Ndidi Okonkwo Nwuneli kämpft für Afrika
«Öffentliche Entwicklungshilfe funktioniert häufig nicht»

Ungerechtigkeit macht Ndidi Okonkwo Nwuneli (44) wütend. Die Nigerianerin ist daran, den Landwirtschaftssektor in Westafrika umzupflügen. Davon profitieren sowohl Kleinbauernfamilien als auch multinationale Konzerne. Nwuneli will Afrika verändern.
Publiziert: 02.11.2019 um 12:14 Uhr
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Aktualisiert: 18.11.2019 um 17:05 Uhr
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Westafrika kämpft mit Problemen. Eines davon ist der Landwirtschaftssektor. Vieles läuft nicht so, wie es soll, findet Ndidi Okonkowo Nwuneli (44). Sie spricht von Ungerechtigkeit.
Foto: AFP/Getty Images
Aline Wüst

Ndidi Okonkwo Nwuneli (44) zählt zu den einflussreichsten Frauen Afrikas. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) kürte sie zu den «Young Global Leaders». Sie ist an diesem Herbsttag direkt vom Uno-Klimagipfel in New York angereist, spricht am Abend auf Einladung der Schweizer Entwicklungsorganisation Helvetas an einem Symposium in Bern, bei dem es darum geht, wie das wirtschaftliche Potenzial Afrikas freigesetzt werden kann, reist am Tag darauf nach Nigeria. In ihre Heimat.

Nwuneli will – wie viele – die Welt verändern. Während Trump auf Egoismus setzt und Erdogan auf Gewalt, setzt Nwuneli auf Wut. Wut, die zu konstruktiven Lösungen führt. Sie will Lebensmittelknappheit und Unterernährung bekämpfen und andere Afrikanerinnen und Afrikaner inspirieren, die Umgebung, in der sie leben, zum Besseren zu verändern.

Die Nigerianerin ist davon überzeugt, dass jeder Mensch auf dieser Welt ist, um einen Unterschied zu machen. Vielleicht auch darum sagt sie: «Ich wurde nicht durch Zufall in Afrika geboren. Ich werde mit meinem Leben einen Unterschied machen. Ich will Afrika verändern.» Das sei ein grosses Ziel, dessen sei sie sich bewusst. Aber dieser Kontinent liege in den Händen ihrer und der jüngeren Generationen. Doch zurück zur Wut.

Woher kommt Ihre Wut, Frau Nwuneli?
Du kannst nicht blind sein, wenn du in einem Umfeld mit Ungerechtigkeiten lebst. Kaum verlässt du dein Haus, wo du vielleicht sehr gut lebst, triffst du draussen auf der Strasse jemanden, dem es gar nicht gut geht. Nicht nur in Afrika. Ungerechtigkeit macht mich wirklich wütend. Ich muss etwas tun dagegen und kann nicht blind sein all dem gegenüber.

Viele Menschen sind es.
Ich weiss. Aber ich will das nicht. Weil ich denke, wir können so viel gegen diese Ungerechtigkeit tun. Viele unserer Probleme sind menschengemacht. Wir haben diese Probleme kreiert. Also können wir sie auch wieder lösen.

Wo beginnen?
Wir müssen aufhören, so egozentrisch zu sein. Es geht oft nur um uns und unsere Nächsten. Viele von uns sind nur mit sich selbst beschäftigt und einzig auf ihr eigenes Leben fokussiert. Darauf, selber glücklich zu sein.

Was ist daran falsch?
Der Mensch funktioniert nicht isoliert, wir existieren immer zusammen mit anderen. Damit wir in Frieden zusammenleben können, braucht es Gerechtigkeit in einer Gesellschaft: Gendergleichheit, soziale Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit und Gleichberechtigung von Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe.

