Nobelpreisträger warnt vor Finanzkrise
«Wir könnten neue Banken gründen»

Paul Romer hat vergangene Woche den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten. Er weiss, wie sich Staaten und Bürger auf die nächste Finanzkrise vorbereiten sollten und wie Ländern gesund wachsen können.
Publiziert: 14.10.2018 um 16:31 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2018 um 14:38 Uhr
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Paul Romer (62) ist kein Fan davon, private Banken zu retten.
Foto: HAMILTON/REA
Interview: Harry Büsser und Fabienne Kinzelmann

Bereits vor rund 30 Jahren entwickelte er ein Modell, das den technischen Fortschritt als bedeutenden Faktor für Wirtschaftswachstum würdigt. Dafür bekommt Paul Romer jetzt den Wirtschaftsnobelpreis – und von seiner Hemdenreinigung prompt einen Strauss Blumen obendrauf. Das überraschte ihn. «Der Preis scheint viele Menschen sehr glücklich zu machen», sagt Paul Romer. Selbst der Coffeeshop in seiner New Yorker Nachbarschaft gehört zu seinen Fans. Dass ihm der Laden nach dem Gewinn einen Kaffee ausgeben wollte, sei ihm dann aber doch fast zu weit gegangen. Für ein Getränk nicht zu bezahlen, sei doch gegen die Regeln, sagt Romer am Telefon.

Sie erhalten nach Ihrem Nobelpreis gratis Kaffee – und das stört Sie, ehrlich?
Paul Romer: Ich habe ihn ja angenommen, weil mir das Personal unbedingt die Freude machen wollte. Vielleicht muss ich diesbezüglich etwas flexibler sein.

Ja, vielleicht.
Sie sind aus Zürich, richtig? Dort am Flughafen war letzthin mein Handgepäckkoffer plötzlich weg. Ich bin erschrocken, sehe ihn dann, nicht weit weg von mir, bei einem Mann und einer Frau stehen. Beide zwar leger gekleidet, aber es waren Polizisten. Sie sagten mir, ich solle besser auf meine Sachen aufpassen.

Die Regel am Flughafen: Gepäck nie unbeaufsichtigt lassen!
Ja, aber die Polizisten verwarnten mich nur. Später war es mir sehr peinlich, dass sie mir keinen Strafzettel dafür gegeben hatten. Wir profitieren doch alle von ­einem System, in dem Menschen Regeln durchsetzen.

Viele fragen sich, ob Präsident Donald Trump sich an Regeln hält. Die US-Wirtschaft boomt, und er heizt sie mit Steuerkürzungen und Ähnlichem weiter an. Übertreibt er?
Wir haben jetzt eine lange Zeit des Wachstums hinter uns. Die Frage ist: An welchem Punkt schiessen wir so über unser Potenzial hinaus, dass es gefährlich wird? Die Wirtschaft zu stimulieren, kann einen alternativen Weg des Fortschritts bedeuten. Und die dadurch gesunkene Arbeitslosigkeit ist gut, um einen verloren geglaubten Teil der Gesellschaft wieder in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Eine tiefere Arbeitslosigkeit steigert aber nicht unbedingt das Produk­tionspotenzial – das, was eine Gesellschaft mit all ihren Ressourcen gesund leisten kann. Deswegen müssen wir Ökonomen warnen: Was die Republikaner mit ihren Steuersenkungen gemacht haben, ist ein nationales Experiment.

Wenn es schiefgeht: Wären wir auf die nächste Finanzkrise vorbereitet?
Nein, wir sind alles andere als vorbereitet. Und es beunruhigt mich sehr, dies zu sagen, denn die nächste Finanzkrise kommt. Ich weiss nicht wann, aber sie kommt. Egal, wie sehr wir uns anstrengen – verhindern können wir sie nicht.

Wir könnten uns jetzt noch vorbereiten.
Es wäre eine gute Idee, jetzt da­rüber nachzudenken, welche Richtlinien wir bei der nächsten Finanzkrise in Kraft haben wollen. Ich habe mal Flugstunden genommen. Da lernt man sich auf Notfälle vorzubereiten: Was mache ich, wenn der Motor ausfällt, wo würde ich landen? Dafür hast du als Pilot vorsichtshalber immer einen Plan. Diese Einstellung brauchen wir im Finanzsektor überall auf der Welt.

