Der oberste Nestlé-Chef arbeitet derzeit tageweise im Büro und tageweise von zu Hause aus. Und weil er nicht ins Ausland reisen kann, besucht er seine Fabriken in der Schweiz. Das Interview fand am Telefon statt.
Herr Schneider, wie hat sich Ihr Alltag in der Corona-Krise verändert?
Mark Schneider: Die Konzernleitung handelt jetzt operativer. Normalerweise verfolgen wir grosse mittel- bis längerfristige Projekte – Innovationen, Marketingkampagnen, Akquisitionen. Jetzt haben wir auf Krisenmanagement umgestellt und klären ganz praktische Fragen.
Welche zum Beispiel?
Wie schützen wir unsere Mitarbeitenden in den Fabriken? Wie stellen wir sicher, dass wir genügend Rohstoffe haben? Woher kriegen wir Transportkapazitäten?
In normalen Zeiten reisen Sie um die Welt. Stellen Sie gerade fest, dass es auch ganz gut ohne geht?
Ohne geht es nicht, aber wir werden die eine oder andere Reise hinterfragen. Nestlé ist in 187 Ländern tätig. Ich will mir auch in Zukunft selber ein Bild in den Märkten und den Werken vor Ort machen. Reisen ist wegen unserer lokalen Verankerung Teil unserer Unternehmenskultur. Da ich jetzt sozusagen in der Schweiz feststecke, habe ich unsere hiesigen Fabriken besucht.
Mark Schneider (54) ist seit 2017 CEO von Nestlé mit Sitz in Vevey am Genfersee. 2019 beschäftigte der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern mehr als 290'000 Angestellte und machte einen Umsatz von 92 Milliarden Franken. Schneider leitete während 13 Jahren den deutschen Gesundheitskonzern Fresenius. Er ist der erste Chef seit 1922, den Nestlé extern rekrutierte. Der Deutsch-Amerikaner hat an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaft studiert und mit einem Doktorat abgeschlossen. Ausserdem hat er sich einen MBA der Harvard Business School erworben. Er ist verheiratet und ist Vater einer kleinen Tochter.
Mark Schneider (54) ist seit 2017 CEO von Nestlé mit Sitz in Vevey am Genfersee. 2019 beschäftigte der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern mehr als 290'000 Angestellte und machte einen Umsatz von 92 Milliarden Franken. Schneider leitete während 13 Jahren den deutschen Gesundheitskonzern Fresenius. Er ist der erste Chef seit 1922, den Nestlé extern rekrutierte. Der Deutsch-Amerikaner hat an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaft studiert und mit einem Doktorat abgeschlossen. Ausserdem hat er sich einen MBA der Harvard Business School erworben. Er ist verheiratet und ist Vater einer kleinen Tochter.
Wo waren Sie?
In den Nespresso-Fabriken in Romont und Avenches sowie bei Nespresso und Nescafé in Orbe. Führung findet für mich nicht aus der Sicherheit eines Homeoffice statt, sondern vor Ort. Wenn wir unseren Leuten in der Produktion sagen, dass es sicher sei, bei uns zu arbeiten, dann schulde ich es ihnen, auch selber dort zu sein.
Wie stark hat die Krise Nestlé getroffen?
Als Hersteller von Nahrungsmitteln und Getränken durften wir trotz Corona praktisch in allen Ländern weiterproduzieren. Uns ist bewusst, dass wir weniger stark betroffen sind als Unternehmen, deren Umsätze komplett weggebrochen sind. Daraus ergibt sich für uns auch die Verantwortung, zur Stabilität der Gemeinschaft beizutragen. Bei Gastrobetrieben zum Beispiel setzen wir Mietgebühren für unsere Kaffeemaschinen aus, verlängern die Zahlungsfristen und geben kostenlos Produkte ab, um den Neustart zu erleichtern.
Eben, Sie haben es gut mit Ihrem Geschäft: Essen und trinken müssen die Menschen auch in der Rezession.
Umso grösser sehen wir unsere Verantwortung für Mitarbeitende und Partner. Wo es zu kurzfristigen Stilllegungen kommt, zahlen wir bis zu zwölf Wochen lang den vollen Lohn. Wir haben den vielen Tausend Milchbauern, die uns weltweit beliefern, die Abnahme der vereinbarten Milchmengen zugesichert. Milch ist eine verderbliche Ware; wir können sie rechtzeitig zu Milchpulver verarbeiten. Wir haben allen unseren Aktionären die Dividende pünktlich gezahlt. Überall, wo wir zu Stabilität beitragen können, tun wir das.
Wie stellen Sie sicher, dass die Lieferketten nicht zusammenbrechen und die Produktion weiterläuft?
