Je nach Sichtweise galt er als Käufer von Diebesgut oder als Robin Hood für Steuergerechtigkeit. Unbestritten ist: Als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen (NRW) von 2010 bis 2017 versetzte Norbert Walter-Borjans (66) die Schweizer Banken und Politik in Angst und Schrecken.
Insgesamt liess er seine Steuerfahnder für 19 Millionen Euro neun Steuer-CDs kaufen. Die CDs mit Daten von Kunden im Besitz von unversteuerten Geldern auf Schweizer Konti lösten eine Welle von deutschlandweit 130'000 Selbstanzeigen aus. Und in der Folge zahlreiche Razzien bei namhaften Schweizer Banken und ihren Kunden in Deutschland. Damit verhalf er Deutschland zu rund 7 Milliarden Euro zusätzlichen Steuereinnahmen.
Erste Adresse für Whistleblower
Dem angezählten Schweizer Bankgeheimnis gab Walter-Borjans den Todesstoss. In seinem letzte Woche publizierten Buch «Steuern – Der grosse Bluff» zeichnet er auf, wie er den letzten Rettungsanker für das Bankgeheimnis – das Steuerabkommen Schweiz–Deutschland – absägte.
Den Anstoss zu Walter-Borjans’ Jagd nach Steuersündern gaben die leeren Staatskassen nach der Finanzkrise. Nach den Amerikanern jagten auch europäische Staaten nach unversteuerten Vermögen ihrer Bürger im Ausland. In der Schweiz wurden diese durch das Bankgeheimnis geschützt – bis findige Datendiebe und Whistleblower in Nordrhein-Westfalen einen zuverlässigen Daten-Käufer fanden.
Walter-Borjans erlaubte seinen Steuerfahndern den Kauf der CDs explizit. «Für Whistleblower wurde Nordrhein-Westfalen schnell zur ersten Adresse und damit in Deutschland zum Vorreiter in einem durchaus erfolgreichen Einsatz gegen Steuerbetrug», schreibt Walter-Borjans.
Steuerabkommen als Ablasshandel
Derweil kämpfte die Schweiz, allen voran die ehemalige Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf (62), für ein Steuerabkommen mit Deutschland. Dieses sollte die Altlasten unversteuerter deutscher Kundengelder entsorgen und das Bankgeheimnis in die Zukunft retten. Doch Borjans legte sich quer und mobilisierte die SPD, um den damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (76) an der Unterzeichnung zu hindern.
«Das geplante Abkommen war in Wirklichkeit ein immenser Ablasshandel», wettert Walter-Borjans im Buch. Gegen eine relativ bescheidene Garantiezahlung der Schweizer Banken an den deutschen Staat und eine künftige Abgeltungssteuer nach Belieben hätte das Versteckspiel der eidgenössischen Finanzbranche munter weitergehen können.
Schweizer Bundesanwaltschaft als Helfer wider Willen
Doch in Deutschland fand er vorerst wenig Unterstützung. Das abstrakte Finanzthema liess die Bürger kalt, und die Opposition kritisierte ihn wegen angeblicher Hehlerei. Dass sich das schlagartig änderte, sei der Schweizer Staatsanwaltschaft zu verdanken, so Borjans rückblickend. Diese leitete im Frühling 2012 ein Strafverfahren ein und sprach einen Haftbefehl gegen drei seiner Steuerfahnder aus – aus Schweizer Sicht begingen sie wirtschaftlichen Nachrichtendienst.
Durch den Haftbefehl erreichte Walter-Borjans, was er wollte. Der Ruf der Schweiz war ruiniert. Und: «Plötzlich interessierten sich Menschen für das, was da vor sich ging», sagt Walter-Borjans gegenüber BLICK. Manchmal komme Hilfe von ganz unerwarteter Seite. Im Buch schreibt er: «Der NRW-Finanzminister als Rächer der anständigen Steuerzahler wurde zum Gegenstand von Karikaturen und setzte sich fest – als positiv besetzte Figur.»
Nach monatelangem politischem Seilziehen fiel das Steuerabkommen Ende 2012 in Berlin durch. Die Zahl der Selbstanzeigen nahm weiter zu. Im Spitzenjahr 2014 waren es 38'000. Laut der Schweizer Bundesanwaltschaft bleiben die Haftbefehle gegen die drei Mitarbeiter der Steuerfahndung Wuppertal weiterhin gültig.