Jonas Schürmann geht durchs Casino der Konkurrenz und sucht den Ausgang. Links rattern Slotmaschinen, rechts drängen chinesische Gambler um Roulette- und Black-Jack-Tische, aus den Lautsprechern tönt Frank Sinatra. Keine Fenster, keine Uhren, keine Tageszeiten.
Wer in Macaus Zentrum, dem chinesischen Las Vegas, schnell von A nach B will, nimmt nicht selten die Abkürzung durch eine der vierzig Spielstätten. Und Schürmann hat dieser Tage keine Zeit zu verlieren. Er verantwortet ein gigantisches Milliardenprojekt. «Eigentlich interessieren mich Casinos nicht», sagt er. Am Abend öffne er lieber eine Flasche Wein.
Rückkehr nach Macau
Trotzdem ist der Hotelier im Jahr 2016 nach Macau zurückgekehrt, wo er bereits früher ein Hotel leitete. An Chinas einzigen Ort, wo das Glücksspiel erlaubt ist. In die Sonderverwaltungszone, deren Casinos mit über 30 Milliarden Franken fünfmal so viel umsetzen wie die Vorbilder in Las Vegas.
Hergelockt hat ihn die Familie um den legendären Casinokönig Stanley Ho. Der 96-jährige Hongkonger gehört zu den zehn reichsten Chinesen, ist mit vier Frauen verheiratet und besitzt die Firma Sociedade de Jogos de Macau (SJM). Für ihn soll der gebürtige Solothurner ein Milliardenprojekt vorantreiben, das sämtliche bisherigen Casino-Hotels der Insel in den Schatten stellt: das «Grand Lisboa Palace». Ende 2019 soll es eröffnen.
Chefposten in Bangkok
Schürmann, 54, ehemaliger Kellnerstift aus Balsthal SO, stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Lehrer in der Oberstufe meinte, aus ihm werde nie etwas. Doch der Einstieg in die Gastronomie öffnete ihm Tür und Tor in die Welt der Luxushotels: Nach Stellen im Berner «Schweizerhof» und im «Beau Rivage Palace» in Lausanne übernahm er Chefposten in Bangkok, Macau, Kuala Lumpur und zuletzt in Hongkong, wo er neun Jahre lang das Luxushaus «Mandarin Oriental» leitete. 2012 kürte ihn «Gault-Millau» zum Schweizer Star im Ausland. Und «Forbes» bezeichnete ihn schon als besten Hotelier der Welt. Sein Lehrer lag mit der Einschätzung einigermassen daneben.
«Ich hatte als junger Mann ja nichts zu verlieren, war stets offen für Neues», resümiert Schürmann und tritt durch die Schiebetür nach draussen; das Sakko über die Schulter geschwungen, selbst am Abend drückt die schwüle Hitze.
Ein Heer von 5000 Angestellten
Hinter einem mächtigen Brunnen mit tosendem Wasserspiel ragt das farbig blinkende Hotel «Grand Lisboa» in die Höhe, ein 258-Meter-Turm in Form einer Lotusblume, Wahrzeichen des modernen Macau. Hier leitet Schürmann die Geschicke über Hotellerie und Restaurants. Wenn in einem Jahr das «Grand Lisboa Palace» eröffnet, werden ihm 5000 Angestellte im Drei-Schicht-Betrieb unterstellt sein.
Fragt man in Macau nach der Baustelle, heisst es bloss, man könne sie nicht verfehlen. Tatsächlich: 10 Kilometer entfernt vom Zentrum, auf der aufgeschütteten Insel Cotai, wo die neuesten Casino-Tempel hochschiessen, die jenen in Las Vegas in nichts nachstehen, wo etwa der Dogenpalast und Markusturm von Venedig nachgebaut wurden, wo ein Eiffelturm in halber Grösse vor einem Casino prangt, wo man mit Seilbahngondeln direkt zum Hoteleingang hochfährt – unweit davon steht auf einer Brache das riesige Bauwerk, umringt von Baukränen und Gerüsten.