Blind vor Wut ist Nwuneli nicht. Die ehemalige McKinsey-Beraterin ist das alles strategisch angegangen, hat ein Buch darüber geschrieben, wie sich Wut kanalisieren lässt. Es ist eine Gebrauchsanweisung dafür, auf eine soziale Art unternehmerisch tätig zu sein. Es gelingt ihr. Nwuneli inspiriert andere Menschen.

Seit zehn Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Nahrungsmitteln und Landwirtschaft. Ein delikates und komplexes Thema. In Afrika spielt da vieles mit hinein. Auch westliche Hilfe. Nwuneli sagt: «Die öffentliche Entwicklungshilfe funktioniert häufig nicht.» Regierungen gehe es oft nicht in erster Linie darum, einem anderen Land zu helfen, sondern ihre eigenen Steuerzahler zufriedenzustellen.

Chaotische Nahrungsmittelkette

Darum kaufen Regierungen Nahrungsmittel von den eigenen Bauern und geben sie Menschen in Afrika als Lebensmittelhilfe. Die Konsequenz ist ein Chaos. Solche Lebensmittelhilfe zerstört die lokalen Marktpreise. Nwuneli macht ein Beispiel: Ein Bauer in Senegal baut Reis an und kann ihn für 100 Euro verkaufen. Dann kommt Reis als Lebensmittelhilfe ins Land, gratis.

Irgendjemand im System sagt: Wir verkaufen den Reis und nutzen das Geld für Entwicklungsprogramme. Gesagt, getan: Der Reis wird verkauft, für 50 Euro. Der Bauer, der Reis angebaut hat, kann nun seinen Reis nicht mehr verkaufen. Für eine kurze Zeit wird der Markt verzerrt und damit zerstört. «So wird ein unfaires System kreiert». Der lokale Bauer, den die Regierung aus dem westlichen Land unterstützen wollte, ist nun ärmer als zuvor. Darum sei es so wichtig, bei geplanten Hilfsaktionen die lokale Bevölkerung miteinzubeziehen, wie das viele Entwicklungsorganisationen längst tun.

Fruchtbarer Boden als Problemlöser

Für Nwuneli liegt der Schlüssel zur Lösung vieler Probleme in der Landwirtschaft. «Dieser Kontinent ist dafür gemacht.» Stecke man irgendwas in den Boden, wachse es. «Ein riesiges Potenzial.» Auch an Arbeitsplätzen. Das wiederum halte junge Menschen auch vor der Migration nach Europa ab. Das Problem ist: Es fehlen oft Marktzugänge für lokale Bauern.

Darum importieren grosse Unternehmen Nahrungsmittel, statt lokal zu beziehen und zu produzieren. Schlicht weil es einfacher ist. Das führt zur absurden Situation, dass beispielsweise Kartoffeln aus Grossbritannien importiert werden, satt sie aus einem abgelegenen Ort in Nigeria in die Hauptstadt zu transportieren.

Unterstützung für lokale Kleinbauern

Nwuneli will das ändern. Deshalb hat sie AACE Foods gegründet. Sie will, dass die Kleinbauernfamilien in Nigeria, die oftmals gerade mal einen Hektar Land besitzen, ihre Erzeugnisse zu fairen Preisen national und international verkaufen können. Und sie fordert, dass multinationale Unternehmen nicht auf Monokulturen setzen, dafür gezielt lokale Kleinbauern unterstützen.

Die 44-Jährige hat darum Vertriebswege geschaffen. Die Probleme, die sie antraf, waren ganz alltäglicher Art: Die Bauern wollten in Säcken liefern. Nwuneli aber brauchte Ingwer, Kurkuma, Mais & Soja in Kilogramm. Weil Säcke unterschiedliche Grössen haben. Also wurden Waagen gekauft, die Leute geschult.