Zuerst müssen wir an die Sicherheit für unsere Mitarbeitenden denken. Wenn viele krank würden oder aus Angst nicht mehr zur Arbeit erschienen, liefe gar nichts mehr.
Was ist mit den Zulieferern?
Glücklicherweise haben wir früh genug reagiert und unsere Lager hochgefahren. Im April wäre es schwierig geworden, die Vormaterialien und die Transportkapazitäten zu bekommen. Indien zum Beispiel hatte für mehrere Wochen einen harten Lockdown. Ein Grossteil der Gewürze, die wir einsetzen, kommt von dort.
Wo hatten Sie Ausfälle?
Zum Glück nur punktuell. Wegen der Reisebeschränkungen in China konnten Arbeiter nach dem chinesischen Neujahr nicht aus ihren Heimatprovinzen zu ihren Fabriken zurückkehren. Darum vollzog sich Anfang Februar das Wiederanfahren dort etwas langsamer.
In der globalisierten Welt halten Firmen nur kleine Lagerbestände und produzieren «just in time». Rächt sich das jetzt?
Tatsächlich haben auch wir über die Jahre die Lagerhaltung immer mehr optimiert. Deswegen haben wir jetzt das Auffüllen der Lager als oberstes Ziel definiert und die finanziellen Vorgaben in diesem Bereich ausgesetzt.
Wie verhalten sich Ihre Kunden in der Krise: Was wird mehr gekauft, was weniger?
Wir verkaufen weniger an die Gastronomie, dafür kochen die Leute mehr zu Hause. Viele haben sich einen Vorrat angelegt ...
... Hamsterkäufe.
Schwierig zu sagen, da wir als Hersteller nicht nachverfolgen können, ob ein Produkt direkt konsumiert wird oder als Vorrat dient. Die Zahlen sprechen dafür, dass viele sich die Speisekammer auffüllen wollten.
Was verkauft sich besonders gut?
Weltweit kaufen die Menschen derzeit preisbewusst ein. Preisgerechte Markenprodukte laufen ebenfalls, weil man in der Krise auf deren Qualität vertraut. Premium-Produkte hingegen haben es schwerer. Zudem schwenken viele Kunden auf grössere Packungsgrössen um, weil sie viel zu Hause sind. Dann könnte es sein, dass diese Krise der Durchbruch ist für Online-Einkäufe auch bei Nahrungsmitteln.
Oder das Gegenteil! Die Online-Lieferdienste waren überlastet, so dass sich die Leute vielleicht sagen: nie wieder!
Die meisten haben verstanden, dass jetzt wegen des Ansturms alles etwas länger dauert – schliesslich waren auch in den Läden einzelne Regale leer.
Wie viele Lebensmittel hat Nestlé in der Krise zusätzlich verkauft?
Das kann ich noch nicht sagen. Um das seriös zu beantworten, fehlen derzeit die Daten.
Um wie viel werden sich Lebensmittel verteuern?
Wir haben keine Preissteigerungen beobachtet. Im ersten Quartal sind die Preise sogar leicht gesunken. Die Rohstoffe werden wegen der Rezession günstiger, auch der Ölpreis ist gesunken, damit sinken die Transportkosten. Hingegen werden die Sicherheitsmassnahmen teurer. Unter dem Strich sehe ich heute keine Lebensmittelinflation auf uns zukommen.
Was heisst es für Bioprodukte, wenn jetzt günstiger eingekauft wird?
Wer sich an Bioprodukte gewöhnt hat, der wird das nur sehr ungern wieder aufgeben. Es ist möglich, auch innerhalb des Bioangebots preisbewusst einzukaufen. Gesunde und umweltbewusste Ernährung ist ein langfristiger Trend. Diese Krise wird ihn nicht stoppen.
Sie investieren viel in vegane Fleischersatz-Produkte – Gemüseproteine, die aussehen und schmecken wie Burger, Würste, Schnitzel. Wie geht es damit weiter?
Das treiben wir mit Nachdruck, Energie und grosser Freude voran. Dieses Jahr werden viele Menschen ihre Ferien im eigenen Land verbringen. Es wird also ein guter Grillsommer – eine gute Voraussetzung für diese neusten Produkte.
Jedes Land reagiert anders auf das Virus: Welche Regierung macht es am besten?
Es ist richtig, dass jedes Land anders reagiert, weil die Geschwindigkeit der Ausbreitung, die Bevölkerungsstruktur und Infrastruktur verschieden sind. Ich muss sagen, dass mir die Reaktion der Schweiz und des Bundesrats sehr gut gefallen hat, weil sie im europäischen Vergleich schnell war, etwa mit dem Verbot von Grossveranstaltungen. Gleichzeitig hat der Bundesrat einen klugen, ausgeglichenen Weg gefunden und die Extreme vermieden. Also weder Ignoranz noch die totale Ausgangssperre.
