Normalerweise sieht man sie nicht. Rich Kids verstecken sich hinter gut getrimmten Thuja-Hecken, besuchen Elite-Colleges im Ausland und tummeln sich unter ihresgleichen beim Polospiel in St. Moritz. Sie sind diskret, denn das hat man ihnen beigebracht, treten kaum in der Öffentlichkeit auf. Und sollte doch mal eine schlüpfrige Familiengeschichte bis zur Presse durchdringen, kommt der hoch bezahlte Familienanwalt ins Spiel.
Diese Rich Kids hier jedoch sind anders. Den einen ist das Vermögen in den Schoss gefallen. Die anderen haben es sich erarbeitet. Gemeinsam sind sie unglücklich darüber, reich zu sein. Ihre Mission: Sie wollen sich selbst und die anderen Reichen dieser Welt höher besteuern. Für mehr Gleichheit. Und Gerechtigkeit. Zwei gehen sogar bis zur Ultima Ratio: Sie «entreichen» sich gleich selbst. Die Meldungen dieser Art häufen sich, und das ist mehr als aussergewöhnlich.
Die Galionsfigur: Marlene Engelhorn
Galionsfigur dieser neuen Egalität-Statements ist Marlene Engelhorn, 32. Die «New York Times», BBC News, «Forbes», der «Spiegel», alle berichteten bereits über sie. Es passiert schliesslich nicht jeden Tag, dass eine Millionenerbin ihr Vermögen verschenkt. Die Wienerin hat mit 29 anderen Rich Kids (und Grown-ups) aus der Schweiz, Deutschland und Österreich den Verein Taxmenow gegründet. 60 (vermögende) Mitglieder zählt der Verein mittlerweile, die darum kämpfen, Reiche höher zu besteuern. Engelhorn selbst geht noch einen Schritt weiter.
25 Millionen Euro ihres Erbes werden demnächst an 77 Organisationen verteilt. Geld, das sie von ihrer Grossmutter Traudl Engelhorn geerbt hat, deren 4 Milliarden steuersparend via March Holding auf den Bahamas geparkt waren. Geld aus einem Steueroptimierungssystem, das sie verurteilt. «Wie das bei meiner Grossmutter gelaufen ist, weiss ich nicht», sagt sie im Gespräch mit der «Handelszeitung». Sie selbst habe bei der Ausschüttung Steuern bezahlt. Und überhaupt will sie nicht über ihre Familie oder Privates sprechen («Wir können das Ganze auch abbrechen»).
Marlene Engelhorn ist schnell im Kopf, schlagfertig und angriffslustig. Mit einem Schuss Selbstironie: «Weil ich so privilegiert bin, kann ich es mir leisten, dass da ein nicht abgeschlossenes Studium herumliegt», sagt die gescheiterte Germanistik-Studentin über sich selbst. Während des Studiums an einer öffentlichen Universität kam es zur Häutung. «Es hat die Reflexion beschleunigt, weil ich nicht mehr in einer abgeschotteten, exklusiven Bubble drinsteckte.»
Dementsprechend anders als üblich war ihre Reaktion auf das unerwartete Erbe (zumal in ihrem Fall eine Generation in der Erbfolge übersprungen wurde). «Als mir gesagt wurde, dass ich das Geld bekomme, war ich grantig und empfand das als eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Mir war klar, dass ich mich eigentlich freuen sollte, aber ich konnte nicht, weil ich wusste, dass das der Beweis dafür ist, dass es nicht darum geht, wer ich bin, was ich kann und wie ich mich in der Gesellschaft einbringe, sondern es nur darum geht, wie ich geboren wurde.»
Und jetzt? «Wenn alles in trockenen Tüchern ist, muss ich, so wie 99 Prozent der Bevölkerung, auch arbeiten gehen und Steuern zahlen», sagt sie freudig erregt. Will sie jetzt ein kleinbürgerliches Chrampfer-Leben führen? Sie, die aufgewachsen ist, in einem «viel zu grossen Haus, einem privaten Kindergarten und einer Privatschule». Was sie genau machen werde, wisse sie noch nicht. «Aber es ist goldig, wie sich die Medien darum sorgen, wie es mit der Engelhorn weitergeht.»
