«Wir steigen aus allen rüstungsnahen Geschäftsbereichen aus», sagte der neue Ruag-Chef, André Wall, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Dies betreffe die Munitionsfabrik in Thun, das Militärunterhaltsgeschäft in Malaysia und Australien sowie das Simulatoren- und Trainingsgeschäft mit Standorten in der Schweiz, Frankreich und Schweden.
Auch für den Flugzeugstrukturbau schliesse man einen kompletten Verkauf an strategischen Partner nicht aus. Die Sparte habe in der Pandemie den grössten Einbruch aller Ruag-Bereiche erlitten: «Keiner fliegt mehr, keiner bestellt Flugzeugteile», sagte Wall, der seit Anfang Jahr im Amt ist. Die Sparte stellt Rumpf- oder Flügelteile unter anderem für Airbus her.
Die Division müsse einem kompletten Umbau unterzogen werden, sagte der Firmenchef: «Es dürfte mindestens bis 2025 dauern, bis die Flugzeughersteller wieder die Vor-Pandemie-Volumina erreichen. Trotz der besonderen Herausforderungen in der Luftfahrtindustrie bin ich optimistisch, dass es uns mittels Restrukturierung gelingen wird, Aerostructures solide für die Zukunft aufzustellen.»
«Wollen zum Schnellboot werden»
Wichtig sei, dass die neuen Eigentümer die Mitarbeiter übernehmen würden, sagte Wall. Das sei beim Verkauf von Teilen des Geschäfts im bayerischen Oberpfaffenhofen gelungen. Dort hat die Ruag den Flugzeugservice-Bereich vor kurzem an General Atomics Europe veräussert. Der Bereich umfasst die Herstellung des Propellerflugzeugs Dornier 228 und dessen Kundenservice, wie auch den Unterhalt von Businessjets und Militärhelikoptern. General Atomic übernehme die 420 Angestellten des Bereichs.
Damit schlägt der neue Chef nach 100 Tagen im Amt grosse Pflöcke ein. Der Tanker Ruag International solle zu Schnellbooten werden, sagte der Deutsche.
Der grösste Teil des Personals soll neue Arbeitgeber erhalten. So umfasst die Munitionssparte 2500 Angestellte, der Flugzeugstrukturbau 1250 Mitarbeiter und das internationale Militärgeschäft (MRO) 630 Beschäftigte.
Noch 1300 Beschäftigte
Übrig bleibt die Raumfahrtdivision mit 1300 Beschäftigten, wovon allerdings 100 Stellen bis Ende Jahr gestrichen werden. Hier will Ruag International im Satellitengeschäft durchstarten. Von einem Hersteller von Einzelkomponenten für Satelliten wolle man zu einem integrierten Anbieter von Subsystemen für Satelliten werden, kündigte Wall an. Der Fokus liege auf dem Ausbau der Marktführerschaft in Europa und dem Ausbau des Marktzugangs besonders in den USA, aber auch in Asien.
Dazu gebe es ein neues Forschungs- und Entwicklungsteam, das neue Satellitenteile entwerfen solle. Das Unternehmen wolle die Produktion von den heutigen Prototypen auf Mini-Serien mit grösseren Stückzahlen umstellen. «Vor uns liegt ein optimales Startfenster: der Space-Markt boomt», erklärte Wall im Communiqué. Analysten der US-Bank Morgan Stanley würden einen 1-Billion-Dollar-Markt bis in 2040 mit jährlichen Wachstumsraten von über 16 Prozent prognostizieren.
Raumfahrtdivision bleibt übrig
Das Satellitengeschäft solle den neuen Namen «Beyond Gravity» (auf Deutsch: jenseits der Schwerkraft) bekommen. Die Marke Ruag International habe zu Verwirrung bei den Kunden geführt, sagte Wall.
Damit schrumpft der Ruag-Konzern massiv zusammen, nachdem er im Jahr 2019 erstmals die Umsatzmarke von 2 Milliarden Franken geknackt hatte. Darin waren allerdings auch die Geschäfte für die Schweizer Armee enthalten, die mittlerweile abgetrennt sind.
Übrig bleibt somit nur noch die Raumfahrtdivision, die im 2019 einen Umsatz von 339 Millionen Franken erzielt hatte. Neuere Zahlen sind noch nicht verfügbar. Die Geschäftsergebnisse des Coronajahrs 2020 will die Ruag am 25. März veröffentlichen.
Der Verkaufsprozess der Munitionssparte sei im Dezember gestartet, sagte Wall: Es gebe etliche Interessenten aus verschiedenen Bereichen, wie etwa strategischen Industrieunternehmen oder Finanzgesellschaften. Der Verkauf solle noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Ein Börsengang der Raumfahrtgeschäfts, wie er bei Ankündigung der Abspaltung des Geschäfts für die Schweizer Armee ins Spiel gebracht worden war, «hat keine Priorität», sagte Wall. «Es ist wichtig, dass wir uns auf den Markt und die Kunden ausrichten.» Eine Privatisierung des verbleibenden Raumfahrtgeschäfts sei in zwei bis drei Jahren möglich. Dabei sei ein Börsengang ein möglicher Weg.
Zuerst muss der Konzern allerdings aus den roten Zahlen kommen. Im ersten Halbjahr hatte die Ruag International den Reinverlust auf 48 Millionen Franken vergrössert nach 19 Millionen ein Jahr zuvor. Der Umsatz schrumpfte um rund 11 Prozent auf 570 Millionen Franken. (pbe/SDA)