Hotels von Versace und Lagerfeld
5 Milliarden Franken kostet der Komplex mit einer nutzbaren Fläche von über siebzig Fussballfeldern. Er vereint drei Hotels mit insgesamt 2000 Zimmern, dreissig Restaurants, Casino, mehreren Fitnesscentern, Spas, Pools, Läden und multifunktionellem Theater. Schürmann ist zuständig für alles, was mit Hotel und Gastronomie zu tun hat. Nur: Darf er auch bestimmen?
Die Besitzer hätten ihm gesagt: «We hire you, you do!» Sie verstünden zwar viel von Casinos, aber wenig von Hotellerie und Restaurants. Und dieser Bereich ist zunehmend entscheidend, wenn sich eine Spielstätte von anderen abheben will. Deshalb holten sie den Schweizer. Und die beiden Brands Versace und Karl Lagerfeld, die je eines der Hotels designen.
Gerüchten zufolge soll der deutsche Modezar dank Schürmanns guten Verbindungen an Bord gekommen sein, Schürmann wiegelt ab. Die Arbeit mit Lagerfeld sei faszinierend, betont er lieber. Wenn Lagerfelds Crew vor Ort sei, verfolge der 84-jährige Designer alles haargenau – zugeschaltet via Facetime. «Lagerfeld sieht nicht mit dem Blick eines Hoteliers, sondern eines Gasts», sagt Schürmann. Das sei wertvoll. Über die Einrichtung gibt Schürmann nichts preis. Bekannt ist, dass das gesamte Hotel westliche und chinesische Stile vereinen wird.
Massengeschäft statt hohe Einsätze
Dass die Besitzer so viel Geld in einen weiteren Casino-Komplex investieren, ist auf den ersten Blick überraschend. Denn seit der chinesische Staatschef XiJingping 2013 an der Macht ist, bekämpft er vehement die im Land tiefverankerte Korruption. Das brachte die Umsätze der Casinos zum einstürzen, hatten sie doch lange dem Waschen von Schwarzgeld gedient. Seit letztem Sommer ziehen sie wieder an. Letztes Jahr stiegen die Umsätze um 19 Prozent auf 33 Milliarden Franken.
Zwar kommen weniger High-Roller, die in VIP-Räumen um Millionenbeträge zocken. Macau setzt neu auf den Massentourismus: An Spitzentagen strömen täglich über 1 Million Besucher auf die Insel, primär aus China. Schürmann sagt es so: «6 Prozent der Chinesen haben Macau besucht. 94 Prozent noch nicht.» Und die Chinesen lieben das Glücksspiel. Auch können sie sich immer mehr Reisen und Ausflüge leisten.
Schürmann schätzt gute Küche
Im «Grand Lisboa», dem Hotel im Zentrum von Macau, hat Schürmann nun in einem der acht Privaträume des chinesischen Gourmettempels «The 8» Platz genommen. «In Macau gibt es zwei Restaurants mit drei Michelin-Sternen», sagt er. «Beide befinden sich hier im Hotel.» Selber kochen mag er überhaupt nicht. Essen aber umso mehr. Und so weiss er, was es für die Spitzengastronomie braucht: Perfektion bis ins letzte Detail. Seine Mitarbeitenden bedienen blitzschnell, aber diskret, jeder Handgriff sitzt. Schürmann braucht nur mit dem Finger auf den Tisch zu tippen, schon wird der nächste Gang serviert. Seine Angestellten behandle er gut, betont Schürmann. «So, wie man zum Personal ist, so sind sie zu den Gästen.»
Nach acht Gängen lehnt er sich zufrieden zurück, leert das letzte Glas Wein.
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.
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Sein ehemaliger Lehrer hat ihn kürzlich via Mail kontaktiert. Er wollte wissen, was es für Möglichkeiten gebe für seine Tochter; sie wolle in die Gastronomie. Schürmann hat das Mail unbeantwortet gelöscht.