Er ist der Einzige im Land, der wirklich Macht hat. Wenn er etwas will, muss er weder das Parlament noch den Bundesrat um Erlaubnis bitten. Er braucht keine Ämterkonsultation und keine Vernehmlassung. Und kein Volksentscheid und kein Bundesgericht können ihn zurückpfeifen.
Am 15. Januar 2015 machte Thomas Jordan (52) von dieser Macht Gebrauch. Das von ihm angeführte Direktorium der Schweizerischen Nationalbank (SNB) kam zum Schluss, dass der Euro-Mindestkurs von Franken 1.20 nicht mehr zu halten sei und gab ihn auf. Das Beben an den Börsen war grösser als nach den Terroranschlägen am 11. September 2001. Der Frankenkurs schoss durch die Decke. Und lastet seither wie ein Bremsklotz auf der Exportwirtschaft.
Der Notenbank-Entscheid spaltet das Land. Die Rechten verehren Jordan als Patrioten, Visionär und Retter des Frankens. Die Linken verdammen ihn als mutlosen Anpasser und Totengräber von Tourismus und Industrie.
Gerecht wird dem Nationalbankpräsidenten keine der beiden Seiten. Jordan ist weder ein ideologischer Hardliner noch einer, dem menschliche Schicksale egal wären. Der Zwei-Meter-Mann und frühere Spitzenwasserballer ist ein sensibler Mensch. Das merkt jeder, der mal mit ihm zu tun hatte.
Leicht gemacht hat sich Jordan den Entscheid sicher nicht. Doch zu bereuen scheint er ihn nicht. Bei öffentlichen Auftritten wirkte der Bieler geradezu frohgemut. Als habe ihn die Aufgabe des Mindestkurses von einer Last befreit.
Seine Schwäche war, dass es ihm nicht gelang, die Gründe für den Kurswechsel überzeugend zu vermitteln. Immer wieder verwies die Nationalbankspitze auf die Hunderte von Milliarden Franken, welche die weitere Verteidigung des Mindestkurses gekostet hätten. Und sie raunte, dass eine weitere Aufblähung der Bilanz die Notenbank irgendwann handlungsunfähig hätte machen können.
Emotional verfingen diese Worte. Im Wahlkampf war die Geldpolitik nur ein Nebenschauplatz. Wer will schon eine Notenbank, die unter Milliardenverlusten zusammenbricht und einen Franken, der mit dem Euro implodiert? Doch die Fachleute runzelten die Stirn. Denn theoretisch kann die Nationalbank ihre Bilanz beliebig ausweiten. Pleite geht sie selbst bei negativem Eigenkapital nicht. In gewissen Kreisen macht seither das hässliche Wort der «Bilanz-Lüge» die Runde.
Jordan verstrickte sich in weitere Ungereimtheiten. Gebetsmühlenartig wiederholt er, der Franken sei zum Euro überbewertet, eine Normalisierung nur eine Frage der Zeit. Mit dieser Einschätzung befindet er sich auf sicherem Boden. Doch wenn sie zutreffen würde, hätte die SNB ohne grössere Schwierigkeiten am Mindestkurs festhalten können. Denn dann würde sich der Euro irgendwann ganz automatisch von der Marke von Franken 1.20 lösen und die SNB könnte ihre Euros mit schönem Gewinn verkaufen. Doch Jordan scheint den eigenen Worten nicht zu trauen.
Selbst Leute, die den Entscheid der Notenbank verteidigen, gehen davon aus, dass die im Spätherbst 2014 lauter werdende Kritik aus SVP- und Finanzkreisen einen Einfluss da-rauf hatte, dass die SNB den Mindestkurs aufgab. «Die Nationalbank lebt nicht auf dem Mond», sagt ein führender Verbandsökonom.
Bis jetzt kam Jordan mit einem blauen Auge davon. Der von seinen Gegnern prophezeite Flächenbrand in der Industrie blieb aus. Die Wirtschaft wächst zwar deutlich langsamer als zuvor, aber sie wächst. Und die Bevölkerung steht vorerst ohnehin auf der Gewinnerseite: Der starke Franken macht Importgüter und Auslandreisen konkurrenzlos billig. Die Konsumenten leben im Schlaraffenland.
Gleichwohl ist Jordan nicht zu beneiden. Der Detailhandel bleibt auf der Strecke. Die Exportwirtschaft gerät gegenüber Deutschland und Österreich ins Hintertreffen. Spätestens wenn die Arbeitslosigkeit steigt, wird die Stimmung im Land kippen.
Die Leute sind bereit, ein oder zwei schwierige Jahre hinzunehmen. Doch über kurz oder lang werden sie von Jordan eine Geldpolitik fordern, die dem Land nützt und nicht schadet. Das ist die Kehrseite der Macht: Sie macht schnell einsam.