Nirgends ist das Preis-Leistungs-Verhältnis besser
Musik ist das Schnäppchen unseres Lebens

Für Konsumenten gibt es kein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis als Musik hören. Eine Handvoll Künstler werden reich, der Rest kämpft ums Überleben.
Publiziert: 11.08.2019 um 00:36 Uhr
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Damso spielt am Paleo Festival in Nyon VD – und begeistert Tausende.
Foto: Keystone
Moritz Kaufmann
Moritz KaufmannWirtschaftsredaktor

Musik ist Leben. Wir verbinden sie mit den wichtigsten Momenten unseres Daseins. Musik heizt uns ein und treibt uns an. Sie holt Erinnerungen zurück. Sie begleitet uns durch tiefe emotionale Täler. Sie verbindet uns mit unseren Liebsten – doch wir nutzen sie auch, um uns abzugrenzen. Musik kann die Haupt- wie die Nebenrolle spielen. Sie macht langweilige Stunden aufregend, sie ist eigentlich überall. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo im Hintergrund Musik läuft, während Sie diese Zeilen lesen, ist hoch.

Doch was verdient man eigentlich damit? Und welchen ökonomischen Gesetzen folgt der Musikmarkt? Kurze Antwort eins: wenig Geld. Kurze Antwort zwei: Es ist kompliziert. Ausführlicher (und klarer) sagt es der US-Ökonom Alan B. Krueger in seinem neuen Buch «Rockonomics». Krueger war Professor an der renommierten Princeton-Universität in den USA und zwischenzeitlich wirtschaftlicher Berater für Ex-Präsident Barack Obama (58).

Vor allem aber war Krueger Musikfan, er ging leidenschaftlich gern an Konzerte, etwa von Bruce Springsteen. Das weckte sein ­Interesse daran, wie die Ökonomie dahinter funktioniert.

Musik als Vorbote für die gesamte Volkswirtschaft

Der Musikmarkt war der erste, der von der Digitalisierung voll erfasst wurde. Krueger sah darin eine Metapher für die Entwicklung, die der ganzen Volkswirtschaft bevorsteht. Im Juni erschien das Buch (bisher nur auf Englisch). Drei Monate zuvor nahm sich Alan B. Krueger im ­Alter von 58 Jahren das Leben. «Rockonomics» ist sein Vermächtnis.

Doch darum soll es hier nicht gehen.

Wenn Ihr Kind gerne ein Instrument lernen möchte, freuen Sie sich: Kaum etwas strahlt so viel Erhabenheit aus wie musikalisches Talent. Doch wenn Ihr Kind Ihnen dann eröffnet, dass es Musiker werden möchte, bekommen Sie einen Schreck. Und zwar zu Recht.

Nur wenige Berufe sind so sehr mit mehr lebenslanger Unsicherheit verbunden wie der des Profimusikers. Nach Schätzungen des Magazins «Bilanz» aus dem Jahr 2017 können nur zwischen zwölf und 20 Popmusiker in der Schweiz davon leben. Der Rest muss mit Nebenjobs über die Runden kommen.

Weniger Umsatz als im Kunstmarkt

Laut der Branchenorganisation IFPI erzielte Musik aus allen Genres durch Streaming-Einnahmen, Downloads, Platten- und CD-Verkäufe 2018 in der Schweiz rund 170 Millionen Franken Umsatz. Das Geld ging grösstenteils an ausländische Künstler. IFPI-Geschäftsführer Lorenz Haas: «Popmusik dominiert den Musikmarkt. Amerika und Grossbritannien dominieren die Popmusik. Insofern fliesst viel Geld dorthin ab. Aber der Anteil der Schweizer Musik steigt. Aktuell sind wir bei 15 bis 20 Prozent.» Übrigens: Im internationalen Vergleich der lukrativsten Musikmärkte liegt die Schweiz international auf Platz 19.

Der grösste Teil unseres Musikgenusses geschieht via Lautsprecher oder Kopfhörer. Aber natürlich kann man Musik auch live konsumieren. Nachdem die CD-Einnahmen aufgrund digitaler Vertriebswege einbrachen, wurden Liveauftritte zur Haupteinnahmequelle von Musikern.

Gemäss SMPA, dem Verband der Schweizer Musikpromotoren, brachten Konzerte und Festivals 2018 rund 382 Millionen Franken Umsatz. Zusammen mit den ­Einnahmen der IFPI wären es 550 Millionen Franken, die Schweizer Konsumenten fürs Musikhören ausgeben – volkswirtschaftlich ein Nonvaleur. Zum Vergleich: Der Schweizer Kunstmarkt, an dem bedeutend weniger Konsumenten teilhaben, ist laut UBS-«Art Market Report» rund 1,3 Milliarden schwer.

