Mitarbeitende in Spitälern seien grundsätzlich gut darauf vorbereitet, solche schwierigen Entscheidungen zu fällen, sagt Thomas Gruberski (45), Leiter Ressort Ethik bei der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). In der Realität bleibe jeder einzelne Entscheid aber ein äusserst schwieriges Ereignis.
Um die Ärzte in der Corona-Situation zu unterstützen, hat die weitgehend vom Bund finanzierte Akademie im Frühling die Richtlinien «Intensivmedizin» mit Triage-Richtlinien extra ergänzt.
Sensible Diskussion sollte verstärkt werden
Anders als die Angestellten in Spitälern sei die Bevölkerung aber nicht bereit für eine Debatte über endliche Ressourcen in der Medizin, erklärt Gruberski. «Unsere Gesellschaft drückt sich um diese Entscheidungen und Diskussionen», ergänzt der Jurist. Sie tue so, als sei es möglich, immer alle zu retten und allen jede mögliche Behandlung anzubieten.
Doch das sei bereits in normalen Zeiten unglaubwürdig und teilweise auch nicht möglich. Als Beispiel nennt der Ethikexperte Personen, die sterben, während sie auf der Warteliste für ein Organ stünden. «Ein positiver Nebeneffekt der Corona-Erfahrung könnte sein, dass wir diese sensible Diskussion verstärkt führen», gibt er zu bedenken.
Patientenwille muss überlegt abgeklärt werden
Nicht erst seit der Pandemie empfiehlt die Wissenschaftsakademie der Bevölkerung eine frühe Abklärung des Patientenwillens bezüglich Notfall- und Intensivbehandlung, insbesondere bei Risikogruppen. Im Lockdown betonte sie zudem: «Knappe Ressourcen sollen keinesfalls für Behandlungen eingesetzt werden, die ein Patient nicht in Anspruch nehmen möchte.»
Allerdings sollten insbesondere alte oder kranke Menschen nicht das Gefühl bekommen, sie müssten unter Druck eine Patientenverfügung abschliessen, so Gruberski. Gemäss einer Umfrage von 2017 denken zwar viele Menschen über das Lebensende nach und möchten vorausschauend planen. Allerdings hatten nur 16 Prozent eine Patientenverfügung hinterlegt.