Nestlé-Chef Paul Bulcke versuchte vor den Medien in Neu Delhi die Wogen zu glätten, nachdem der Schweizer Nahrungsmittelriese wegen seiner anfänglich zögerlichen Reaktion heftige Kritik einstecken mussten - mit mässigem Erfolg: Auf einer Pressekonferenz wurde Bulcke von Reportern wiederholt niedergeschrien. «Wir sind ein Unternehmen, das vom Vertrauen der Konsumenten lebt», sagte Bulcke in Neu Delhi. Der Verkaufsstopp sei eine vorsorgliche Massnahme, ein Gesundheitsrisiko bestehe nicht, versicherte der Nestlé-Chef.
Offizielle Stellen beurteilen das anders. Im Labor seien erdrückende Beweise gefunden worden, dass die Fertignudeln für Menschen unsicher und gefährlich seien, teilte die staatliche Lebensmittelbehörde kurz nach der Pressekonferenz mit und ordnete einen Rückruf an. Nestlé werden zudem Verstösse gegen die Kennzeichnungspflicht und andere Bestimmungen vorgeworfen.
Indiens Gesundheitsminister J.P. Nadda erklärte, alle neun Varianten der Maggi-Nudeln dürften vorläufig nicht mehr verkauft werden. Laboruntersuchungen in einzelnen Bundesstaaten hatten Bleiwerte ergeben, die bis zu siebenmal so hoch wie der erlaubte Grenzwert waren. Ausserdem wurde der Geschmacksverstärker Glutamat entdeckt, der nicht auf der Packung ausgewiesen ist.
Bulcke versicherte, Nestlé arbeite mit den Behörden zusammen. Die Nudeln sollen so bald wie möglich wieder in den Regalen stehen. «Ich bin zuversichtlich, dass wir sehr bald zurückkommen werden», erklärte Bulcke.
Die Nudeln stehen für 15 bis 20 Prozent des Nestlé-Umsatzes in Indien, machen jedoch nur einen Bruchteil des Konzernumsatzes von 91,6 Milliarden Franken aus. Die Packungen werden für umgerechnet 19 Rappen angeboten und sind landesweit an nahezu jeder Strassenecke zu haben.
Maggi, von Bollywood-Filmstars beworben, ist seit Jahrzehnten Marktführer vor Rivalen wie Hindustan, Unilever, Knorr und GlaxoSmithKline. Laut indischen Medien haben sie einen Marktanteil von 70 Prozent. Maggi gehörte zu den fünf vertrauenswürdigsten Marken, wie es in einem Artikel der indischen «Economic Times» heisst.
Analysten und Marktexperten stellten Nestlés Strategie infrage, auf Konfrontation mit der Regulierungsbehörde zu gehen und wochenlang ein Problem zu leugnen.
«Wenn sie mich fragen, war alles falsch, was Nestlé gemacht hat», sagte Arvind Singhal, Vorsitzender der auf den Detailhandel spezialisierten Beratungsfirma Technopak. «In diesen Tagen und Zeiten der sozialen Medien kann man Regierung und Konsumenten nicht in Zweifel ziehen.»
Indien ist trotz Hygienemängeln weniger von Lebensmittelskandalen betroffen als China. Analysten gehen allerdings davon aus, dass mit zunehmendem Wohlstand und Gesundheitsbewusstsein sowie leichtem Zugang zu sozialen Medien mehr Fälle an die Öffentlichkeit dringen werden. Darauf sollten sich globale Marken besser vorbereiten.
Der letzte grosse Skandal mit abgepackten Lebensmitteln in dem Land geht auf das Jahr 2006 zurück. Damals warfen Umweltschutzgruppen Fragen über Spuren von Pestiziden in Getränken von Coca-Cola und PepsiCo auf.