Am 18. August 1913 landet die Roulette-Kugel im Casino von Monte Carlo auf Schwarz – und zwar ganze 26 Mal hintereinander. Immer mehr Gäste sammeln sich um den Tisch, und sie beginnen auf Rot zu setzen. Der Gedanke: Jetzt muss ja mal die andere Farbe kommen!
Doch es bleibt bei Schwarz. Während das Casino an diesem Abend ein Vermögen scheffelt, sehen die Zocker schwarz. Weil sie immer überzeugter immer höhere Beträge auf Rot setzen, sind die meisten schon längst pleite, als endlich beim 27. Mal die Kugel das erste Mal wieder auf einem roten Feld zum Stehen kommt.
Viele setzen auf überraschende Ereignisse
Das Beispiel veranschaulicht, wie falsch wir Menschen Wahrscheinlichkeiten einschätzen, weil uns der Bauch was anderes sagt. Bei Pferderennen ist das nicht anders. Dort konnten Mathematiker, die sich oft mit Wettspielen befassen (siehe Kasten), berechnen, dass die Gewinnchancen von Aussenseitern meist überschätzt werden. Das führt dazu, dass deren Gewinnquoten tiefer sind, als sie gemäss ihren Siegeschancen sein sollten. Mathematisch lohnt es sich also nicht, auf Aussenseiter zu wetten. Viele tun es trotzdem, weil sie auf überraschende Ereignisse fokussieren und in der Folge deren Wahrscheinlichkeit überschätzen.
Diese Fehleinschätzungen gibt es aber nicht nur beim Glücksspiel. Viele fürchten sich davor, mit einem Flugzeug abzustürzen. Dagegen unterschätzt man häufig das viel grössere Risiko, einen Autounfall zu haben – aber eben auch an der Börse Gewinne zu machen. Gleichzeitig kreuzen viele Menschen Lotto-Scheinli mit dem Gefühl an, diesmal abzuräumen. Doch wie der Bund letzte Woche bekannt gab, wurden im Jackpott-Rekordjahr 2016 rund 996 Millionen Franken mehr mit Sportwetten und Lotterie umgesetzt als ausbezahlt. Umgerechnet auf die Wohnbevölkerung hat also jeder Schweizer nichts gewonnen, sondern 119 Franken verzockt.
«Monte-Carlo-Irrtum» an der Börse
Das bedeutet: Unser Gefühl täuscht uns oft, wenn wir Wahrscheinlichkeiten einschätzen müssen. Das veranschaulicht auch der Abend im Casino von Monte Carlo. Denn rechnerisch ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch nach dem 26. Mal Schwarz wieder Schwarz kommt, immer noch gleich hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Kugel auf Rot liegen bleibt. Intuitiv meinen die Spieler aber: Rot wird immer wahrscheinlicher.
Wissenschaftler haben sogar einen Namen für diesen Fehlglauben gefunden, dass eines von zwei möglichen Ereignissen «reif» ist, also quasi kommen muss, wenn das andere zuvor schon oft eingetreten ist: «Monte-Carlo-Irrtum» (engl. Monte Carlo Fallacy). Diesem sitzen auch Anleger auf, wenn sie meinen, ein Aktienkurs müsse wieder einmal fallen, nur weil er zuvor stark gestiegen ist. Oft hört man dann, es sei jetzt eine Kurskorrektur fällig. Umgekehrtes gilt für Titel, die über lange Zeit gefallen sind. Das kann bei Aktionären das Gefühl auslösen, dass die Kurse wieder steigen müssten.
Gleichzeitig schätzen viele Menschen das Risiko zu hoch ein, an der Börse zu verlieren. Das liegt auch daran, dass Medien über Börsencrashs viel stärker berichten als über alle anderen Tage, an denen die Kurse nach oben zeigen. Die UBS hat berechnet, dass man mit einem bunt gemischten Korb von Schweizer Aktien nach 20 Jahren fast sicher mehr Geld hat als man anfangs reingesteckt hat.