Von der Postauto-Haltestelle in Sent GR über das Leihvelo in Zürich, das E-Voting-System im Kanton Thurgau bis hin zum klassischen Briefkasten in jedem Schweizer Haushalt: Die Post ist ein Imperium. Im April bekommt der gelbe Koloss einen neuen Chef. Einen Mister X.
Seit Donnerstag ist klar: Roberto Cirillo (47) wird Nachfolger von Susanne Ruoff (60), die wegen der Postauto-Affäre geschasst wurde. Mit der Ernennung Cirillos ist Postpräsident Urs Schwaller (66) die Überraschung der Woche gelungen. Den Tessiner ETH-Ingenieur hatte niemand auf der Rechnung.
McKinsey als zweifelhafte Referenz
Seine Karriere startete er 1998 beim berühmt-berüchtigten Beratungsunternehmen McKinsey in Zürich und verschwand im Ausland. Zurzeit lebt er in London, ist aber im Grunde heimatlos. Cirillos Existenz ist die eines archetypischen Managers. Mit seinem McKinsey-Werkzeugkasten heuerte er bei den unterschiedlichsten Firmen an. Er führte ein internationales Augenklinik-Unternehmen, zuvor das Frankreich-Geschäft einer Kantinen- und Heimservice-Firma.
Dies ist besonders bemerkenswert. Insgesamt acht Jahre verbrachte Cirillo bei Sodexo, mit 427'000 Angestellten einer der grössten Arbeitgeber der Welt. Der Konzern betreibt Kantinen auf Militärbasen, in Spitälern und Pflegeheimen von 80 Ländern. In England führt Sodexo mehrere Strafanstalten. Vergangenes Jahr stand die Firma am Pranger, weil in einem ihrer Gefängnisse Häftlinge die Kontrolle übernahmen.
Angst vor einem Abbau
Besonders lukrativ waren für Sodexo die Jahre nach der Finanzkrise. Die klammen Staaten mussten im grossen Stil Dienstleistungen privatisieren. 2009, also just in dieser Phase, wurde Cirillo zum Frankreich-CEO befördert. Mit der Post übernimmt er nun einen 100-prozentigen Staatsbetrieb. Passt das zusammen?
«Wir haben Angst, dass er ein Abbauer ist. Die Bevölkerung will das auch nicht», sagt Stefan Müller-Altermatt (42), CVP-Nationalrat und Präsident der Gewerkschaft Transfair, die sich unter anderem um die Post kümmert. «Wir hoffen sehr, dass bei Herrn Cirillo der McKinsey-Typ nicht zu sehr durchdrückt.» Warum hebt Müller-Altermatt ausgerechnet Cirillos ersten Arbeitgeber hervor? «Der Firma eilt halt ein Ruf voraus. Der Ruf des Auslagerns und des Abbaus.»
Offenbar konnte Cirillo aber ausgerechnet damit beim Post-Verwaltungsrat punkten. Branchenkenntnisse hat er jedenfalls keine vorzuweisen: Cirillo hatte nie mit einem Kerngeschäft der Post näher zu tun. Warum also gerade er? «Selten erfüllt ein verfügbarer Kandidat alle Kriterien. Dann muss man priorisieren: Welche Qualifikation ist im Moment wichtiger?», sagt Stefan Michel, Professor an der renommierten Lausanner Kaderschmiede IMD. «Der neue Post-Schweiz-Chef ist Schweizer, hat einen McKinsey-Hintergrund und ist kein VIP-CEO.» Er habe also Reorganisations-Kompetenz und sei nicht verfilzt. Michel: «Es scheint, als ob der VR nach all den Skandalen dies höher gewichtet hat als Branchenexpertise.» Cirillo selbst ist übrigens stolz auf seinen Hintergrund. «Die Techniken, die ich bei McKinsey gelernt habe, haben mir viel geholfen», sagte er 2009 gegenüber einer französischen Finanzzeitung.
Lohn als Hindernis bei der CEO-Suche
Noch vor anderthalb Monaten klagte Postpräsident Schwaller, wie schwierig die CEO-Suche sei. Ein Grund: Der Jahreslohn von maximal einer Million Franken sei zu tief. Punkto Salär kann Cirillo tatsächlich vorerst nicht mit seiner Vorgängerin Ruoff mithalten.
Laut Post beträgt seine Grundvergütung 540'000 Franken. Hinzu kommen Boni und Spesen. Susanne Ruoff hatte zuletzt einen Fixlohn von 610'000 Franken. Der Fixlohn aber steigt mit der Anzahl Berufsjahre. Bei ihrem Amtsantritt war auch Ruoff auf Cirillos Niveau. «Der Lohn ist sicher tiefer als bei vergleichbar grossen Unternehmen. Aber mit 540'000 plus Bonus kann man gut leben», so Professor Michel. Abschreckend an diesem Job sei etwas anderes: «Die Exponiertheit. Es gibt enorm viele Leute, die mitreden wollen. Die können einen über die Medien leicht zum Ziel machen.»
Die Post steht unter Druck
Mit der Post wartet auf Cirillo ein tief verunsichertes Unternehmen. Das einstige Kerngeschäft, Briefe zu verteilen, schrumpft. Negativzinsen bringen Postfinance in die Bredouille, die Cashcow des Konzerns. Landauf, landab wehrt sich die Bevölkerung gegen die Schliessung defizitärer Poststellen. Und die Postauto-Betrügereien haben das Image des gelben Riesen nachhaltig beschädigt.
Cirillo muss die Post gleichzeitig modernisieren und befrieden. Die Aufgabe erfordert viel Fingerspitzengefühl. «Die Post braucht jetzt jemanden, der gegen innen und aussen Sicherheit ausstrahlt», sagt Philipp Uhlmann (41), Headhunter bei der Firma MPB. Nicht mal ihm, dem Rekrutierungsprofi, war Cirillo ein Begriff. «Ich kannte ihn auch nicht. Einen zu holen, den niemand auf dem Radar hatte, ist eine Chance. Aber auch ein Risiko.»
Start mit unglücklicher Informationspolitik
Gerne hätte man Postpräsident Schwaller oder Neo-CEO Cirillo zu diesen Punkten befragt – keiner der beiden stand zur Verfügung. Die wenigen Cirillo-Zitate stammen aus einem dürren Communiqué vom Donnerstag: «Ich freue mich sehr, gemeinsam mit den Mitarbeitenden ein Stück Schweizer Identität weiterzuentwickeln und zu prägen.»
CVP-Nationalrat Müller- Altermatt kritisiert diese Informationspolitik. «Hätte man eine Pressekonferenz organisiert, hätte man sagen können: Das ist unser neuer Mann, und er ist aus diesen Gründen sackstark. Ende.» Jetzt aber habe man die Diskussion, schade damit Cirillo – und dem Arbeitsklima bei der Post.
Cirillo ist Noch-Verwaltungsrat der britischen Chemiefirma Croda. Er hätte wohl bei irgendeinem Betrieb anheuern können. Jetzt ist es ausgerechnet die Post. Das ist ziemlich gewagt. Roberto Cirillo ist Roberto Risiko.