Ökonom Niko Paech will mit radikalem Verzicht die Welt retten
«Ich bin gern ein Spielverderber»

Der Ökonom Niko Paech will die Welt retten. Wer es ihm gleichtun will, kann die nächsten Strandferien in Thailand gleich vergessen. Dafür warten Glücksgefühle anderswo, verspricht Paech.
Publiziert: 25.11.2017 um 16:18 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:10 Uhr
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Er ist einer der umstrittensten Ökonomen im deutschsprachigen Raum.
Foto: Sabine Wunderlin

Haben Sie auch schon mal eine Avocado ­gegessen?
Niko Paech:
 Selten. Wenn es sie auf einem Buffet gab, habe ich das auch schon getan.

Hatten Sie ein schlechtes ­Gewissen?
Nein, weil ich üblicherweise keine Avocado kaufe.

Sie könnten eine Bio-Avocado kaufen.
Das löst das Problem nicht. Der ­Anbau und Transport verursacht viele ökologische Schäden. Warum Avocados essen, wenn wir genug eigenes Obst und Gemüse haben?

Sie predigen einen radikal bescheidenen Lebensstil. Sind Sie nicht einfach ein Spielverderber?
Wenn das Spiel, das ich verderbe, ein zerstörerisches ist, bin ich gern ein Spielverderber.

Was passiert, wenn wir nicht ­umdenken? Machen Sie mir mal ein bisschen Angst.
Wenn wir so weiterleben, werden wir in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten Ressourcen-Engpässe erleben. Wir stürzen dann von einem relativ hohen Sockel, weil wir nicht geübt haben, genügsamer zu sein. Der Wohlstand hat uns verletzlich gemacht.

Was heisst das für mich?
Werden die Ressourcen knapper, werden sie auch teurer. Das heisst, die Produkte, die daraus entstehen, werden auch teurer. Das bedeutet, dass unsere Kaufkraft geringer wird. Das kann zu Arbeitslosigkeit führen, weil die Nachfrage zurückgeht, und dann kann es zu Verteilungskonflikten kommen. Eine Gesellschaft, die nie gelernt hat, damit umzugehen, kann in Radikalismus abdriften.

Mir wird ständig gesagt: Konsumiere, um glücklich zu sein.
Die Glücksforschung verneint das, also muss man sich fragen: Habe ich ein Hirn, bin ich aufgeklärt?

Wie das jetzt?
Wenn ich unmoralische und selbstzerstörerische Dinge tue, kann ich mich doch nicht rausreden, dass ­irgendein Werbefachmann neben mir steht und mir einflüstert, dass ich das tun soll.

Das ist aber tief in uns drin: Ich kaufe mir etwas Schönes, wenn ich frustriert bin.
Wenn wir die Menschheits­geschichte anschauen, ist das Zeitalter des Konsums sehr jung. In meiner Kindheit habe ich noch nachhaltigen Konsum erlebt. Wir haben innerhalb weniger Jahre all die Konsumaktivitäten kultiviert, die den Planeten umbringen. Und nun tun wir so, als sei das tief in uns verwurzelt.

Wie viele Paar Hosen besitzen Sie?
Vier. Zwei Paar Jeans, eine Cargo-Hose und eine Handwerker-Hose.

In welchem Bereich könnten Sie Ihren Konsum noch runterschrauben?
Das ist schwierig für mich. Ich habe mir umweltschädigende Konsum­aktivitäten nie angewöhnt. Ich bin jetzt 56 Jahre alt und bin erst einmal geflogen. Ich habe kein Auto, esse seit 35 Jahren kein Fleisch, habe kein Mobiltelefon, keinen eigenen Laptop, habe nie Kleider im grossen Stil gekauft und glaube trotzdem, dass ich nicht schrecklich unmodern aussehe.

Sie sind also perfekt.
Nein, ich bin kein Heiliger. Ich sollte weniger ins Internet gehen, weniger Kaffee trinken, und manchmal ein Weizenbier weniger wäre auch nicht falsch.

Einkaufen macht Ihnen keinen Spass?
Doch natürlich.

Wirklich?
Ja, weil ich nicht oft einkaufe. ­Erst wenn der zeitliche Abstand zwischen zwei Konsumaktivitäten ausgedehnt wird, macht es Spass einzukaufen. Die Entwertung der Genüsse durch zu häufigen Konsum ist das Problem.

Wenn alle leben würden wie Sie, würde alles zusammenbrechen.
Es gibt viele Dinge, die sollten ­ruhig zusammenbrechen.

Zum Beispiel?
Der Flugverkehr, die deutsche ­Automobilindustrie, die Kohle­industrie. Das sind sehr zerstöre­rische Industriezweige.

Was ist der Ausweg?
Bei meinem Konzept der Postwachstumsökonomie würde ein Teil der Industrie zurückgebaut, während andere Bereiche eine neue Blüte erleben würden – das Handwerk, die Reparaturbetriebe, die ökologische Landwirtschaft.