Nwuneli die Unternehmensgründerin

Das ist nun zehn Jahre her. Ein ganzes Vertriebsnetzwerk wurde geschaffen, rund 10'000 Kleinbauern verkaufen mittlerweile ihre Nahrungsmittel an AACE Foods, das Unternehmen wächst. «Im Leben der Bauern macht das einen grossen Unterschied.» AACE Foods produziert einerseits eigene Lebensmittel wie Gewürze und Maissojamischungen. Andererseits verkauft das Unternehmen auch an Nahrungsmittelmultis wie Unilever.

Nwuneli hat noch eine andere Firma: Sahel Consulting. Privatwirtschaft, Regierungs- und Entwicklungsorganisationen sollen Hand in Hand den Lebensmittel- und Landwirtschaftssektor in Westafrika und darüber hinaus grundlegend verändern. Das Ziel auch hier: Wertschöpfung in der Region.

Neues Vertriebssystem für die Milch

Zum Beispiel in der Milchwirtschaft. 99 Prozent der Milch in Nigeria wird in Form von Milchpulver importiert. Es kommt von multinationalen Firmen mit Sitz im Westen. In Nigeria gibt es auch Kühe – 20 Millionen. Aber keine Verbindung zwischen ihrer Milch und einem Marktsystem. Die Tiere gehören Nomaden, die mit ihnen auf der Suche nach Wasser und Nahrung im Land umherziehen. Was für Spannungen mit sesshaften Bauern sorgt, die manchmal tödlich enden.

Nwunelis Lösung: Für die Nomaden werden Flächen gesucht, auf denen sie sich niederlassen können, mittels Solarpumpen wird Wasser aus der Tiefe geholt, Bauern liefern Futter für das Vieh. Ein Vertriebssystem für die Milch wird geschaffen. Nwuneli setzt das Projekt als Beraterin um.

Mehr Kakao soll im Land bleiben

Ein Teil der Mittel kommt von einem internationalen Geldgeber, der andere aus der Privatwirtschaft. Und gerade weil private Firmen mitfinanzierten, sei es nachhaltig. «Sie haben ein Eigeninteresse, weil sie ein Risiko eingegangen sind.» Gerade werde das Projekt auf fünf weitere nigerianische Bundesstaaten und fünf zusätzliche Firmen ausgeweitet. So gibt es nun Milch aus Nigeria, und die Lebensbedingungen der Viehbauern werden zugleich verbessert.

Milch ist nur ein Beispiel. Kakao ein anderes. Ghana und die Elfenbeinküste produzieren weltweit 60 Prozent des gesamten Kakaos. Vom ganzen Profit bleiben fünf Prozent in den beiden Ländern. Das müsse sich ändern, sagt Nwuneli und fügt an: «Sagen Sie mir nicht, dass es unmöglich ist!» Es sei wie bei der Milch. Alle hätten ihr gesagt: Das wird zehn Jahre dauern, bis nigerianische Bauern es schaffen, die geforderte Milchqualität hinzubringen. «Stimmt nicht!»

Mit afrikanischem Essen direkt ins Herz

Für die Mutter von zwei Kindern ist klar, dass kein Land sich nur mit der Regierung und NGOs entwickeln kann. In einigen Ländern sei das aber genau so: Es fehlt ein intakter Privatsektor. «Für Entwicklung braucht es einen Markt, der funktioniert – multinationale Konzerne, kleine und mittlere Unternehmen. Das ganze ökonomische System muss funktionieren.» NGOs dürften nur die Löcher füllen, die Regierung und Privatwirtschaft nicht abdecken können. Sie selber hat keine Berührungsängste mit der Privatwirtschaft. Sass sie doch im Verwaltungsrat von Nestlé Nigeria.

Und dann gibt es noch etwas anderes, was ihr am Herzen liegt: das afrikanische Essen. Es sei Weltklasse. Die Welt müsse das erfahren. Leider gebe es so wenige afrikanische Restaurants in Europa und den USA – das sollte sich ändern. Denn das negative Bild des Kontinents lasse sich auch über den Gaumen ändern. Schliesslich sei Essen der Weg zum Herzen der Menschen.

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