Auf einen Blick
- Viertagewoche wird in der Schweiz populärer
- In zahlreichen Branchen und Berufen gibt es Jobs, die in vier Tagen erledigt werden können
- Die Einführung des neuen Arbeitsmodells ist aber nicht ganz unproblematisch, wie das Beispiel einer Autogarage zeigt
Die Werkstätten der Walter Hasler AG im aargauischen Frick sind ordentlicher und sauberer als manches Büro. Herumliegende Schraubenschlüssel? Fehlanzeige. Ölverschmierte Mechaniker-Köpfe? Nicht in dieser Mercedes-Benz-Garage.
Systemtechniker Lukas Böhler (34) hat sich dennoch einen Tüftler-Touch bewahrt, mit Holzfällerbart, badischem Akzent und seiner höflichen, zurückhaltenden Art. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie er stundenlang mit stoischer Ruhe eine angeschlagene Karosse inspiziert und kuriert. «Ich liebe es, wenn ich am frühen Morgen allein in der Werkstatt bin und mich ohne Ablenkung auf meine Arbeit konzentrieren kann», sagt er.
Das kommt oft vor. Böhler fängt früher an als alle anderen – und macht später Feierabend. Der Leiter der Fahrzeugaufbereitung absolviert sein 100-Prozent-Pensum in vier Tagen. Pro Tag arbeitet er 11, pro Woche 44 Stunden. Das ist praktisch gleich viel wie seine Kollegen, die fünf Tage im Betrieb sind. Dafür hat Böhler nicht nur am Wochenende frei, sondern auch jeden Dienstag.
Der Mann aus Süddeutschland, der 35 Kilometer von Frick entfernt wohnt, schwärmt von diesem Arbeitszeitmodell: «Für mich ist es perfekt. Ich spare mir einmal den Arbeitsweg, habe am frühen Morgen kaum Verkehr und kann an meinem freien Tag alles erledigen, was früher am Wochenende angefallen ist.»
Zahlreiche Stelleninserate
Die Viertagewoche ist in der Schweizer Arbeitswelt angekommen, wie ein Blick auf Stellenportale zeigt: Anlagenmonteur, Automatiker, Automechaniker, Elektriker, Kassierer, Kellner, Koch, Leitungsmonteur, LKW-Chauffeur, Mechatroniker, Messtechniker, Metzger, Monteur, Ofenbauer, Schreiner, Verkäufer, Zimmermann – in unzähligen Branchen und Berufen hat SonntagsBlick in den vergangenen Monaten Jobs gefunden, die in vier statt fünf Tagen erledigt werden können.
Erstaunlich oft handelte es sich dabei um Stellen im handwerklich-technischen Bereich, bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). In einigen Fällen geht die Reduktion der Arbeitstage mit einer verringerten Wochenarbeitszeit einher, oft bleibt diese jedoch unverändert.
Eine Untersuchung von Swissstaffing, dem Verbands der Personaldienstleister, sowie dessen internationalem Dachverband zeigt: Grosskonzerne sind hierzulande eher bereit als im Ausland, im Kampf um Fachkräfte auf verkürzte Arbeitswochen zu setzen. Von den befragten Schweizer Unternehmen kann sich jedes zweite vorstellen, eine Verkürzung der Arbeitswoche einzuführen. Weltweit kommt das gemäss Umfrage nur für jeden dritten Grosskonzern infrage.
Migros mit Vorreiterrolle
Bei der Migros, der grössten privaten Arbeitgeberin des Landes, sind das längst mehr als Gedankenspiele. In den Regionalgenossenschaften Zürich, Basel, Waadt und Neuenburg-Freiburg ist die Viertagewoche – auf freiwilliger Basis – bereits Realität.
