Mittelstand kann sich die hohen Mieten nicht mehr leisten
Arme Städte! Sie werden zu Reichen-Ghettos

Die Wohnungsnot in den Städten macht die Suche nach bezahlbarem Wohnraum immer schwieriger. Das spüren nun auch Normalverdiener im Mittelstand.
Publiziert: 11.03.2023 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2023 um 15:14 Uhr
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Viele Bewerber für zu wenige Wohnungen gehören in Zürich inzwischen zum Stadtbild.
Foto: Keystone
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

Schon seit jeher zog es die Menschen in die Städte. «Stadtluft macht frei», hiess es im Mittelalter. Die Stadt versprach nicht nur Freiheit, sondern auch die Chance auf Arbeit, Aufstieg und Wohlstand. Die Anziehungskraft der Zentren ist ungebrochen hoch. «Ihre Attraktivität ist ein Riesenerfolg für die Städte», sagt Immobilienexperte Donato Scognamiglio (53). 

Die Kehrseite des Erfolgs: Wohnraum in der City ist Mangelware, die Mieten sind hoch – und sie steigen weiter. «Der Mittelstand kann sich die Stadt kaum mehr leisten», sagt Nicola Hilti (46), Wohnforscherin an der Ostschweizer Fachhochschule in St. Gallen. «Das gilt besonders für Zürich, Zug, Genf und Basel.»

Hohe Mieten schrecken Zuzüger ab

Kein Wunder, denn in Zürich liegt die Leerwohnungsziffer bei 0,1 Prozent, in Zug bei 0,33 und in Genf bei 0,5. Nur in Basel ist die Situation mit 1,6 Prozent noch etwas entspannter. Das Budget fürs Wohnen in der Stadt wird auch beim Mittelstand knapp. 

Das Medianeinkommen in der Schweiz liegt bei 80'000 Franken. Die eine Hälfte der Menschen verdient mehr, die andere weniger. Die Miete sollte nicht mehr als ein Drittel des Haushaltsbudgets betragen – bleiben also einer Einzelperson fürs Wohnen rund 2200 Franken übrig. «Dafür gibt es an guter Lage in der Stadt Zürich eine bessere Abstellkammer», sagt Scognamiglio. Das schreckt auch Zuzüger mit einem guten Einkommen ab. 

Denn günstige Wohnungen sind extrem rar. Ziehen zwei Menschen zusammen, steigt das Haushaltsbudget und damit die Chance auf eine Wohnung. «Da liegen rund 3500 Franken für eine Wohnung durchaus drin», so Scognamiglio.

Doch wenn Kinder dazukommen, steigt der Platzbedarf, während das Budget durch die Reduktion der Arbeitspensen oder die Kosten für die Krippe sinkt. Dann wird es für viele Mittelstandsfamilien knapp.

Städteverband besorgt

Das bedeutet: Familien ziehen schon gar nicht mehr in die Stadt oder sie müssen aufs Land ausweichen, wenn die günstige Wohnung einer Totalsanierung oder einem Neubau weichen muss. «Viele müssen wegziehen», sagt Hilti, die für eine Studie mit vielen Betroffenen gesprochen hat. «Entweder in ein anderes Quartier oder ganz aus der Stadt hinaus.» 

Die Wohnsituation in den Zentren macht auch dem Städteverband Sorgen: «Der Wohnraum ist zu knapp, und zwar in den meisten uns angeschlossenen 130 Städten», erklärt Monika Litscher (49), Vizedirektorin des Verbandes. «Die Städte brauchen gute Rahmenbedingungen für Wohnungsbau, Stadtentwicklung und Mobilität.» Denn sonst droht die Verödung der Städte. «Für eine gute Durchmischung braucht es Gut- und Wenigergutverdiener, Singles, ältere Menschen und Familien», so Litscher.

Und einen möglichst breiten Mittelstand, sonst bekommen die Städte ein Problem, sagt die Stadtsoziologin Barbara Emmenegger (60) «Wenn eine Gruppe Stadtbewohner oder -bewohnerinnen wegfällt, tut das der Stadt nicht gut. Eine Stadt lebt von Vielfalt und Interaktion.» Das hat auch Folgen fürs lokale Gewerbe: «Fehlt der Mittelstand, brechen Teile der Wirtschaft in der Stadt weg, Läden und Restaurants für dieses Publikum verschwinden», befürchtet Emmenegger.

Zusammenrücken könnte helfen

Können sich die Arbeiter und Angestellten die Stadt nicht mehr leisten und ziehen aufs Land, droht den Städten der Verkehrskollaps. «Wenn immer mehr Leute pendeln müssen, schafft dies zusätzliche Verkehrsprobleme», so Emmenegger. 

Die Gefahr ist erkannt, schnelle Abhilfe leider nicht in Sicht. Vor allem aber müsste der Trend zu immer mehr Wohnfläche pro Person umgedreht werden. «Viele Menschen wohnen heute allein, jeder braucht ein Bad und eine Küche. Das verbraucht viel Fläche», sagt Scognamiglio. «Deshalb braucht es gerade in den Städten Alternativen und unterschiedliche Wohnungsgrössen, damit Menschen auch wieder in kleinere Wohnungen ziehen», ergänzt Litscher. Denn oft bleiben gerade ältere Menschen unfreiwillig in grösseren Wohnungen, weil es keine bezahlbaren kleineren Wohnungen gibt. 

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