Wie könnte so ein krisensicherer Plan aussehen?
Wir könnten neue Banken gründen, die im Besitz der Regierung sind. Ich stelle mir dabei Bank-Mäntel vor, die bis zu einer Krise wenig tun. Aber wenn uns die Krise trifft, können die Regierungen diesen Banken Geld geben, statt private Institute zu retten.

Die Bankenrettung hat beim letzten Mal für viel Missmut in der Bevölkerung gesorgt.
Ja, viele Menschen lehnen die Rettung von privaten Banken durch den Staat ab. Mit staatlichen Banken kann das Dilemma verhindert werden, dass viele die Bankenrettung ökonomisch richtig finden, aber moralisch ablehnen, weil die «Bösen» damit quasi belohnt werden. Nach der Krise könnte die Regierung ihre Anteile an der Bank verkaufen. Wir sollten neue Banken finanzieren, nicht die alten.

Diese Mantel-Banken wären also der Krisenplan für Staaten. Können wir auch privat vorsorgen?
Ich befürchte, da gibt es etwas, was der Einzelne tun kann: sparen. Das ist aber problematisch, wenn es zu viele machen. Finanzkrisen sind Liquiditätskrisen. Wenn Sie genügend Geld auf dem Sparbuch und Regierungsanleihen haben, können Sie Vorteile aus einer Krise ziehen. Sie müssen dann Ihre Anlagen nicht verkaufen, wenn die Preise unten sind, können aber selbst zu Niedrigpreisen kaufen. Wenn jedoch zu viele – wie dies im Augenblick der Fall ist – nur krisensicher anlegen, gibt es zu wenige Investitionen in Fabriken, Maschinen und Software.

Worin müsste vor allem investiert werden, damit ein Land gesund wachsen kann?
In Technologie und in Humankapital. Es muss dafür gesorgt werden, dass mehr Menschen Zugang zu Wissen haben. Menschen können viel lernen, auch durch Arbeit. Das heisst: Die richtige Art von Arbeit kann das Humankapital steigern – und in der Folge das Potenzial einer ganzen Wirtschaft. Wir sollten also auch unbedingt versuchen, Langzeitarbeitslose zurück in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Man darf diese Leute nicht auf-geben. Sie benötigen aber neue Fähigkeiten, um wertvollere Arbeitskräfte zu werden.

Deswegen nützt es auch nichts, einfach alte Industriejobs zurückzubringen. Welche Fähigkeiten können Maschinen nicht ersetzen?
Maschinen können heute vieles ersetzen. Wenn Sie nur schwere Dinge tragen können, reicht das nicht mehr. Selbst das klassische Rechnen in Schulen ist unnütz – das können Computer machen. Der Markt verlangt jedoch die Fähigkeit, Probleme zu lösen und mit anderen Menschen umzugehen.

Muss an Schulen anderes gelehrt werden?
Wir verschwenden Humankapital, wenn wir Menschen mit kleinen Einschränkungen nicht fördern. Oft fühlen sich Schüler mit einer Leseschwäche – so wie ich eine habe – oder einer Rechenschwäche dumm und vom Bildungssystem im Stich gelassen. Das heutige Schulsystem sorgt so dafür, dass sich zu Beginn kleine Unterschiede zwischen den guten und schlechten Schülern ausweiten. Wenn wir dagegen kleine Startnachteile durch den richtigen Unterricht ausmerzen, wäre das gut fürs Wirtschaftswachstum.

Trotz Leseschwäche den Nobelpreis gewonnen

Wer ihm ein E-Mail schickt, sollte sich kurz fassen. Paul Romer (62) leidet an der Leseschwäche Dyslexie: Es fällt ihm schwer, Wörter und Texte zu verstehen. Er findet, dass Betroffene durch den richtigen Unterricht beruflich alles erreichen können – und ist selbst der beste Beweis dafür. Von 2016 bis 2018 war der Amerikaner Chefökonom der Weltbank, als Professor lehrt und forscht er an der New York University. Diese Woche erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften zugesprochen.

Paul Romer leidet an Dyslexie.
KEY

Wer ihm ein E-Mail schickt, sollte sich kurz fassen. Paul Romer (62) leidet an der Leseschwäche Dyslexie: Es fällt ihm schwer, Wörter und Texte zu verstehen. Er findet, dass Betroffene durch den richtigen Unterricht beruflich alles erreichen können – und ist selbst der beste Beweis dafür. Von 2016 bis 2018 war der Amerikaner Chefökonom der Weltbank, als Professor lehrt und forscht er an der New York University. Diese Woche erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften zugesprochen.

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