Der ehemalige Karrierist: Sebastian Klein
Anders bei Sebastian Klein, 41. Aus einer deutschen Akademikerfamilie stammend, musste er sich seine Brötchen selbst verdienen. «Der Anspruch meiner Eltern war, dass mein Bruder und ich unser Geld selbst erarbeiten», erklärte er gegenüber der FAZ derart in sich ruhend und tiefenentspannt, dass er problemlos als Yogalehrer durchgehen könnte. Doch der Schein trügt. Mit Verve tingelt er durch die deutschen Medien und legt «Sprengsätze» in Reichenkreisen, wenn er etwa sagt: «Es heisst, man soll nicht über Geld reden – das nützt jedoch nur denen, die unfairerweise auf sehr viel Geld sitzen.» An ihm vollzog sich die Wandlung eines rechtsgerichteten Karrieristen im Armani-Anzug zum Sozial-Fundi.
Klein studierte Psychologie und war als Student chronisch pleite. Weil es seinem Ego schmeichelte, heuerte er bei der Boston Consulting Group an. Dort genoss er es, von dicken schwarzen Limousinen abgeholt zu werden, mitten im Dunstkreis der Macht zu sitzen und Strategien zu skizzieren, die anderen den Kopf kosteten. Irgendwann hatte er eine gute Idee: Sachbücher zusammenzufassen, die auch vorgelesen werden. 2012 gründete er mit drei anderen das Startup Blinkist. Dieses wurde 2023 für 200 Millionen Euro verkauft. Mit dem Resultat: «Mitte dreissig hatte ich mehr Geld auf dem Konto, als ich ausgeben kann. Es war wie eine Droge, von der ich angefixt war, aus dem Geld noch mehr Geld zu machen.»
Dann die wundersame Wandlung des Homo oeconomicus zum Homo socialis. «Ich merkte irgendwann, dass ich das nicht will.» Es habe gedauert, von dieser Droge wieder runterzukommen. Heute findet er das Streben nach mehr nicht mehr erstrebenswert. Er lebt in einer bescheidenen Mietwohnung in Berlin, zusammen mit seiner Freundin. 90 Prozent seines Vermögens hat er in eine gemeinnützige GmbH gegeben, auf die er privat keinen Zugriff hat. «Die restlichen 10 Prozent sind meine Altersvorsorge, da ich sonst ja keine private Altersvorsorge oder eigene Immobilien habe.» Via seine gemeinnützige GmbH investiert er in Firmen und Startups, die der Gemeinschaft einen Mehrwert bringen, aber eine geringe Rendite abwerfen und in die daher niemand investieren will. Ob das ökonomisch auf Dauer aufgeht, wird die Zeit zeigen.
Der Unbekannte: Johann Hug
Johann Hug, 30, ist Informatiker. Er lebt im Raum Winterthur. Damit er aufgrund seines Vermögens nicht die falschen Freunde findet, tritt er unter einem Pseudonym auf, wie er gegenüber SRF Kontext sagte. Sein Vermögen kommt zum grössten Teil aus einer Erbschaft, da er aus einer vermögenden Familie stammt. Den anderen Teil hat er «durch Glück erwirtschaftet», wie er sagt, «durch risikoreiches Anlegen an den Finanzmärkten». Seine privilegierte Situation habe ihm den Vorteil verschafft, dass wenn er nicht mehr wolle, er nicht mehr arbeiten müsste. Er gibt sich hemdsärmelig, jovial, reist mit öffentlichen Verkehrsmitteln. In dem Einfamilienhaus, das er mit 27 Jahren übernahm, wohnt er zusammen mit anderen in einer Wohngemeinschaft.
Seit geraumer Zeit, sagt er, fühle er schon ein Unwohlsein über seinen Reichtum. Spenden sind für ihn kein probates Mittel, da eine Spende nicht aus rein altruistischen Gründen, sondern persönlichen Vorlieben entstehe. Man könne ja auch Hunderennen finanzieren, die gesellschaftlich nicht wertvoll seien. Seine Forderung: Er wünscht sich (höhere) Steuern auf Erbschaften, Kapitalgewinne und Vermögen – «Starke Schultern sollten auch mehr tragen.» Sowie eine finanzielle Aufrüstung der Steuerbehörden.
Viele Ideen. Das Wenigste davon ist neu. Nur eben, der Absender ist neu. Und dieser vergisst dabei: Die Schweiz hat bei den Steuern eine Progression eingebaut. Dadurch gilt: Wer mehr verdient, zahlt auch mehr Steuern – und zwar überproportional mehr. Sind die Steuern zu hoch, riskiert man, dass die Reichen wegziehen. Unter François Hollande wurde eine starke Vermögensbesteuerung eingeführt, worauf 35 Milliarden Euro aus Frankreich abgezogen wurden. Ein intelligent aufgebautes Steuersystem nimmt die Reichen in die Pflicht – ohne sie zu vertreiben.