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Milliardenpaket des Staates für KMU
«Ohne Hilfe halte ich nur zwei Monate durch»

Mit einem Hilfspaket historischen Ausmasses will der Bund die Betriebe retten. Den Betroffenen steht das Wasser bis zum Hals.
Publiziert: 21.03.2020 um 23:41 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2020 um 17:56 Uhr
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Die Massnahmen zur Eindämmung des Virus haben der Schweizer Wirtschaft einen Schock historischen Ausmasses verpasst. Unzählige Restaurants, Läden und Freizeitbetriebe stehen am Abgrund. «Jetzt geht es ans Eingemachte», sagt Patrick Huber (51), Inhaber des Tattoo- und Piercingstudios Kunststich in Aarau.
Foto: Siggi Bucher
Danny Schlumpf und Simon Marti

Vor zwölf Wochen tauchten die ersten Nachrichten über eine neuartige Lungenerkrankung in China auf. Heute grassiert das Coronavirus in 150 Staaten. Überall auf der Welt operieren Behörden im Ausnahmezustand. Die Börsen crashen, ganze Volkswirtschaften liegen flach. «Eine Weltrezession ist nicht mehr abzuwenden», sagt Adriel Jost (34), Chefökonom des Beratungsunternehmens Wellershoff und Partners. «Das Tempo und die Dynamik der Krise sind einmalig. Es ist der perfekte Sturm.»

Auch die Schweizer Wirtschaft dreht im Krisenmodus. Die Massnahmen zur Eindämmung des ­Virus haben ihr einen Schock historischen Ausmasses verpasst. Unzählige Restaurants, Läden und Freizeitbetriebe stehen am Abgrund. Die Geschäfte bleiben wahrscheinlich über Monate geschlossen, aber die Fixkosten laufen weiter.

«Jetzt geht es ans Eingemachte», sagt Patrick Huber (51), Inhaber des Tattoo- und Piercingstudios Kunststich in Aarau. «Ich mache null Umsatz und habe keinen Lohn. Ohne Hilfe halte ich nur zwei Monate durch.» Er hat Kurzarbeit beantragt. «So erhalte ich einen Teil meines Lohns, aber die Studiomiete ist damit noch nicht bezahlt.»

Über 100'000 Kurzarbeitsgesuche im Zusammenhang mit Corona wurden in der Schweiz bereits eingereicht. 8000 sind es allein im Kanton Zürich. «Es ist gespenstisch», sagt Bekim Haklaj (48), Betreiber der Pizzeria La Fontana Uno in Horgen ZH. Auch er hat um Kurzarbeit für seine acht Mitarbeiter ersucht. 1991 floh er aus dem Kosovo in die Schweiz und baute sich eine neue Existenz auf. Jetzt steht er vor dem Aus. «So etwas habe ich noch nie erlebt. Meine Reserven reichen höchstens noch für einen Monat.»

Von der Pizzeria bis zur Fluggesellschaft, vom Kleinbetrieb bis zum Konzern – im Kern geht es um zwei Probleme: Die Firmen können die Angestellten nicht mehr beschäftigen, und ihnen fehlen die flüssigen Mittel. Es sind dieselben Fragen, die die Unternehmen im ganzen Land von Krisensitzung zu Krisensitzung treiben: Wie hoch sind die Schulden? Wie viel Geld ist in der Kasse? Wie lange geht es ohne Umsatz weiter? Klar ist: Ohne staatliche Nothilfe ist in vielen Fällen sehr bald Schluss. Es drohen Massenkonkurse – und die Zeit drängt. Die ersten Unternehmen haben bereits Mitarbeiter entlassen. «Seit letztem Montag beobachten wir eine starke Zunahme der Anmeldungen auf den RAV», bestätigt Irene Tschopp, Mediensprecherin des Kantons Zürich.

Jetzt fliessen Milliarden

In dieser Not ziehen auch die überzeugtesten Marktverfechter den Kopf ein. Es ist die Stunde des Staates – und er fährt schweres Geschütz auf. Bereits am 13.März hatte der Bundesrat ein erstes Hilfspaket von zehn Milliarden Franken präsentiert, das vor allem für Kurzarbeitsentschädigungen vorgesehen ist. Am letzten Freitag doppelte er nach und sprach weitere 32 Milliarden. Im Zentrum des neuen Pakets stehen 20 Milliarden für schnelle Kredite an Unternehmen mit finanziellen Engpässen. Darüber hinaus gewährt der Bund den Firmen einen Zahlungsaufschub bei Sozialversicherungsbeiträgen und weitet die Kurzarbeit auf Temporärangestellte aus. Ein Rechtsstillstand für Betreibungen wurde bereits am Mittwoch verfügt. «Hilfe kommt», sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60) am Freitag. Doch kommt genug?

«Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung», sagt ETH-Wirtschaftsprofessor und KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm (50). «Doch auch dem Bundesrat sollte klar sein, dass es eventuell mehr brauchen wird.» Sturm fordert zusammen mit seinem ETH-Kollegen Hans Gersbach (60) einen «Schweizfonds» im Umfang von 100 Milliarden Franken. «Wir müssen zuerst die Pandemie erfolgreich bekämpfen», sagt Sturm. Erst dann sei eine Rückkehr zur Normalität möglich. «100 Milliarden wären ein starkes Signal, das Vertrauen und Sicherheit schaffen würde. Denn niemand weiss, wie lange der Kampf gegen die Pandemie dauert.»

Immerhin: Auch 42 Milliarden sind ein Signal. «Der psychologische Aspekt ist nicht zu unterschätzen», findet Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt (59). «Deshalb ist es wichtig, dass die Entlastungsmassnahmen rasch kommuniziert wurden.» Vogt begrüsst das Hilfspaket. «Noch zu regeln ist die Forderung nach flexibleren Arbeitszeiten für Unternehmen, die am Anschlag laufen oder laufen werden, wie etwa im Detailhandel oder im ­Bankensektor.»

Ebenso wichtig ist allerdings die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber. Und da sieht die Arbeitnehmerseite grossen Handlungsbedarf. «Es herrscht ein enormer Vollzugsnotstand bei den Schutzmassnahmen», sagt Vania Alleva (50), Präsidentin der Gewerkschaft Unia. Auf den Baustellen, in der Indus­trie, im Detailhandel – vielerorts würden grundlegende Dinge wie Distanzhalten und Händewaschen nicht gewährleistet. «Die Behörden kontrollieren überhaupt nicht mehr, vielerorts sind die Arbeitsinspektoren gar nicht mehr vor Ort.»

Die Nerven liegen blank

Das führt zu Spannungen, die immer mehr Betriebe belasten. «In einigen Branchen liegen die Nerven blank», sagt Daniel Lampart (51), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). «Deshalb ist der Einbezug der Sozialpartner beim Bund und bei den Branchen zentral.»

Bundesrat Parmelin hat bereits auf die Forderung reagiert. «Wir haben vielleicht unterschätzt, die Massnahmen mit den Sozialpartnern genau anzuschauen», sagte er gestern gegenüber Radio SRF und setzte für nächste Woche Gespräche am runden Tisch an. Mit Blick auf solche Gespräche warnte Swissmem-Präsident Hans Hess (65) am gleichen Tag auf BlickTV: «Die Wirtschaft muss weiterfunktionieren. Deshalb darf es keinen Shutdown geben!»

Die Lage ist komplex – und sie verändert sich stündlich. Das verunsichert Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermassen. Finanzminister Ueli Maurer (69) betonte deshalb am Freitag vor allem ­eines: Der Bund organisiere die Nothilfe so unkompliziert wie möglich. «Wer Geld braucht, geht zu seiner Bank. Sie zahlt innert ­einer halben Stunde bis zu 500000 Franken aus. Und der Bund bürgt zu 100 Prozent.»

Das sind gute Nachrichten für Thomas Rupp (60). Er führt zusammen mit Andrea Rupp (58) seit 34 Jahren ein Schuhgeschäft in Oberentfelden AG. «Wir kämpfen ums Überleben», sagt Rupp. Ein Kredit könne den Druck etwas lindern. Und doch: «Damit sind die Probleme natürlich nicht einfach aus der Welt. Irgendwann müssen wir die Kredite ja zurückzahlen.»

Für Cinzia Mangolini (34) ist die Aufnahme eines Kredits die letzte Option. «Ich will so lange wie möglich ohne Fremdkapital über die Runden kommen», sagt die Leiterin einer Tanzschule in Unterentfelden AG. Ihr finanzielles Polster reicht für zwei Monate. «Im Moment ist vieles unklar. Ich versuche, den Kopf über Wasser zu halten.» Dennoch sagt sie: «Ich stehe hinter den Massnahmen des Bundesrats.»

Der Staat wird grösser

Das tun die meisten Menschen im Land. In der Krise hat der Staat das Heft in der Hand. «Der Staat wird grösser werden und an Gewicht gewinnen», sagt Wellershoff-Chefökonom Jost. «Doch er läuft auch Gefahr, Vertrauen zu verlieren.»

Denn was der Staat auch tut: Er kann es unmöglich allen recht machen.

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