Wer ständig zu viel isst und sein Gewicht nicht im Griff hat, ist willensschwach. Diese Meinung ist weit verbreitet. Der abtretende Nestlé-Präsident Peter Brabeck (72) sieht dies anders: Wir alle würden von unseren Darmbakterien manipuliert, schreibt Brabeck in seinem neuen Buch «Ernährung für ein besseres Leben», das er gestern in Zürich vorstellte. Wer zu Übergewicht neigt, ist also nicht unbedingt schwach im Kopf, sondern hat einfach eine ungünstige Bakterienzusammensetzung im Darm.
Im Lauf der Evolution könne sich «ein Interessenkonflikt zwischen den Bedürfnissen der Darmbakterien eines Menschen und seinem Essverhalten ergeben», zitiert Brabeck die jüngste Forschung von Evolutionsbiologen. «Als Folge dieses Konflikts manipulieren die Mikroben das Verhalten des Menschen, um damit ihr eigenes Wohlbefinden zu sichern, auch wenn dies die Gesundheit des Menschen schädigt.»
Fettleibigkeit ist ansteckend
Die Mikroben stehen auch untereinander in einem Kampf um für sie besonders bekömmliche Nahrungsmittel. Wenn im Darm die falschen Mikroben die Oberhand gewännen, sei es für den Menschen nicht mehr möglich, sein Essverhalten zu kontrollieren.
Fettleibigkeit, so Brabeck, sei sogar ansteckend – und zwar im wörtlichen Sinne durch Infektionen. Wenn Menschen miteinander Kontakt hätten, sei es unvermeidlich, dass auch Darmbakterien übertragen würden. «Wenn diese in der Lage sind, das Essverhalten des Wirts zu verändern, werden sie es auch bei einem neuen Wirt tun können», schreibt der Nestlé-Präsident.
Die gute Nachricht: Die Menschen können den Spiess auch umdrehen und ihr Mikrobiom verändern. So lassen sich das Essverhalten und damit die Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden verbessern. Die entsprechende Forschung und die Entwicklung individuell optimierter Lebensmittel stecken allerdings noch in den Anfängen.
Essen aus der Nespresso-Kapsel
Brabeck bleibt in seinem Buch aber nicht bei den Darmbakterien stehen, sondern spricht eine ganze Reihe von Faktoren an, die einen Einfluss auf unsere Ernährung haben: die Politik, die Nahrungsmittelindustrie und gesellschaftliche Einflüsse. Brabeck zeigt sich überzeugt, dass die Ernährung eine zentrale Rolle im Kampf gegen Krankheiten wie Alzheimer, Depressionen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme und Übergewicht spielt.
Grosse Stücke hält er dabei auf ein Nestlé-Projekt, das von der Presse den Namen Iron Man erhalten hat. Dieses werde die Ernährung revolutionieren, so Brabeck: Aus Kapseln, die jenen von Nespresso ähnlich seien, würden die Menschen künftig Nährstoffcocktails zu sich nehmen, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten seien.
Oder sie könnten sich ihr Essen per 3D-Drucker gemäss den elektronisch erfassten Gesundheitsempfehlungen zubereiten. Brabeck: «Das hört sich zwar noch an wie Science-Fiction, wird aber innerhalb der nächsten zehn Jahre Realität werden.»