Migros-Verkäufer spricht über seinen Lohn
«4180 Franken, das reicht kaum bis gar nicht mehr»

Für die «Beobachter»-Serie «Die Abrechnung» sagen uns Leute, wie viel sie verdienen – und wofür sie ihr Geld ausgeben. André Schneider muss mit wenig auskommen.
Publiziert: 15.06.2024 um 09:54 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2024 um 10:28 Uhr
André Schneider berichtet, wie er mit seinem Migros-Lohn zurechtkommt. (Symbolbild)
Foto: Nathalie Taiana
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Katrin Reichmuth
Beobachter

In der Beobachter-Serie «Die Abrechnung» geben Leute Einblick in ihren Kontoauszug – und erzählen, wie sie mit ihrem Budget leben. Zum Beispiel der Student André Schneider, der in Wirklichkeit anders heisst.

Meine Person

Ich bin 33 und gelernter Kaminfeger. Vor acht Jahren hatte ich meinen ersten epileptischen Anfall und musste meinen Führerausweis abgeben. Ohne Auto konnte ich meinen Beruf nicht mehr ausüben. Es folgten ungewisse Monate – unter anderem ein Hin und Her mit der zuständigen IV-Stelle. Eine Weiterbildung in meinem Berufsfeld kam für mich nicht wirklich in Frage, die IV hat mich aber nur teilweise bei einer Umschulung auf einen anderen Berufszweig unterstützt.

Deshalb habe ich mich auf eigene Faust für einen neuen Weg entschieden. Heute studiere ich in Teilzeit Kommunikationsdesign mit Fachrichtung Film an einer Privatschule in Zürich. Daneben arbeite ich an drei Tagen die Woche in der Migros als Verkäufer. Mein Traum ist es, einmal für einen Science-Fiction-Film die Regie zu führen.

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Meine Einnahmen

Ich habe einen Stundenlohn von netto 23.50 Franken. Während des Semesters arbeite ich an drei Tagen die Woche durchschnittlich zehn Stunden. So komme ich an neun Monaten im Jahr auf 2820 Franken. In der Sommerpause arbeite ich dann jeweils drei Monate an fünf Tagen. Das macht dann 4700 Franken im Monat. Zudem erhalte ich vom Arbeitgeber jeweils 700 Franken zu Weihnachten.

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Aufs Jahr verteilt, stehen mir also 3350 Franken pro Monat zur Verfügung. Das ist zumindest das Ziel. In der Realität kann mein Lohn von Monat zu Monat wegen kürzerer Arbeitsschichten, Ferien oder wegen anderer Abwesenheiten variieren. Zudem erhalte ich ein Stipendium von 10’000 Franken pro Jahr vom Kanton Schaffhausen. Das wird mir in zwei Hälften ausgezahlt, jeweils im Februar und im September. Mein durchschnittliches Monatseinkommen beträgt also ungefähr 4180 Franken.

Meine Ausgaben

Wohnen: Ich bin im Kanton Schaffhausen auf dem Land aufgewachsen. Seit vier Jahren wohne ich in einer 2,5-Zimmer-Wohnung in der Stadt Schaffhausen. Für Miete und Nebenkosten zahle ich pro Monat 930 Franken. Der private Vermieter liess mit sich reden und kam mir mit dem Mietzins 70 Franken entgegen. Und: Er hat seither den Mietzins nicht angepasst. Das nenne ich fair.

Telefon, Internet und Abos: Für Telefon und Internet gebe ich monatlich 63 Franken aus. Dazu kommen knapp 10 Franken pro Monat für den Zugriff auf Playstation Plus. Ich habe zudem ein Youtube-Premium-Abo. Das kostet mich jeden Monat knapp 13 Franken. So kann ich alle möglichen Videos schauen, Musik hören und auch selber Inhalte erstellen. Die Serafe-Gebühr kostet mich jährlich 335 Franken.

Versicherungen: Ich habe eine Hausrat- und eine Privathaftpflichtversicherung und zahle dafür 216 Franken im Jahr.

Gesundheit: Wegen meiner Krankheit muss ich jedes Jahr eine umfassende Untersuchung bei einer Spezialistin machen. Das und meine Medikamente sind sehr teuer. Ich habe die tiefstmögliche Franchise von 300 Franken und zahle jeden Monat 430 Franken für die Grund- und die Zusatzversicherung. Für Franchise und Selbstbehalt, die ich selber übernehmen muss, zahle ich zirka 1000 Franken im Jahr. Einmal pro Jahr gehe ich zur Dentalhygiene. Das kostet mich 145 Franken. Insgesamt gebe ich für meine Gesundheit also 525 Franken pro Monat aus.

