Das Schicksal von Tijana Soldo (24) bewegt die Schweiz. Die junge Mutter hatte nach einer Frühgeburt ihrer Tochter Leyla (6 Monate) ihren Job an der Shell-Tankstelle Erlach in St. Gallen verloren. Direkt nach dem Ende des Mutterschaftsurlaubs. Obwohl ihr die Chefin immer wieder versprochen hatte, ihr den Job freizuhalten.
Dutzende Mütter meldeten sich gestern bei BLICK. Sie wollen Soldo Mut machen. Erschreckend: Viele von ihnen haben das Gleiche mitgemacht. Aus Angst erzählen viele ihre Geschichte nur anonym. Dass Mütter nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs auf die Strasse gestellt werden, scheint System zu haben.
Vier Mal mehr Fälle als vor fünf Jahren
«Wir haben fast vier Mal mehr Fälle als vor fünf Jahren», sagt Aner Voloder (41) von der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich. «Vermutlich hat der Druck in der Wirtschaft extrem zugenommen.» Auch die Versicherung Axa bestätigt, dass ihre Rechtsschutzabteilung immer wieder mit solchen Fällen zu tun hat. Das Problem betrifft nicht nur den Detailhandel, sondern zieht sich quer durch die ganze Arbeitswelt. Das zeigen die folgenden Fälle:
Die gelernte Kauffrau Martina Steffen* (28) arbeitet seit zwölf Jahren bei einem Immobilienhändler in der Buchhaltung, als sie vor einem Jahr schwanger wird. «Mein Chef versicherte mir gar schriftlich, dass er mich mit einem 80-Prozent Pensum weiterbeschäftigen wolle», sagt sie. Doch es kommt anders.
Als sie nach vier Monaten Mutterschaftsurlaub zur Arbeit kommt, sitzt an ihrem Pult eine andere. Ihre persönlichen Sachen liegen in einer Kiste verstaut in der Ecke. Der CEO feuert sie noch am gleichen Tag.
«Als Grund nannte er meine Absenzen während der Schwangerschaft. 29 Tage seien zu viel», so Steffen. «Dabei wurde ich erst ab dem achten Monat teilweise krankgeschrieben und habe bis zwei Wochen vor der Geburt gearbeitet», sagt sie.
Existenzängste hat Managerin Jolanda Widmer* (39) aus Rapperswil SG. Die Kaderfrau bekommt im Januar, einen Tag nach dem Mutterschaftsurlaub, die Kündigung. Ihr Büblein ist gerade einmal 16 Wochen alt. «Meine Entlassung sei unumgänglich, sagte mir mein Chef und machte wirtschaftliche Gründe geltend.»
Für Widmer ein Schlag ins Gesicht: «Ich hatte immer beste Zeugnisse. Wie soll ich als frischgebackene Mutter wieder einen gleichwertigen Job finden?»
«Das ist eine Sauerei!»
Politikerinnen von links bis rechts zeigen sich betroffen vom Fall von Tijana Soldo. «Was da passiert ist, ist eine Sauerei. Offensichtlich gibt es viele Arbeitgeber, die kein Verständnis für die besondere Situation von Müttern und Vätern haben», sagt Min Li Marti (42). Für die Zürcher SP-Nationalrätin ist klar: «Insbesondere Mütter werden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert.»
Auch der SVP-Nationalrätin Nadja Pieren (37, BE) geht die Geschichte nahe. «So etwas macht mich traurig. Aber grundsätzlich herrscht in der Schweiz Kündigungsfreiheit. Und das ist gut so», sagt die Kita-Leiterin. Sie hat selber zwei junge Mütter angestellt. «Ich wollte sie unbedingt im Betrieb behalten. Das alles bedeutet einen Mehraufwand für die Arbeitgeber, doch gute Chefs nehmen ihre soziale Verantwortung wahr.»
«Wir brauchen zwingend Mütter in der Wirtschaft!»
Für Nationalrätin Doris Fiala (60, ZH), künftige Präsidentin der FDP-Frauen, ist klar: «Wir brauchen zwingend Mütter in der Wirtschaft!» Denn: «Lassen Arbeitgeber wie im Fall von Tijana Soldo jegliches Fingerspitzengefühl vermissen, haben wir sofort wieder die Gewerkschaften auf der Matte, die nach neuen Gesetzen rufen», befürchtet Fiala.
In der Tat: Unia-Detailhandelsexpertin Natalie Imboden (46) fordert, dass der Schutz vor Kündigungen wegen Mutterschaft dringend verbessert wird. «Entlassungen nach dem Mutterschaftsurlaub sind für die Betroffenen gravierend und gesellschaftlich empörend. Solche Missbräuche müssen verhindert werden.»
«Der Fall Soldo ist stossend»
Anders sieht das Hans-Ulrich Bigler (58), Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands. «Wegen eines Einzelfalls eine Gesetzesänderung zu fordern, wäre vermessen», sagt er. Jemandem wegen eines Kindes zu kündigen sei aber «generell daneben». Die Firma verliere in einem solchen Fall zudem viel Know-how. «Der Fall Soldo ist stossend.»
Auch beim Arbeitgeberverband sieht man keinen Grund, das Arbeitsgesetz zu ändern. Die Schweizer Wirtschaft sei auf qualifizierte Männer und Frauen angewiesen, die trotz familiärer Betreuungspflichten arbeiteten. Die Arbeitgeber seien daher gefordert, Arbeitszeit- und Karrieremodelle anzubieten, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen und Veränderungen Rechnung tragen, sagt ein Verbandssprecher.
* Namen von der Redaktion geändert
Tijana Soldo (24) schaut auf einen ereignisreichen Tag zurück. «Aus meinem Freundeskreis habe ich nur positive Reaktionen bekommen. Viele haben mir zu meinem Mut gratuliert, mit meiner Entlassung an die Öffentlichkeit zu gehen», sagt sie. Auf der BLICK-Redaktion sind mehrere Jobangebote für die junge Mutter eingegangen. «Die werde ich nun sorgfältig prüfen. Ich hoffe sehr, dass etwas Passendes dabei ist für mich», sagt sie. Es meldeten sich auch Leser, die der kleinen Leyla (6 Monate) ein Geschenk machen wollten. «So lieb, das freut mich riesig», sagt Soldo. Damit nicht genug: Der Fall der nach dem Mutterschaftsurlaub entlassenen ehemaligen Angestellten einer St. Galler Shell-Tankstelle stösst auch im benachbarten Ausland auf Interesse. Der deutsche TV-Sender RTL will darüber berichten.
Tijana Soldo (24) schaut auf einen ereignisreichen Tag zurück. «Aus meinem Freundeskreis habe ich nur positive Reaktionen bekommen. Viele haben mir zu meinem Mut gratuliert, mit meiner Entlassung an die Öffentlichkeit zu gehen», sagt sie. Auf der BLICK-Redaktion sind mehrere Jobangebote für die junge Mutter eingegangen. «Die werde ich nun sorgfältig prüfen. Ich hoffe sehr, dass etwas Passendes dabei ist für mich», sagt sie. Es meldeten sich auch Leser, die der kleinen Leyla (6 Monate) ein Geschenk machen wollten. «So lieb, das freut mich riesig», sagt Soldo. Damit nicht genug: Der Fall der nach dem Mutterschaftsurlaub entlassenen ehemaligen Angestellten einer St. Galler Shell-Tankstelle stösst auch im benachbarten Ausland auf Interesse. Der deutsche TV-Sender RTL will darüber berichten.