Corona-Chaos verwirrt Unternehmer
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Neue Regeln
Corona-Chaos verwirrt Unternehmer

Besitzer von Bars, Kinos und Fitnesscenter haben sich an ständig wechselnde Vorgaben gewöhnt. Diese Woche aber brachte viele ans Limit.
Publiziert: 13.12.2020 um 18:43 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2021 um 12:11 Uhr
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Vor sechs Jahren haben Christian Langenegger und sein Geschäftspartner die Bar The International in Zürich eröffnet.
Foto: Thomas Meier
Camilla Alabor

Der letzte Schritt ist Christian Langenegger alles andere als leicht gefallen. Er und sein Geschäftspartner haben viel Zeit, Geld und Herzblut in die Bar gesteckt, die sie 2014 eröffnet hatten: The International im hippen ­Zürcher Kreis fünf, spezialisiert auf Biere aus aller Welt. Gestern Samstag beschlossen die beiden Mit­besitzer, ihre Bar zu schliessen. Vor­übergehend. Hoffentlich.

«Der Entscheid des Bundesrats vom Freitag liess uns gar keine andere Wahl», sagt Langenegger (38). «Wenn wir als Bar bereits um 19 Uhr schliessen müssen, lohnt sich das für uns schlicht nicht: Wir verlieren mehr Geld, als wir einnehmen.» Bis Ende Januar bleiben die Türen des International deshalb zu. Und Bierliebhaber aussen vor.

Für den Schweiz-Kanadier war der Freitag der Tiefpunkt eines Jahrs, das so hoffnungsfroh begonnen hatte. Im Januar sah es so aus, als würden die beiden Barbesitzer nach sechs Jahren ihre Investitionskosten decken und zum ersten Mal Geld verdienen. «Unser Umsatz lag damals sogar leicht über dem Durchschnitt», erinnert sich Langen­egger.

Die Freude währte nicht lang. Im Februar hielt die Angst vor dem ­Virus die Kunden fern, im März der Lockdown, im Oktober die zweite Welle. Bestimmungen von Bund und Kantonen, die sich gefühlt im Wochentakt änderten, folgten Schlag auf Schlag. Noch am Donnerstag hoffte Langen­egger, dass vielleicht doch alles nicht so schlimm kommen werde. Am Freitagabend war dann klar: Morgen Samstag ist Schluss.

Niemend wusste, was wirklich gilt

Für viele Unternehmer ist Planungsunsicherheit derzeit die grösste Schwierigkeit. Dürfen wir unser Geschäft nächsten Monat noch für Kunden öffnen? Wenn ja, für wie viele? Und werden sie sich überhaupt trauen, zu kommen?

Das Dilemma zeigte sich diese Woche in zugespitzter Form. Denkwürdig der Auftritt in Zürich am Dienstagnachmittag: Um 14.15 Uhr traten drei Regierungsräte vor die Medien, um eine leichte Verschärfung der Massnahmen bekannt ­ zu geben. Nur um vier Stunden später konsterniert festzustellen, dass ihre Beschlüsse schon wieder hinfällig waren. Denn noch am selben Abend stellte der Bundesrat weit schärfere Massnahmen in Aussicht. Die allerdings würden erst am ­Freitag beschlossen – aber bereits ab Samstag gelten.

Das Vorgehen der Landes­regierung war nachvollziehbar, die Verwirrung dennoch total. Was nun galt, bald gelten würde oder bereits nicht mehr galt, schien niemand wirklich zu wissen.
Nicht nur die Gastrobranche ­leidet, auch Kultur- und Sporteinrichtungen müssen sich an ständig neue Vorschriften anpassen.

Armin Spörri (65) mag sich über das ständige Hin und Her nicht länger aufregen. «Ich habe mich daran gewöhnt», so der Besitzer von drei Trainings- und Gesundheitszen­tren am oberen Zürichsee. Für Kunden aber sei die Situation schwierig: «Die Leute wissen nicht mehr, was noch gilt.» Ob man im Fitnesszentrum Masken tragen muss oder nicht, ob Zugangsbeschränkungen gelten, ob die Zentren überhaupt noch offen seien.
Kommt hinzu, dass zu Spörris Kunden viele ältere Menschen zählen. Manche sind seit den Tagen des Lockdowns nicht mehr gekommen, obwohl ihr Abo weiterläuft. Andere haben es gleich ganz gekündigt.

Man hofft auf den Bund

Spörri hofft jetzt darauf, dass Bund und Kantone Unternehmer wie ihn für die neuen Umsatz­ausfälle entschädigen, zumindest teilweise. «Wenn man meine Zen­tren schliesst und überdies bei den Kunden Unsicherheit kreiert, ist das nichts als fair», findet er.

Auf etwas mehr Grosszügigkeit vonseiten des Bundes hofft auch Alain Marti (40), der in Thun BE zwei Kinos betreibt. «Wir machen dieses Jahr voraussichtlich 85 Prozent weniger Umsatz als in einem normalen Jahr», sagt Marti. Als Kinoinhaber profitiert er zwar von den Ausfallsentschädigungen für Kulturbetriebe. Allerdings hat der Kanton Bern diese Entschädigungen für die Zeit von November 2020 bis Ende 2021 auf 500 000 Franken pro Betrieb begrenzt. «Bei uns sind die Kinos bereits seit dem 23. Oktober wieder geschlossen», erklärt Marti. «Die 500 000 Franken reichen nicht einmal, um die Kosten zu decken, die uns seither entstanden sind – geschweige denn jene des nächsten Jahrs.» Er rechnet nicht damit, dass so bald wieder Normalbetrieb herrschen wird. Nicht nur wegen der Zutrittsbeschränkungen, sondern auch, weil das Filmgeschäft international organisiert ist.

«Solange die Kinos in Deutschland und den USA geschlossen bleiben, werden keine neuen Filme aus diesen Ländern veröffentlicht», sagt Marti. Was wiederum bedeutet, dass den Schweizer Häusern die Filme fehlen, um das Publikum anzuziehen. Sein Fazit: «Ohne weitere finanzielle Unterstützung und bei anhaltenden Einschränkungen nimmt Bern in Kauf, dass grössere Kinos in den Konkurs getrieben werden.»

Ein vergleichbares Szenario hofft Barbetreiber Langenegger durch die temporäre Schliessung zu verhindern. Ob ihm das gelingt, ist ungewiss: «Wir haben insofern Glück, als unser Vermieter uns bisher sehr entgegen gekommen ist», sagt der Bierenthusiast. Er setzt seine Hoffnung zudem in das Hilfspaket, das Finanzminister Ueli Maurer (70) am Freitag für die Gastrobranche in Aussicht stellte.

Beizer demonstrierten

Ob und in welchem Umfang diese Gelder ausbezahlt werden, ist ­allerdings völlig offen.
Just diese Unsicherheit hat in Bern am Samstag mehr als hundert Beizer auf die Strasse getrieben. Die Behörden sollten die Restaurants entweder ganz schliessen und fair entschädigen – oder aber «sinnvolle Massnahmen de­finieren, die ein anständiges Ar­beiten zulassen», so die Restaurantbetreiber.

Auch Christian Langenegger sitzt wie auf Nadeln, bis mögliche Hilfsgelder eintreffen. «In den vergangenen neun Monaten haben wir alles ­verloren, was wir uns in den fünf Jahren davor aufgebaut hatten», sagt er. Sein Geschäfts­partner hat gar seine gesamten Ersparnisse aus 25 Jahren Arbeiten investiert.
«Unsere Bar ist bisher stets gut gelaufen», sagt Langenegger. «Es darf nicht sein, dass das alles für nichts war.»

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