Mobilität: Ich wohne in Schaffhausen, studiere in Zürich und muss mindestens dreimal pro Woche pendeln. Dafür benutze ich den öffentlichen Verkehr. Ich löse in den Monaten, in denen ich eins brauche, für 317 Franken ein Ostwind-ZVV-Abo. Damit sind alle für mich relevanten Tarifzonen abgedeckt. Ein Jahresabo kostet fast 3000 Franken. So viel Geld habe ich nicht auf der hohen Kante. Zudem bin ich so flexibler, zum Beispiel während der Semesterferien im Sommer. Dann löse ich kein Monatsabo. Vor zwei Jahren habe ich mir für 460 Franken einen E-Scooter gekauft. Damit fahre ich bei schönem Wetter in Schaffhausen rum.

Haushalt: Am Abend bin ich meistens erst gegen halb acht zu Hause, dann habe ich keine Energie mehr zum Kochen. Oft schiebe ich dann eine Pizza oder ein anderes Tiefkühlprodukt in den Ofen oder esse eine Portion Spaghetti mit Tomatensauce.

Am Sonntag koche ich jeweils. Meistens bleibt dann noch ein Mittag- und ein Abendessen für Montag und Dienstag übrig. Ich gehe etwa fünfmal pro Woche einkaufen. Dabei gebe ich im Schnitt 25 Franken aus.

Seit fast fünf Jahren trinke ich wegen meiner Epilepsie keinen Alkohol mehr. Meine Zigaretten stopfe ich selber. Ich kaufe mir ungefähr drei Tabakdosen pro Monat. Das kostet mich knapp 75 Franken. Dazu kommt einmal pro Monat eine Schachtel Filterhülsen von knapp 5 Franken.

Ich gehe sechsmal pro Jahr zum Coiffeur. Das kostet mich pro Besuch 50 Franken, also 300 pro Jahr.

Verpflegung ausser Haus: Wenn ich in Zürich bin, esse ich einmal pro Woche in der Schulkantine. Das kostet 10 Franken pro Menü. Die anderen zwei Tage nehme ich entweder etwas von zu Hause mit oder kaufe ein Sandwich oder einen Salat für 6 bis 8 Franken im Aldi neben der Schule. Dazu kommen nochmals 5 Franken pro Tag für Pausensnack und Kaffee am Morgen.

Wenn ich arbeite, kaufe ich mir mindestens einmal etwas beim Migros-Take-away. Für eine Pastabox inklusive Getränke gebe ich jedes Mal 15 Franken aus. Ein Abendessen in einem Restaurant leiste ich mir nicht mehr. Hingegen hole ich mir einmal pro Monat einen Döner oder eine Pizza, dafür gebe ich 10 Franken aus.

Zweimal pro Monat bin ich bei meiner Schwester zum Abendessen eingeladen. Insgesamt gebe ich pro Monat knapp 200 Franken fürs Essen auswärts aus.

Kleidung und Schuhe: Das letzte Paar Schuhe (Nike-Sneakers) habe ich mir vor zwei Jahren für 120 Franken gekauft. Schon länger besitze ich Schuhe von Puma, für die ich 100 Franken gezahlt habe.

Ich kaufe bei Otto’s zwei- bis dreimal pro Jahr ein. Zum Beispiel ein neues T-Shirt oder Tanktop für den Sommer. Das kostet mich dann pro Einkauf ungefähr 30 Franken. Meine Jeans trage ich aus, und neue Hosen kaufe ich meist in einem kleinen Laden in der Schaffhauser Altstadt. Dort kostet eine Jeans zirka 30 Franken.

Über das Jahr hinweg kaufe ich online Accessoires von Rock Rebel im EMP-Store. Dafür gebe ich ungefähr 120 Franken pro Jahr aus. Auf den Monat gerechnet, gebe ich also knapp 20 Franken für Kleider, Accessoires und Schuhe aus.

Studiengebühren: Jedes Semester, also zweimal pro Jahr, sind die Semestergebühren von 7250 Franken fällig. Das ist im Vergleich zu einer öffentlichen Universität oder einer Fachhochschule sehr hoch. Dort sind die Studiengebühren pro Semester knapp 1000.

