Nach der Potcom-Blase
Cannabis-Branche wird erwachsen

Mit Cannabis konnte man in den letzten Jahren mächtig abgrasen. Experten sind sich einig: Um eine Blase wie bei Bitcoin handelt es sich nicht. Das Gras ist Genuss-Mittel und Medizin zugleich.
Publiziert: 26.12.2018 um 15:04 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2021 um 19:24 Uhr
Die Cannabis-Industrie ist auf Wachstumskurs, die Nachfrage ist riesig – als Genussmittel sowieso, aber immer mehr auch zu medizinischen Zwecken.
Foto: Archiv

In der Cannabis-Branche herrscht Goldgräberstimmung. Anleger, die ihr Geld in börsennotierte Produzenten wie Canopy Growth und Aurora Cannabis steckten, konnten sich in den vergangenen zwei Jahren eine goldene Nase verdienen.

Inzwischen ist etwas Ernüchterung eingekehrt: Seit Kanada im Oktober als weltweit erste grosse Industrienation den Cannabis-Konsum vollständig freigab, gingen die Kurse nach unten, auch wegen schwächer als erwarteter Geschäftszahlen. «Die Aktien waren ein absoluter Spielball von Zockern», sagt Analyst Jochen Stanzl vom Broker CMC Markets.

Dieser Hype sei vorbei. «Die Frage ist nun, wie sich die Unternehmen dieser Branche etablieren.» Denn auch wenn sich Anleger 2019 dem nächsten Trendthema zuwenden dürften, sind sich Experten einig: Die Cannabis-Industrie ist auf Wachstumskurs, die Nachfrage ist riesig – als Genussmittel sowieso, aber immer mehr auch zu medizinischen Zwecken.

Vergleichbar mit Bitcoin

Seit Anfang 2017 bis zu den Höchstständen im Oktober dieses Jahres legten die Aktien von Branchengrössen wie Canopy Growth und Aurora Cannabis um 670 Prozent beziehungsweise 650 Prozent zu. Seitdem haben die Aktien der Cannabis-Firmen an der Börse aber teilweise mehr als die Hälfte an Wert eingebüsst. Der nordamerikanische «Marijuana Index», in dem die führenden Unternehmen der Branche aus den USA und Kanada gelistet sind, hat seit seinem Rekordhoch im Herbst rund die Hälfte verloren. CMC-Analyst Stanzl spricht von einer Blase, die geplatzt ist. «Von der Psychologie war das vergleichbar mit Bitcoin.» Für einen digitalen Taler mussten Anleger vor einem Jahr knapp 20'000 Dollar auf den Tisch legen, inzwischen kostet Bitcoin gerade noch 3200 Dollar.

Einig sind sich Experten aber, dass es sich bei Cannabis im Gegensatz zum Bitcoin um ein echtes Produkt mit grossem Marktpotenzial handelt. «Bei den grossen kanadischen Herstellern haben wir erstaunliche Wachstumsraten gesehen. Das wird in der Geschwindigkeit möglicherweise nicht so weitergehen, aber es wird aus meiner Sicht zu weiterem signifikantem Wachstum kommen», sagt Peter Homberg, Partner und Leiter der Life-Science-Praxis bei der Wirtschaftskanzlei Dentons.

Europa immer wichtiger

Auch Marktforscher zeichnen ein positives Bild und überbieten sich in ihren euphorischen Prognosen: Bis 2022 dürften die weltweiten Ausgaben für legales Marihuana nach Einschätzung von BDS Analytics und Arcview auf 32 Milliarden Dollar steigen, 2017 waren es noch 9,5 Milliarden. 41 Prozent dürften bis dahin alleine auf Kanada und Kalifornien entfallen. Kalifornien zählt zu einer Reihe von US-Bundesstaaten von Colorado bis Washington, in dem der Cannabis-Konsum bereits vollständig legal ist.

Aber auch Europa spielt eine immer wichtigere Rolle. Dort erlauben mehr als 20 Länder medizinisches Cannabis, darunter Deutschland seit März 2017. Die Marktforscher von Prohibition Partners trauen alleine Europa bis 2028 ein Marktpotenzial von knapp 116 Milliarden Euro (knapp 132 Milliarden Dollar) zu. Das setzt allerdings eine vollständige und eher unwahrscheinliche Legalisierung auf dem gesamten Kontinent voraus.

Corona-Bier macht auf Cannabis

Welche Unternehmen können am meisten Geschäft abschöpfen? Zu den Erfolgsfaktoren zählen nach Einschätzung der Analysten der Berenberg Bank Grösse, Produktvielfalt, Marken sowie der Marktzugang. Dabei sehen sie Canopy Growth am besten positioniert, sowohl auf dem Heimatmarkt Kanada als auch international. Das Unternehmen hat zudem einen starken Partner im Rücken: Der Corona-Bier-Hersteller Constellation Brands pumpte im August vier Milliarden Dollar in Conopy und baute seinen Anteil auf 38 Prozent aus.

Zusammen wollen die beiden Firmen cannabishaltige Getränke entwickeln – ein Trend, den auch Coca Cola nach eigenen Angaben genau beobachtet. Dem weltgrössten Getränkekonzern wurde Interesse am Canopy-Rivalen Aurora nachgesagt. Einen Schritt weiter ist bereits der Tabakkonzern Altria. Der Marlboro-Hersteller stieg kürzlich bei dem kanadischen Produzenten Cronos für 1,8 Milliarden Dollar ein.

Cannabis gegen MS

Während Nordamerika bei der Legalisierung von Cannabis als Genussmittel eine Vorreiterrolle einnimmt, steht in Europa die Freigabe zu medizinischen Zwecken im Fokus. Erst im November legalisierte Grossbritannien medizinisches Cannabis. Die Wirkstoffe können unter anderem Schmerzen bei Krebserkrankungen, Übelkeit nach Chemotherapien oder Spastiken bei Multipler Sklerose lindern. «Wir sehen eine starke Entwicklung hin zur medizinischen Verwendung in allen möglichen Ländern, das ist ein riesiges Potenzial», ist sich Georg Wurth, Geschäftsführer beim Deutschen Hanfverband, sicher.

Nach seinen Schätzungen gibt es in Deutschland rund 30'000 Patienten, die Cannabis von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet bekommen, Tendenz steigend. Bislang wird der hiesige Bedarf noch über Importe gedeckt. Erst ab 2020 dürfte nach Einschätzung des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Cannabis auch aus Anbau in Deutschland zur Verfügung stehen. Das Institut hat Aufträge zur Produktion von medizinischem Cannabis in Deutschland ausgeschrieben, die Bewerbungsfrist dafür endete erst vor wenigen Tagen. (SDA)

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