Bystronic musste keine Kritik fürchten. Wie alle in der Schweiz börsenkotierten Unternehmen musste der Maschinenhersteller den Aktionärinnen und Aktionären dieses Jahr erstmals seinen Nachhaltigkeitsbericht zur Abstimmung vorlegen. Bei der Generalversammlung im April erhielt nicht nur der Jahresbericht problemlos Zustimmung, auch die nichtfinanziellen Belange schafften die Kür.
Die Aktionärinnen und Aktionäre genehmigten einen Bericht, in dem der Maschinenhersteller seine Anstrengungen in den Bereichen Umweltbelange (insbesondere die CO2-Ziele), Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, Achtung der Menschenrechte sowie bei der Bekämpfung von Korruption detailliert beschrieb. Der Haken an der Sache? Der Bericht war noch gar nicht vollständig, die Nachhaltigkeitsdaten wurden erst ein Vierteljahr später veröffentlicht. Trotzdem sagten die Aktionäre fast einstimmig Ja.
«Wie können wir solche Berichte verabschieden?», fragte Ethos-Geschäftsführer Vincent Kaufman kopfschüttelnd am Donnerstag in Zürich. Die Schweizerischen Stiftung für nachhaltige Entwicklung (Ethos) hat die Nachhaltigkeitsberichte der 143 berichtspflichtigen Unternehmen analysiert.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung in der Schweiz ist im grossen Stil ungleich und mängelhaft. Es fehlen oft unabhängige Prüfung, ambitionierte Ziele oder wesentliche Informationen. Der Maschinenhersteller Bystronic ist nur eines von vielen Negativbeispielen, die das Ethos-Team gefunden hat.
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Auch SMI-Firmen sind intransparent
Während es bei Finanzberichten klare Vorgaben gibt, herrscht in der Nachhaltigkeitsberichterstattung Wildwest. So veröffentlichten mit 75 nur gut die Hälfte der 143 berichtspflichtigen Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht, der einen international anerkannten Standard (GRI, SASB oder ESRS) einhält. Weitere 46 Firmen orientieren sich zwar an solchen Standards, wenden sie jedoch nicht vollständig an. Darunter befanden sich auch die fünf SMI-Unternehmen Alcon, Nestlé, Partners Group, Swiss Re und Zurich Insurance Group. 19 Unternehmen erwähnen gar keinen Standard. Das macht eine Vergleichbarkeit praktisch unmöglich.
Prekär ist es auch bei den Umweltdaten. Sie wurden nur teilweise erhoben und veröffentlicht: 56 Prozent der Unternehmen machen Angaben zur Menge an Abfall, die sie im Berichtsjahr produziert haben und nur 39 Prozent zu ihrem Wasserverbrauch. Etwas mehr Informationen gab es zum Energieverbrauch: 81 Prozent veröffentlichen diesen. Ähnlich lückenhaft steht es um personalpolitische Kennzahlen. Nur wenige Unternehmen veröffentlichen Fluktuationsdaten – und noch weniger jene zu freiwilligen Abgängen, die Aufschluss über das Klima innerhalb des Unternehmens und seiner Beliebtheit bei den Mitarbeitenden geben könnten.
Warum machen die Schweizer Firmen nicht mehr? Eine Erklärung könnte die Zunahme von passiven Investoren sein, die nicht genau hinschauen. Vincent Kaufman von Ethos beschreibt diesen Trend als eine Art Anlegerparadox: «Bei der CS war das Ende zu sehen, und trotzdem blieben die Leute dabei, weil es eben ein SMI-Titel war.»
Schweiz verzeichnet auch mehr Greenwashing-Fälle
Die fehlenden Kennzahlen erschweren es nicht nur Anlegerinnen und Anlegern wie Ethos, ihre Investments sorgfältig auszuwählen und zu gewichten. Sie hindern auch Unternehmen daran, sich zu verbessern. Nachhaltigkeit bleibt in den Führungsetagen damit ein Sternchenthema.
Ein weiteres Problem ist das sogenannte Greenwashing. Eine aktuelle Studie des Zürcher Unternehmens Reprisk zeigt, dass die Zahl der Greenwashing-Vorfälle weltweit zurückgeht – mit einer Ausnahme: der Schweiz. Im Jahr 2024 waren hier 61 Unternehmen in Greenwashing verwickelt, ein Anstieg von 17,3 Prozent im Vergleich zu 2023. Reprisk führt dies auf das Fehlen strengerer Regulierungen zurück, die in anderen Ländern bereits greifen.
Bundesrat will Berichtspflicht ausweiten
Auch in der Schweiz könnten die Firmen noch mehr unter Druck kommen. Mit der Revision des CO2-Gesetzes dürften sich einige Daten bereits im nächsten Jahr verbessern. Diese Woche läuft zudem die Eingabefrist für die Vernehmlassung für entsprechende Änderungen im Obligationenrecht ab. Darin schlägt der Bundesrat strengere Regeln für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vor. Analog zu den Regeln in der EU soll eine grössere Anzahl Unternehmen über die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und Korruption sowie über die dagegen ergriffenen Massnahmen Bericht erstatten müssen. Das bedeutet auch: klare Standards.
Die neue Regelung würde rund 3500 Unternehmen in der Schweiz betreffen. Sie alle wären künftig nicht nur zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet, sondern müssten die Berichte auch von der Generalversammlung genehmigen lassen. Offen ist allerdings, ob und wie Unternehmen im Fall einer Ablehnung reagieren müssten.