Sie wollen, dass wir weniger ­arbeiten?
Genau, statt 40 Stunden arbeiten wir nur noch 20 Stunden. Das heisst: Wir haben weniger Geld, ­dafür mehr Zeit. Wir sind also nur noch zur Hälfte von der industriellen Wirtschaft abhängig. Die andere Hälfte können wir selbst gestalten.

Und was tun wir in der anderen Hälfte?
Wir nutzen die Zeit, um gemeinsam in Gärten zu wirtschaften, um Dinge zu reparieren, zu tauschen und einander auszuleihen.

Ich muss mein eigenes Gemüse anbauen?
Wir müssen Netzwerke aufbauen. Nicht jeder muss alles können. Ich kann beispielsweise Fahrräder und Möbel reparieren. Mein Nachbar hat eine Waschmaschine. Ich repariere also das Fahrrad seines Kindes und wasche dafür bei ihm. Einem anderen Nachbarn repariere ich den Tisch und bekomme dafür Gemüse aus seinem Garten.

Sie sind ein Träumer!
Diejenigen sind Träumer, welche die derzeit stattfindende Mobilitäts- und Konsumorgie für zukunftsfähig halten und glauben, wir könnten das noch 20 Jahre durchhalten. Was ich hier darlege, ist keine Utopie, sondern der letzte verbliebene Realismus.

Mobilität, insbesondere das ­Fliegen, ist umweltschädlich. Aber es ist viel billiger, mit dem Flugzeug nach Madrid zu reisen als mit dem Zug.
Eine Bank auszurauben, ist viel günstiger, als arbeiten zu gehen. Ich halte es für unmoralisch und verkommen, wenn aufgeklärte Zeitgenossen etwas tun, wovon sie wissen, dass es absolut schädlich ist. Es aber trotzdem tun, weil es billig ist. Wissen Sie, was noch günstiger ist, als nach Madrid zu fliegen?

Hinzulaufen?
Nicht nach Madrid zu reisen. Das billigste Haus ist das, das ich nicht baue. Das billigste Fleisch das, das ich nicht esse. Das billigste Smartphone das, ...

... das ich nicht kaufe. Ich habe verstanden. Sagen Sie, waren Sie schon mal in China?
Nein.

Viele Chinesen würden sich keine Sekunde überlegen, ob sie sich ein Haus oder ein neues Auto kaufen sollen, wenn sie es sich leisten könnten. Die Chinesen allein sind schon fast doppelt so viele Menschen wie wir hier in Europa. Was bringt es also, wenn ich anpflanze, ­tausche und repariere?
Was ist das denn für eine Aussage! Dass wir uns nicht ändern müssen, weil es die Chinesen gibt? Wenn man sich in Afghanistan die Schädel einschlägt, müssen wir das auch tun? Wir müssen uns fragen, was der Grund dafür ist, dass die Chinesen ein Lebensziel anpeilen, von dem wir wissen, dass es öko­logisch nicht durchhaltbar ist. Der Grund sind wir.

Wir?
Durch unsere Reisen, unsere Massenmedien und durch unser vorgelebtes Beispiel infizieren wir diese Kulturen mit dem Virus der Konsumgesellschaft. Wenn wir hier in Europa nicht ein Leben vorzeigen, das übertragbar ist, müssen wir uns auch nicht beklagen, dass die restliche Welt unserem Beispiel nacheifert.

Wer reist, erweitert seinen ­Horizont.
Das halte ich für eine Ideologie. Ausserdem: Mit welchem Recht konsumieren wir ständig neue Erlebnisse, die zerstörerischer nicht sein könnten? Sie leben in einem der schönsten Länder der Welt – warum reicht Ihnen das nicht?

Verzichten ist der Luxus derer, die alles haben.
Es geht nicht um Verzicht.

Doch.
Ein Mensch kann nicht auf Dinge verzichten, die ihm nie gehört haben. Stellen Sie sich einen Bankräuber vor, der zu weinen beginnt, weil er dem Polizisten vorwirft, er habe ihm den Verzicht, Banken auszurauben, auferlegt. Kein Mensch in der Schweiz kann von sich behaupten, dass er den Wohlstand erarbeitet hat, den wir uns angedeihen lassen. Das ist kein ehrlich verdienter, sondern geplünderter Wohlstand. Das Zeitalter der Aufklärung hat auch das Prinzip der Verantwortung mit sich gebracht. Und noch was: Wir haben noch nie so viel konsumiert und waren noch nie weniger glücklich. Die Orientierungslosigkeit und der Stress haben zugenommen. Die Schweiz hat weltweit eine der höchsten Suizidraten.

Wären wir also glücklicher, wenn wir auf Sie hören würden?
Etwas aus eigener Kraft gemacht zu haben, lässt einen Menschen psychisch stabil werden und Glücksgefühle erleben.

