Ob Axpo, ETH oder SBB
Schweizer Firmen stecken 45 Millionen Franken in EU-Lobbying

259 Schweizer Firmen, Verbände und sonstige Organisationen weibeln in Brüssel für ihre Interessen – und geben dafür jährlich zwischen 45 und 60 Millionen Franken aus. Wegen der Diskussion um das Rahmenabkommen haben sie ihr Lobbying nochmals verstärkt.
Publiziert: 02.02.2019 um 23:29 Uhr
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Aktualisiert: 03.02.2019 um 00:21 Uhr
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Foto: Blick Grafik
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Mittwoch, 12.Dezember 2018: In ­einem Brüsseler Sitzungszimmer wird über MiFIR diskutiert. MiFIR ist nichts Essbares, hat aber trotzdem das Potenzial, auf den Magen zu schlagen: Es steht für Markets in Financial Instruments Regulation. Zu deutsch: Finanzmarktverordnung.

Mit am Tisch sitzen Angestellte der SIX Group. Die Betreiberin der Schweizer Börse hat viel Geld investiert, um mit Vertretern der EU-Kommission am MiFIR-Tisch zu sitzen. Das Ziel: Einfluss auf die Gesetzgebung der Europäischen Union.

2017 wendete die SIX Group mehr als 200'000 Euro für ihre Lobbying-­Tätigkeiten in Brüssel auf. Fünf Mitarbeiter sind dafür angestellt. Kommunika­tionschef Jürg Schneider begründet das Engagement so: «Es gibt in der EU zahlreiche regulatorische Unterfangen, die direkt oder indirekt Einfluss auf die Schweiz und auf uns als Unternehmen haben.»

Insgesamt weibeln 259 Organisationen mit Schweizer Hauptsitz bei der EU für ihre Interessen. Damit ist die Schweiz in Brüssel besser vertreten als die meisten EU-Mitgliedsländer. Österreich, Polen, Portugal und Rumänien zum Beispiel sind weniger stark präsent (siehe Grafiken).

Heinz Karrer, Präsident des Wirtschaftdachverbandes Economiesuisse, überrascht das nicht. «Schweizer Unternehmen müssen in Brüssel mehr lobbyieren, weil wir nicht EU-Mitglied sind», sagt er.

Auch bundesnahe Betriebe

Neben internationalen Grosskonzernen wie Novartis, Syngenta und Credit Suisse sind in Brüssel aber auch Schweizer Organisa­tionen vertreten, die vor ­allem im Inland tätig sind. Zum Beispiel die ETH ­Zürich, die Gewerkschafts-Dachorganisation Travailsuisse, die SBB, der Schweizerische Nationalfonds oder die Schweizer Beratungsstelle für Unfallverhütung (Bfu).
Das zeigt, wie wichtig die EU-Gesetzgebung für die Schweiz geworden ist.

Auch die Ausgaben der Schweizer Firmen, Verbände und sonstigen Organisationen lassen aufhorchen. Eine SonntagsBlick-Auswertung zeigt: Jährlich werden für Schweizer Lobbying-Aktivitäten in Brüssel zwischen 45 und 60 Millionen Franken ausgegeben.

Die Spannweite erklärt sich dadurch, dass die meisten Unternehmen ihre Lobbying-Kosten nicht auf den Franken genau angeben, sondern eine Bandbreite angeben.

Die Informationen sind der neusten Liste des EU-Transparenz-Registers zu entnehmen, die vor wenigen Tagen publiziert wurde. Das Register erfasst die Tätigkeiten aller Interessenvertreter, die den Gesetzgebungsprozess der EU zu beeinflussen versuchen. Es soll transparent gemacht werden, wer welche Inte­ressen verfolgt und welche Finanzmittel zur Verfügung stehen.

In den vergangenen drei Jahren haben sich die Schweizer Lobbying-Akti­vitäten in Brüssel deutlich intensiviert. Im Januar 2016, als erstmals eine vergleichbare Transparenz-Liste publiziert wurden, waren erst 171 Schweizer Organisationen regis­triert; die Ausgaben beliefen sich auf 35 bis 44 Mil­lionen Franken.

Economiesuisse-Präsident Karrer erklärt diese Entwicklung mit den anhaltenden Unsicherheiten im Verhältnis zur EU: «Mehr Schweizer Firmen hatten das Bedürfnis, der EU ihre Position zu erläutern.»

Kontakt zu Brüssel gesucht

Auch die Verhandlungen rund um das Rahmenabkommen hätten dazu geführt, dass die Schweizer Wirtschaft ihre Lobbying-Aktivitäten in Brüssel verstärkt habe.
Das Paradebeispiel ist die SIX Group. Diese wurde unverhofft zum Spielball der internationalen Interessenpolitik: Die EU droht seit Monaten damit, die Schweizer Börsenregulierung nicht als gleichwertig anzuerkennen. Dabei handelt es sich um eine politische Strafmassnahme, weil die Schweiz beim Rahmenabkommen nicht so schnell vorwärtsmacht, wie die EU gerne hätte.

Der SIX Group drohten Einbussen. Dem wollte das ­Unternehmen nicht tatenlos zuschauen. Kommunikationschef Schneider: «Im Jahr 2018 haben wir deshalb vermehrt den Kontakt zu Entscheidungsträgern in Brüssel gesucht, um ihnen aufzuzeigen, was die Folgen wären für Europa und für die Schweiz, wenn die Äquivalenz nicht verlängert würde.» Der Fall zeigt: Die Schweizer Wirtschaft will das Verhältnis zur EU nicht dem Bund überlassen. Angesichts der Unsicherheit nimmt man das Heft selbst in die Hand. 

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