dem Komitee rund 5 Milliarden Dollar einspielen, nach mageren 700 Millionen im letzten Jahr.
Was den Effekt verstärkt: In geraden Jahren finden jeweils auch die grossen Fussballturniere statt. Auch die Uefa und die Fifa, die versetzt alle vier Jahren die Europa- und Weltmeisterschaften organisieren und vermarkten, haben ihren Sitz in der Schweiz.
Während die Einnahmen der Uefa dank der jährlichen Champions-League nicht so stark schwanken, stellen vor allem die Weltmeisterschaften der Fifa die Statistiker vor Herausforderungen. Im WM-Jahr 2022 zum Beispiel verbuchte die Fifa-Zentrale am Zürichberg Einnahmen in der Höhe von 5,7 Milliarden Dollar, rund sechsmal mehr als in WM-freien Jahren.
Extraeinnahmen in geraden Jahren
Ein paar Milliarden sind kein Pappenstiel bei einem BIP von rund 800 Milliarden. «Für ein kleines Land wie die Schweiz sorgen diese Einnahmen für Schwankungen des BIP, die nichts mit dem eigentlichen Konjunkturverlauf zu tun haben», sagt Alexander Rathke von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF).
Deshalb berechnen die KOF und das Seco zusätzliche Zeitreihen des BIP, die um die Effekte internationaler Sportgrossanlässe bereinigt sind. Dazu wird die geschätzte Wertschöpfung, die durch die Sportanlässe anfällt, symmetrisch rund um das Eventjahr verteilt. So werden die Reihen geglättet.
Spitzenjahrgang 2024
2024 dürfte in puncto Sportrechteeinnahmen ein weiteres Spitzenjahr werden. Zu den 5 Milliarden Dollar des IOC kommen noch geschätzte 6 Milliarden der Uefa und knapp 1 Milliarde der Fifa dazu. Macht rund 12 Milliarden Dollar – das ist doppelt so viel wie die Gesamteinnahmen der drei Organisationen letztes Jahr.
«Durch die beiden Grossanlässe nimmt das Schweizer BIP um 0,4 Prozentpunkte mehr zu», schätzt Rathke von der KOF. Ohne die beiden Wettkämpfe würde das BIP dieses Jahr gemäss der KOF-Konjunkturprognose um 1,2 Prozent steigen, mit den beiden Events beträgt die Steigerungsrate 1,6 Prozent.
Nächstes Jahr, wenn keine Olympischen Spiele und kein grosses Fussballturnier stattfinden, wird das unbereinigte BIP wiederum bescheiden ausfallen.
Wegzug von Fifa ohne grosse Wirkung
Gewiss haben die Fifa, die Uefa und das IOC auch eine echte volkswirtschaftliche Bedeutung für die Schweiz. Sie sind wichtige Arbeitgeber mit insgesamt rund 2000 Stellen. Sie kaufen Dienstleistungen ein, zum Beispiel, wenn sie ein Gebäude renovieren. Sie bezahlen auch Steuern, wenn auch etwas weniger als normale Unternehmen, da sie teilweise steuerbefreite Vereine sind. Aber das alles verblasst im Vergleich zu den Milliarden, die sie mit den Übertragungsrechten einnehmen.
Deshalb hätte ein Wegzug der Fifa, wie es die neuen Statuten zulassen würden, keinen spürbaren Effekt auf die Schweizer Wirtschaft, sondern nur auf die Berechnung des BIP. Und dies auch nur dann, wenn neben dem Hauptsitz auch die Einheit verlegt wird, die die Veranstaltungen organisiert und die Rechte verwaltet. «Dass viele grosse Sportorganisationen ihren Sitz in der Schweiz haben, ist eine schöne Sache, aber nicht zentral für den Wohlstand der Schweiz», so Rathke.
Ähnliche Probleme in Irland
Auch andere Länder kennen das Phänomen der schwankenden Einnahmen: Grossbritannien beheimatet etwa den Welttennisverband ITF. Der Effekt fällt aber aufgrund der Grösse des BIP nicht ins Gewicht.
In Irland wird das BIP durch interne Kapitalbewegungen durch globale Konzerne verzerrt, sowie durch die vielen Flugzeugleasinggesellschaften und andere Briefkastenfirmen, die dort registriert sind. Auch die irischen Statistiker berechnen daher ein modifiziertes Bruttonationaleinkommen, um die Konjunktur besser zu erfassen.
Es zeigt sich einmal mehr: Das BIP als Standardmass vermittelt ein grobes Bild der Wirtschaftsleistung. Um die wahren Stärken einer Volkswirtschaft zu erfassen, reicht es aber nicht.