Mit der Wirtschaft ist es wie mit einem Motor: Läuft er zu schnell, droht er zu überhitzen, läuft er zu lange, drohen Verschleisserscheinungen. Genau das lässt sich nun in der Weltwirtschaft beobachten: In den USA – der grössten Volkswirtschaft der Welt – ebenso wie in der Schweiz, wächst die Wirtschaft seit 2010 Jahr für Jahr nicht spektakulär, aber stetig. So ein langer Wachstumszyklus ist eher ungewöhnlich, meist sind die Wachstumsphasen heftiger, aber kürzer. Deshalb zeigen sich nun Verschleisserscheinungen: «Der globale Wachstumszyklus dauert schon sehr lange und wird sich abschwächen» sagt Marc Brütsch, Chefökonom der Swiss Life.
«Das spürt auch die Schweizer Wirtschaft»
Die Schweizer Wirtschaft wächst 2019 deutlich langsamer. 2018 läuft zwar noch alles rund, Ökonomen gehen von einem Wachstum der Schweizer Wirtschaft von 2,1 bis 2,4 Prozent aus. Doch 2019 beginnt der Konjunkturmotor zu stottern! Die von BLICK befragten Experten rechnen noch mit einem Wachstum der Schweizer Wirtschaft von 1,2 bis 1,8 Prozent. Die Experten sehen schwarz: «Wir sollten uns über das momentane Wachstum freuen. Es kommen unsicherere Zeiten auf uns zu», sagt Thomas Stucki (55), Anlagechef der St. Galler Kantonalbank. Der Grund: «Die Zinsen in den USA steigen», so Stucki. «Das bremst das Wachstum und vermindert die Nachfrage nach ausländischen Produkten, auch aus der Schweiz.»
Risikofaktor Finanzmärkte
Noch bremst der Streit um Einfuhrzölle zwischen den USA und China die Weltwirtschaft nur leicht. Doch das kann sich bei der Unberechenbarkeit von US-Präsident Donald Trump jederzeit ändern. Das wäre schlecht für die Schweizer Wirtschaft: «Die Schweiz ist das europäische Land mit dem höchsten Exportanteil nach China», erklärt Brütsch. Martin Neff (58), Chefökonom von Raiffeisen, hat noch einen weiteren Risikofaktor ausgemacht: «Beunruhigt bin ich wegen der Finanzmärkte. Die haben all die kleinen Krisen locker weggesteckt, das wird nicht ewig so weitergehen.» Was den nächsten Börsencrash auslösen könnte, weiss niemand so genau.
Konsumenten haben schlechte Laune
Interessant: Für die Weltwirtschaft sind die Wirtschaftskrise in der Türkei oder der im März 2019 anstehende Brexit Lokalereignisse ohne grossen Einfluss auf den globalen Konjunkturmotor. Aber je nachdem mit Einfluss auf den Schweizer Franken. Noch im März war der Euro 1.20 Franken wert, heute noch 1.14. Der Euro schwächelt, der Franken gewinnt an Stärke: «Der wieder stärkere Franken wird das Geschäft der Exportindustrie etwas belasten», prophezeit Stucki. Und: «Im Detailhandel wird der Einkaufstourismus wieder zum Thema.»
Erstaunlicherweise ist die Stimmung bei den Konsumenten gar nicht so gut, wie sie aufgrund der brummenden Wirtschaft sein müsste. Viele haben das Gefühl, sie könnten kein Geld auf die Seite legen. Das hemmt die Ausgabefreude –schlecht für den Konsum, die wichtigste Stütze der Binnenwirtschaft. Der Wechselkurs ist in der Industrie immer ein Thema. Andere Dinge beschäftigen die Firmen noch mehr, sagt Neff: «Wichtiger ist die Erschliessung neuer Absatzmärkte oder die Steigerung der Produktivität.» Doch das braucht Zeit und Geld, solche Investitionen wirken sich mit Verzögerung auf das Wachstum aus. 2019 wird die Schweizer Wirtschaft eine Verschnaufpause einlegen. Eine Gelegenheit, um Verschleisserscheinungen am Konjunkturmotor auszubessern.