Neues Buch beschreibt das Ende eines Schweizer Heiligtums
Wie die UBS das Bankgeheimnis zerstörte

Es waren nicht die Linken, die das Bankgeheimnis beerdigten. Das Heiligtum des Finanzplatzes Schweiz wurde von innen zerstört. Mit einer Klage der USA am Hals wusste sich die UBS nicht anders zu helfen, als das Bankgeheimnis zu opfern.
Publiziert: 25.04.2019 um 08:24 Uhr
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Aktualisiert: 07.04.2021 um 09:40 Uhr
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Der Kniefall: UBS-Spitzenmanager Mark Branson legt am 17. Juli 2008 vor US-Senatoren ein Schuldgeständnis für die Bank ab. Branson ist heute Chef der Finanzmarktaufsicht.
Foto: AP
Guido Schätti

Ein Menschenleben lang prallten alle Angriffe an ihr ab – das Bankgeheimnis war seit 1934 die uneinnehmbare Festung des Schweizer Finanzplatzes. Ab und zu warf die Schweiz zwar etwas Ballast ab. So sind seit den 90er-Jahren Drogen- und andere Gelder verbrecherischer Herkunft nicht mehr durch das Bankgeheimnis geschützt. Aber Schwarzgeld blieb von St. Gallen bis Genf das Schmiermittel der Vermögensverwaltung.

Noch im März 2008 behauptete der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz (76), am Bankgeheimnis werde sich das Ausland noch die Zähne ausbeissen. Doch zwölf Monate später stand die Schweiz selber zahnlos da. Der Bundesrat opferte das Bankgeheimnis für Steuerhinterzieher. 2013 wurde es ganz beerdigt: Die Schweiz sagte Ja zum automatischen Informationsaustausch von Kundendaten.

Warum brach in einem Jahr zusammen, was vorher 75 Jahre Bestand hatte? Diesen Fragen geht der Zürcher Historiker Stefan Tobler (50) in der ersten umfassenden wissenschaftlichen Arbeit über das Bankgeheimnis nach. Tobler schreibt ohne Schaum vor dem Mund. Der einstige Mitstreiter des Zürcher Soziologen Kurt Imhof (1956–2015) und spätere Strategiechef der Schweizerischen Bankiervereinigung lässt lieber Fakten und Zeitzeugen sprechen, als Verschwörungstheorien zu verbreiten. Dennoch liest sich sein 780-Seiten-Wälzer stellenweise wie ein Krimi.

Toblers zentrale These: Woran die Linken in den 70er-Jahren scheiterten und die Geldwäscherei-Skandale der 80er nichts änderten, vollbrachte die UBS. Die Grossbank war es, die mit ihren Verstrickungen im US-Schwarzgeld-Geschäft das Bankgeheimnis beerdigte.

UBS-Chefs kannten die Probleme

Die UBS war zwar nicht das einzige Institut mit unversteuerten US-Vermögen, mit 20 Milliarden aber das grösste. Schon Ende der 90er-Jahre versuchten die USA, den Sumpf trockenzulegen. Im Qualified-Intermediary-Abkommen (QI) mussten sich die Banken verpflichten, US-Kunden entweder zu melden oder dafür zu sorgen, dass diese keine amerikanischen Wertschriften hielten.

Bei der Umsetzung des QI schlampten die UBS-Oberen, wie Tobler deutlich macht. Nur zehn Prozent der Kunden wurden offengelegt, der Rest blieb schwarz. Das grösste Verhängnis: Die UBS bot Hand, die Namen der Kunden durch dazwischengeschaltete Gesellschaften zu vertuschen.

Das heikle Dossier landete zwar immer wieder auf den Schreibtischen von Chefjurist Peter Kurer (69), dem operativen Chef Marcel Rohner (54) und von Vermögensverwaltungschef Raoul Weil (59), doch keiner hatte den Mut durchzugreifen. Wie Tobler schildert, wussten sie ziemlich genau, dass sie auf einer Zeitbombe sassen – ein Widerspruch zum Buch von Raoul Weil, der sich dort als unwissendes Opfer krimineller Untergebener ausgibt.

Birkenfeld änderte alles

Rund sechs Jahre hätte die UBS Zeit gehabt, die Bombe zu entschärfen. Im Frühling 2007 lief die Frist ab: Dann packte Ex-UBS-Banker Bradley Birkenfeld (54) in den USA aus. Er lieferte Kundennamen und interne Dokumente, welche die Tricks der Banker dokumentierten.