Vielen Wirtschaftsführern geht der Weg raus aus dem Lockdown zu langsam.
Ich verstehe jeden, der möglichst rasch in die Normalität zurückwill. Ich halte aber auch hier den Mittelweg für den richtigen. Wir haben eine Phase grosser Unsicherheit vor uns. Und das wird nicht enden, bis entweder ein Impfstoff oder eine Therapie zur Verfügung steht. Bis dahin kann sehr viel Unvorhergesehenes passieren. Die Durchdringung der Bevölkerung mit dem Virus ist nach wie vor gering. Wenn man jetzt sorglos wird, kann sehr schnell eine zweite Welle kommen, welche die erste sogar übersteigt.
Was bleibt von der Krise?
Die Gesellschaft wird nicht mehr so sorglos mit Hygiene und Vorsorge umgehen. Aufs Händeschütteln werden wir wohl vorerst verzichten, häufiges Händewaschen wird normal, auch neue Vorschriften in Restaurants oder Flugzeugen, sowie Vorräte an Atemmasken und Handreinigungsmitteln werden ein Thema. Im Nachhinein betrachtet, ist es erstaunlich, wie wenig wir auf eine solche Pandemie global vorbereitet waren.
Dank Nestlé ist die Schweiz der drittgrösste Kaffee-Exporteur der Welt – Sie produzieren weltweit alle Nespresso-Kapseln in unserem Land. Warum eigentlich?
Mark Schneider: Das sage ich nun wirklich mit Stolz für Nestlé und für die Schweiz: Wenn ich einen Geschäftspartner so richtig beeindrucken will, dann fahre ich mit ihm in eine unserer Nespresso-Fabriken. Das hat noch nie seine Wirkung verfehlt. Diese Fabriken sind Weltspitze! Sie arbeiten in einer Qualität und mit einer Effizienz, die selbst Branchengrössen sehr beeindrucken. Und Sie könnten sogar vom Boden essen (lacht).
Solche Hightechfabriken funktionieren nur in der Schweiz?
Für genau diese Qualität und Präzision steht die Schweizer Ingenieurs-Kunst. Ich weiss nicht, ob Sie viel Nespresso trinken. Ich bin seit 2004 Kunde und habe in dieser Zeit die eine oder andere Kaffeemaschine ersetzen müssen. Aber ich hatte noch nie eine Kapsel, die nicht funktionierte!
Ist der Nespresso-Standort Schweiz ein rein wirtschaftlicher oder auch ein emotionaler, weil Nestlé hier seit 154 Jahren seinen Hauptsitz hat?
Als wir an Kapazitätsgrenzen stiessen, war es gar keine Frage, dass auch die nächsten Fabriken hier gebaut würden. Gerade in den Zeiten des starken Wachstums wäre das Letzte, was wir wollten, eine Fabrik, die nicht funktioniert und das Qualitätsimage von Nespresso untergräbt. Auch jetzt ist schon wieder absehbar, dass wir wegen des Wachstums weitere Produktionslinien einrichten werden.
Dank Nestlé ist die Schweiz der drittgrösste Kaffee-Exporteur der Welt – Sie produzieren weltweit alle Nespresso-Kapseln in unserem Land. Warum eigentlich?
Mark Schneider: Das sage ich nun wirklich mit Stolz für Nestlé und für die Schweiz: Wenn ich einen Geschäftspartner so richtig beeindrucken will, dann fahre ich mit ihm in eine unserer Nespresso-Fabriken. Das hat noch nie seine Wirkung verfehlt. Diese Fabriken sind Weltspitze! Sie arbeiten in einer Qualität und mit einer Effizienz, die selbst Branchengrössen sehr beeindrucken. Und Sie könnten sogar vom Boden essen (lacht).
Solche Hightechfabriken funktionieren nur in der Schweiz?
Für genau diese Qualität und Präzision steht die Schweizer Ingenieurs-Kunst. Ich weiss nicht, ob Sie viel Nespresso trinken. Ich bin seit 2004 Kunde und habe in dieser Zeit die eine oder andere Kaffeemaschine ersetzen müssen. Aber ich hatte noch nie eine Kapsel, die nicht funktionierte!
Ist der Nespresso-Standort Schweiz ein rein wirtschaftlicher oder auch ein emotionaler, weil Nestlé hier seit 154 Jahren seinen Hauptsitz hat?
Als wir an Kapazitätsgrenzen stiessen, war es gar keine Frage, dass auch die nächsten Fabriken hier gebaut würden. Gerade in den Zeiten des starken Wachstums wäre das Letzte, was wir wollten, eine Fabrik, die nicht funktioniert und das Qualitätsimage von Nespresso untergräbt. Auch jetzt ist schon wieder absehbar, dass wir wegen des Wachstums weitere Produktionslinien einrichten werden.