Der Fall von Ramush Xhuli (43) schlägt Wellen. Gestern berichtete BLICK vom Rauswurf des Teamleiters der Inventurfirma Ivalis aus Kriens LU. Er hatte sich bei der Inventur im Obi Winterthur ZH dafür starkgemacht, dass seine 30 Kollegen nach vier Stunden Arbeit eine Pause machen konnten.
Jetzt kommt heraus: Der Eklat im Obi-Baumarkt hat noch einen weiteren Ivalis-Mann den Job gekostet. Wie Xhuli wurde auch er entlassen. Nach der Berichterstattung meldeten sich weitere Betroffene.
Anfang Januar mussten Ivalis-Angestellte bei Inventuren in drei Westschweizer Hornbach-Filialen massive Überstunden leisten. Auch hier kam es zu Protesten wegen der Pausen. Sie klagen an: Die Ivalis-Kader wollten höchstens 15 statt 30 Minuten bewilligen. Die Inventur-Angestelllten gingen geschlossen in die Pause. Die Folge: Ein Ivalis-Mann wurde fristlos entlassen, ein anderer musste kurz darauf gehen.
«Die üblichen Arbeitszeiten wurden an drei Tagen überschritten»
Frédéric Marchal, CEO der französischen Ivalis-Gruppe, der zurzeit interimistisch die Schweizer Niederlassung führt, gibt zu: «Wir hatten bei den ersten Inventuren für Hornbach gewisse Schwierigkeiten. Die üblichen Arbeitszeiten wurden an drei Tagen überschritten.» Es sei den Angestellten aber freigestellt gewesen, den Arbeitsplatz nach der normalen Arbeitszeit zu verlassen. Dass es bei der Hornbach-Inventur zu Entlassungen von Ivalis-Leuten gekommen sei, bestreitet er.
Die Hornbach-Zentrale in Deutschland interveniert umgehend. «Wir prüfen die Vorwürfe genau und haben Ivalis um eine schriftliche Stellungnahme gebeten», sagt Sprecher Florian Preuss. Verstösse gegen Schweizer Recht oder vertragliche Richtlinien werde man nicht tolerieren.
BLICK konnte mit einem Dutzend Ivalis-Mitarbeitern sprechen. Danai Steger (20): «Der Druck ist enorm. Das geht so weit, dass viele nichts mehr trinken, um nicht aufs WC gehen zu müssen und so Zeit zu verlieren.» Die Mitarbeiter hätten Angst, die Vorgaben nicht zu erfüllen und den Job zu verlieren. Steger hat zwei Jahre für Ivalis gearbeitet. Dann konnte sie nicht mehr.
Die Vorgaben von Ivalis seien brutal. Pro Stunde müsse man 1100 Artikel scannen. «Vor einem halben Jahr waren es noch 700», sagt sie. Wer das nicht schaffe, werde verwarnt – und danach auf die Strasse gestellt.
«Ich habe fast kein Privatleben mehr»
Marlies Sabani (68) arbeitet seit 2015 für Ivalis. Auf Abruf. Sie bessert sich so die AHV auf. Und beklagt sich: «Oft erfahren wir erst am Dienstag, dass wir Donnerstag und Freitag im Wallis eingesetzt werden.» Arzttermine zum Beispiel könne man so nicht planen. «Ich habe fast kein Privatleben mehr», sagt die Rentnerin weiter, die für einen Stundenlohn von 24 Franken brutto arbeitet.
CEO Marchal gesteht ein, dass man in der Schweiz bei der Übernahme der früheren Sigma (heute Ivalis) eine Situation angetroffen habe, die nicht den ethischen Grundsätzen der französischen Gruppe entspreche. «Bei der Planung einer Inventur streben wir eine Arbeitszeit von acht Stunden an», sagt er.
Mit Kunden wie Obi oder Hornbach plane man die Einsätze Monate im Voraus. Die Angestellten hätten Einsicht in diese Planung. «Sie wissen also bereits Wochen zuvor, wann sie arbeiten», sagt der Franzose. Die Existenz einer Quote von 1100 Artikeln pro Stunde bestreitet er vehement. «Wir machen Ziele ab mit unseren Leuten. Wenn sie diese übertreffen, bekommen sie sogar einen Bonus», sagt Marchal.