Das war der Anfang vom Ende. Die USA waren nun nicht mehr auf das Wohlverhalten der UBS und der Schweiz angewiesen. Sie hatten einen rauchenden Colt. Und sie verstanden keinerlei Spass. Wie Tobler schreibt, taxierte das US-Justizdepartement die UBS-Trickserei als den «grössten Anschlag auf die USA seit 9/11». In den nächsten zwei Jahren nahmen sie die UBS und den Finanzplatz unter Dauerbeschuss.

Mit dem Bankgeheimnis geschah in dieser Phase etwas höchst Merkwürdiges: Es kehrte sich ins Gegenteil, von einem Schutz wurde es zu einem Gefängnis. «Die Schweiz hatte sich zu Tode geschützt, in der Krise war sie nicht mehr manövrierfähig», so Tobler bei der Buchpräsentation am Mittwoch.

Denn die USA verlangten von der UBS die Namen von Steuerhinterziehern, das Bankgeheimnis untersagte ihr aber die Lieferung. Eine Anklage musste die Bank unter allen Umständen verhindern, denn sie hätte zum Kollaps geführt.

UBS-Retter Robert Waldburger

Das Dilemma löste schliesslich der Jurist Robert Waldburger (65), vormals Vize der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Sein Kniff: Die UBS musste behaupten, ihre Kunden hätten mit ihren Firmenkonstrukten nicht nur das US-Steueramt, sondern auch die Bank getäuscht. Das machte sie juristisch von Steuerhinterziehern zu Steuerbetrügern, die nicht vom Bankgeheimnis geschützt sind.

Waldburger zeigte den Ausweg, doch die Steuerverwaltung blockierte ihn. Sie prüfte Fall für Fall, die USA wollten die Daten aber sofort – sonst würden sie klagen. Der Schweiz blieb nichts anderes übrig, als am 18. Februar 2009 per Notrecht 255 Namen zu liefern.

Für Tobler war dies der Dammbruch: Erstmals hatte die Schweiz ohne ordentliches Verfahren Daten geliefert, sie befand sich in einem «Rückzugsgefecht, das nicht mehr zu gewinnen war». Nur einen Tag nach der ersten Datenlieferung forderte das US-Steueramt weitere 55'000 Namen.

Diesmal konnte auch Waldburger nicht mehr helfen, der Bund musste ran. Er handelte die Zahl auf 4500 Fälle von schwerer Steuerhinterziehung herunter, für die das Bankgeheimnis rückwirkend nicht mehr gelten sollte. Das Parlament stimmte dem nötigen Staatsvertrag im Sommer 2010 zu.

Andere Banken zahlen die Zeche

Die UBS war damit aus dem Schneider, doch der Rest des Finanzplatzes war verseucht. Ein Teil der US-Gelder floss zu anderen Banken, die damit ins Visier der USA gerieten. Tobler widerspricht zwar der in rechtsbürgerlichen Kreisen kursierenden These, den Banken sei eine Falle gestellt worden, um das Bankgeheimnis definitiv zu erledigen. Seine Darstellung macht aber deutlich, dass die Finanzmarktaufsicht die Risiken kannte und die anderen Banken hätte warnen können.

Hätte die Schweiz das Bankgeheimnis retten können? Als Schutzschild für Steuerhinterzieher nicht, doch das Todesdrama um die UBS hätte sich die Schweiz laut Tobler ersparen können. Staatssekretär Franz Blankart (82) und der spätere UBS-Retter Waldburger hatten schon früh gewarnt, das Ausland toleriere das Geschäft mit Steuerflucht je länger, je weniger.

Bürgerliche und Banken ignorierten aber alle Weckrufe – aus ideologischer Borniertheit, Geldgier oder beidem. Finanziell zahlte sich das wohl sogar aus. Doch die politischen Risiken für das Land waren enorm. Die Schweiz kam nur deshalb mit einem blauen Auge davon, weil die USA zurückschreckten, die UBS als global systemrelevante Bank mitten in der Finanzkrise anzuklagen. In normalen Zeiten hätten sie wohl anders entschieden.

Stefan Tobler: Der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis. Eine 100-jährige Geschichte von Kritik und Verteidigung. NZZ Libro

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