In der Region Zürich zum Beispiel kann ein Teil der Mitarbeitenden in Supermarktfilialen mit mehr als 20 Vollzeitmitarbeitenden die 41 Stunden pro Woche in vier Tagen abarbeiten. Fachverkäuferinnen und -verkäufern in den Bereichen Backwaren, Blumen, Fleisch, Früchte, Gemüse und Käse wird in Jobinseraten bereits in der Überzeile versprochen: «Viertagewoche möglich». Seit das Modell bei der Migros Zürich im April dieses Jahres eingeführt wurde, haben sich laut Medienstelle «rund 50 Mitarbeitende» dafür entschieden.
Schweizweite Zahlen zur Verbreitung der Viertagewoche gibt es nicht. Laut Adecco, dem weltweit führenden Stellenvermittler, sind generelle Aussagen zum Thema deshalb schwierig. «Je nach Branche ist die Ausgangslage anders. Mancherorts ist die Viertagewoche ein Thema, andernorts gar nicht», sagt Sprecherin Annalisa Job.
Nach Gesprächen mit Filialleitern lasse sich jedoch festhalten: Je grösser der Fachkräftemangel, desto grösser tendenziell die Bereitschaft der Unternehmen, sich auf ein solches Experiment einzulassen. «Allerdings gibt es manche Unternehmen, die nach einer Probezeit zum Schluss kommen, dass die Viertagewoche für sie nicht funktioniert», so Job weiter.
Umstellung wird unterschätzt
Diese Einschätzung ist auch für die Autogarage Walter Hasler AG nicht verkehrt. Systemtechniker Böhler ist zwar glücklich mit dem neuen Arbeitsmodell. Bei Werkstattleiter Waldemar Marchel (42) ist die Anfangseuphorie derweil verflogen. «Die Viertagewoche ist bei meinem Team weniger beliebt als erwartet», sagt er und gibt unumwunden zu: «Wenn es nach mir ginge, würde ich das neue Modell wieder abschaffen.»
Von jenen Mechanikern, die vor drei Jahren freiwillig auf die Viertagewoche umgestiegen sind, haben einige wieder zum herkömmlichen Arbeitsmodell gewechselt. «Für viele waren die Arbeitstage schlicht zu lang und zu belastend», so Marchel.
Momentan hat der Werkstattleiter in seinem 20-Mann-Team nur noch drei Leute, die am Viertagemodell festhalten. «Das sind zwei zu wenig, damit mir das Ganze auch betreffend Arbeitsplatzoptimierung etwas bringt.»
Der Grund: Fünf Mitarbeitende, die je vier Tage arbeiten, können sich über die Woche verteilt vier Hebebühnen – sprich Arbeitsplätze – teilen. Marchel: «Dadurch wäre die Werkstatt besser ausgelastet.» Da er nun aber nicht mehr fünf Leute mit einer Viertagewoche habe, funktioniere dieser Plan nicht mehr, stattdessen sei die Arbeitsplanung komplizierter geworden.
Vorteil im Kampf um Fachkräfte – und für Kunden
Dennoch sieht die Walter Hasler AG derzeit davon ab, die Viertagewoche wieder abzuschaffen. «Das wäre nicht fair gegenüber den Mitarbeitenden, die sich auf das Experiment eingelassen haben und mit der aktuellen Situation zufrieden sind», sagt Stéphane Brandt (38), Mitglied der Geschäftsleitung beim Familienunternehmen.
Brandt ist sich bewusst, dass die Viertagewoche für seinen Werkstattleiter derzeit vor allem Mehraufwand bedeutet. Dennoch preist er diese Möglichkeit in Stelleninseraten weiterhin an. «Dabei geht es auch darum, dass wir uns von Mitbewerbern abheben und uns als modernen Arbeitgeber positionieren können.»
Der Kampf um Fachleute sei in der Branche brutal. Ein guter Automechaniker könne heutzutage praktisch frei wählen, wann und wohin er wechseln will. Brandt: «Dabei können kleine Details den entscheidenden Unterschied ausmachen.»
Zudem biete das Arbeitszeitmodell auch für die Kundinnen und Kunden Vorteile: Das Werkstattpersonal ist länger vor Ort, kann auf Notfälle reagieren – und Arbeiten müssen seltener auf den nächsten Tag verlagert werden.