Es ist utopisch zu glauben, dass sich unsere Gesellschaft so fundamental ändern könnte.
Es geht nicht darum, von heute auf morgen Massen zu erreichen, sondern einen Veränderungsprozess in den Nischen zu beginnen. Bewährt sich eine Daseinsform in den Nischen, besteht die Chance, dass der Rest Notiz davon nimmt, inspiriert wird und sich anschliesst.

Was soll ich nun tun?
Mithilfe eines Online-CO2-Rechners schauen, wie hoch Ihr jährlicher CO2-Ausstoss ist. Wenn wir auf diesem Planeten überleben wollen, dürfen wir pro Jahr nicht mehr als 2,5 Tonnen CO2 verursachen.

Wie hoch liegt Ihr jährlicher CO2-Verbrauch?
Derzeit bei fünf Tonnen.

Aha!
Das ist, weil ich beruflich oft mit dem Zug reisen musste, da das ­Thema Postwachstumsökonomie in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Zuvor habe ich allerdings auf einem sehr tiefen Niveau gelebt. Deshalb liege ich im Lebensdurchschnitt – und um den geht es – eben nicht oberhalb des anzupeilenden Wertes.

Haben Sie Hoffnung für unsere Welt?
Es geht nicht um Hoffnung, ­sondern um Anstand. Wir müssen uns entscheiden, ob wir Barbaren oder aufgeklärte Menschen sein wollen.

Persönlich

Er ist einer der umstrittensten Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Denn während Niko Paech für einige eine Ikone ist, die aufzeigt, wie eine Welt ohne ständiges Wirtschaftswachstum aussehen könnte, ist er für andere schlicht ein Spinner mit unrealistischen Ideen. Letzterer Meinung sind viele klassische Ökonomen. Bis 2016 hatte Paech eine Professorenstelle an der Universität Oldenburg inne. Heute lehrt er dort noch Umweltökonomik und an der Uni Siegen Alternatives Wirtschaften und Nachhaltigkeit. Paech ist 56 Jahre alt und wohnt im deutschen Oldenburg.

Er ist einer der umstrittensten Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Denn während Niko Paech für einige eine Ikone ist, die aufzeigt, wie eine Welt ohne ständiges Wirtschaftswachstum aussehen könnte, ist er für andere schlicht ein Spinner mit unrealistischen Ideen. Letzterer Meinung sind viele klassische Ökonomen. Bis 2016 hatte Paech eine Professorenstelle an der Universität Oldenburg inne. Heute lehrt er dort noch Umweltökonomik und an der Uni Siegen Alternatives Wirtschaften und Nachhaltigkeit. Paech ist 56 Jahre alt und wohnt im deutschen Oldenburg.

15'000 Wissenschaftler warnen vor Umweltzerstörung

Dass es um unsere Umwelt nicht gut bestellt ist und sich rasch etwas ändern muss, sagen nicht nur Niko Paech und andere Vertreter der Postwachstumsökonomie. Mit der gleichen Botschaft haben sich letzte Woche auch 15'000 Wissenschaftler aus 184 Ländern an die Öffentlichkeit gewandt. Sie sind überzeugt, dass es grossen öffentlichen Druck auf die Politik braucht, damit das Ruder noch herumgerissen werden kann. In der im Fachjournal «BioScience» veröffentlichten Warnung listen die Autoren als mögliche Massnahmen eine Ausweitung der Schutzzonen, bessere Familienplanung und mehr Bildung für Frauen auf. Gefördert werden sollen vegetarische Ernährung, erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien. Zugleich haben sich in den vergangenen zehn Tagen am Klimagipfel in Bonn auch Staatspräsidenten aus aller Welt über den Umweltschutz unterhalten. Bundeskanzlerin Merkel bezeichnete den Klimawandel als «die Schicksalsfrage der Menschheit».

Dass es um unsere Umwelt nicht gut bestellt ist und sich rasch etwas ändern muss, sagen nicht nur Niko Paech und andere Vertreter der Postwachstumsökonomie. Mit der gleichen Botschaft haben sich letzte Woche auch 15'000 Wissenschaftler aus 184 Ländern an die Öffentlichkeit gewandt. Sie sind überzeugt, dass es grossen öffentlichen Druck auf die Politik braucht, damit das Ruder noch herumgerissen werden kann. In der im Fachjournal «BioScience» veröffentlichten Warnung listen die Autoren als mögliche Massnahmen eine Ausweitung der Schutzzonen, bessere Familienplanung und mehr Bildung für Frauen auf. Gefördert werden sollen vegetarische Ernährung, erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien. Zugleich haben sich in den vergangenen zehn Tagen am Klimagipfel in Bonn auch Staatspräsidenten aus aller Welt über den Umweltschutz unterhalten. Bundeskanzlerin Merkel bezeichnete den Klimawandel als «die Schicksalsfrage der Menschheit».

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