Umgerechnet auf sämtliche 8,5 Millionen Schweizer, gibt jede und jeder 65 Franken pro Jahr fürs Musikhören aus – und das für all die Stunden, die wir mit Musik verbringen, für all die Emotionen, die sie auslöst: «Für Konsumenten ist Musik wahrscheinlich das beste Schnäppchen aller Zeiten», schreibt Alan B. Krueger.

Entwertung der Musik seit Anfang der Nullerjahre

Normalerweise müssen Volkswirtschaftler ihre Theorien mit komplizierten Gleichungen an kalten Wandtafeln darstellen. Im Musikmarkt aber sah Krueger eine ideale Möglichkeit Ökonomie «live» zu beobachten. Sein Résumé: «Die kreative Zerstörung geschieht in Echtzeit!»

Krueger meint damit die Entwicklung der letzten 20 Jahre. Auf dem Höhepunkt der CD-Verkäufe im Jahr 2000 generierten die kleinen Silberscheiben in der Schweiz 372 Millionen Franken Umsatz, Konzerte kamen hinzu. Lorenz Haas von der IFPI: «Seit Anfang der Nullerjahre fand eine Entwertung der Musik statt. Das lag vor allem an der Piraterie. Heute hat man schon den Eindruck, dass viele Leute das Gefühl haben, Musik müsse möglichst günstig sein.»

Zwar erholte sich der Markt wieder ein wenig, denn Streaming-Plattformen wie Spotify oder Apple-Music machten die ­Internet-Piraterie unattraktiv: Sie sind günstig, teilweise sogar gratis. Doch die meisten Künstler verdienen am Streaming kaum etwas. Für eine Million abgespielter Songs zahlen die Plattformen 2000 bis 3000 Dollar. Der Sommerhit «079» des Berner Duos Lo & Leduc erzielte 2018 auf Spotify 14 Millionen Plays, also Wiedergaben, und generierte so zwischen 28'000 und 42'000 Franken. Allerdings erreichte kein anderer Lo & Leduc-Song auch nur annähernd solche Werte.

Musikbusiness ist erst der Anfang

Laut Alan B. Krueger machte die Digitalisierung den Musikmarkt noch viel mehr hin zum Superstar-Markt: Ein paar wenige verdienen fast alles, der grosse Rest so gut wie nichts. Das gilt für den Streaming-, aber noch viel mehr für den Konzertmarkt. Nach eigenen Angaben kassierte etwa die US-Rapperin Cardi B am diesjährigen Open Air Frauenfeld 887'000 Franken für einen Auftritt. Der grosse Rest der Künstler dort dürfte für einen Bruchteil dieser Summe aufgetreten sein.

Aber weshalb sollte dieser Trend die Musikhörer interessieren? Für sie ist das Vergnügen in den letzten Jahren ja billiger geworden. Ganz einfach: Das Musikbusiness war erst der Anfang. Die ganze Welt bewegt sich in Richtung Superstar-Markt. Im ­Internetzeitalter gewinnen die Grossen. Google und Facebook teilen den Werbemarkt unter sich auf. Amazon und Alibaba verleiben sich den Detailhandel ein. Und während die Normallöhne stagnieren, vermehren die Reichen ihr Vermögen. «The Winner takes it all», sangen schon Abba.

Schöne neue Welt. Helfen kann da eigentlich nur Musik.

Sein letzter Artikel

Mit diesem Artikel verabschiedet sich Moritz Kaufmann (33, Bild) nach vier Jahren vom SonntagsBlick. Es ist kein Zufall, dass er dies mit einem Beitrag über die Musikindustrie tut. Denn Moritz Kaufmann verfügt über zwei bei Wirtschaftsredaktoren selten zu findende Gaben: Da ist – erstens – sein untrügliches Gespür für populäre und lesernahe Themen. Und ist ein Thema schwierig und nicht ganz so leicht zugänglich, dann schafft es Moritz Kaufmann – zweitens – garantiert, auch diesen Stoff packend zu erzählen und zu erklären. Wir sind gespannt, ob Moritz Kaufmann seine Leidenschaft für den journalistischen Rock ’n’ Roll auch bei seinem künftigen Arbeitgeber, der «NZZ am Sonntag», ausleben kann. Klar ist in jedem Fall schon heute: Wir werden Moritz beim SoBli sehr vermissen!
Gieri Cavelty, Chefredaktor

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