Ich habe mich aber bewusst für eine Privatschule respektive für diesen spezifischen Studiengang entschieden. Denn in dieser Fachrichtung fliesst alles zusammen, was mit Filmschaffen zu tun hat. Zeichnen, Schreiben, Ton, Bild und Musik. Die Schule ist zum Glück sehr flexibel, und ich zahle die Gebühren jeweils, sobald das Stipendium auf meinem Konto ist.

Freizeit: Ich habe wenig Freizeit, eigentlich bleibt mir nur der Sonntag. Tagsüber relaxe ich meistens und koche für die nächsten Tage. Am Abend gehe ich in die Bandprobe. Ich bin der Leadsänger, würde aber gern einmal die Gitarre übernehmen. Bald ist ein Lagerverkauf von E-Gitarren. Vielleicht finde ich dort etwas Günstiges, hoffentlich für ungefähr 130 Franken.

Die Monatsmiete für den Bandraum beträgt 100 Franken. Wir sind zu dritt. Das macht für mich pro Monat 33 Franken. Dazu kommt eine Zwischenverpflegung aus der Tankstelle von ungefähr 10 Franken pro Bandprobe.

Ein Fitnessabo ist mir zu teuer. Ich habe mir überlegt, den Kampfsport Krav Maga zu lernen. Einmal Training pro Woche kostet 20 Franken. Das möchte ich mir nicht leisten.

Ferien und Ausflüge: Letzten Sommer war ich eine Woche bei meinem Vater in Deutschland. Das Zugbillett kostete mich für die Hin- und Rückfahrt zusammen 25 Franken. Ich habe bei meinem Vater logiert und auch dort gegessen. Für Souvenirs und Verpflegung ausser Haus habe ich insgesamt 40 Franken ausgegeben.

Dieses Jahr habe ich keine Ferien geplant. Im Sommer besuche ich jeweils die Streetparade in Zürich und das Lindli-Fest in Schaffhausen. Für Essen und Trinken gebe ich dann jeweils zirka 40 Franken aus. Das ist sehr wenig, weil ich meinen Rucksack mit alkoholfreien Getränken und Verpflegung fülle.

Altersvorsorge: Dafür habe ich leider kein Geld. Sowieso habe ich noch nie in die dritte Säule eingezahlt. Obwohl ich nach der Lehre als Kaminfeger einen stabilen Lohn von knapp 7000 Franken hatte. Ich habe schlichtweg nicht daran gedacht.

Steuern: Meine Steuern beliefen sich letztes Jahr auf 2440 Franken. Das Stipendium muss ich nicht versteuern. Ich zahle die Steuern in Raten.

Was bleibt übrig?

Das Balkendiagramm zeigt einen Überschuss von knapp 40 Franken pro Monat. Ich komme also jeden Monat knapp durch. Falls es aber unvorhergesehene Ausgaben gibt, wird es ultraknapp bei mir. Aber sobald ich mein Studium erst abgeschlossen habe, werde ich beruflich durchstarten und ein stabiles Einkommen erzielen.

Der grösste Luxus, den ich mir leiste

Meine Tattoos. Ich habe sechs Stück, die ich mir zwischen 17 und 32 habe stechen lassen. Dafür habe ich insgesamt 900 Franken ausgegeben.

Mein Studium dauert noch zwei Jahre. Danach möchte ich mir Ferien am Meer gönnen. Ich bin nämlich noch nie geflogen. Und: Eine Reise in die USA ist mein längerfristiges Ziel, um die Warner-Bros.-Studios in Los Angeles zu besuchen.

So fühle ich mich

Die Studiengebühren sind aufgrund der Teuerung in diesem Jahr um 470 Franken gestiegen. Das Stipendium hingegen ist gleich geblieben. Das Geld reicht für meinen Lebensunterhalt nach Steuern, Semesterrechnungen und Zugabos mittlerweile kaum bis gar nicht mehr.

Geschweige denn für Ferien, Ausflüge, Shopping oder Geschenke. Ab und zu einen Wochenendausflug zu unternehmen oder einfach mal für eine Woche wegzufliegen, das fehlt mir schon ein wenig.

Ich habe mich jedoch mit meiner Situation abgefunden und mich daran gewöhnt, sehr wenig Geld für solche Highlights übrig zu haben. Ich weiss, dass diese schwierige Zeit einer für mich guten Sache dient.

Zudem bin ich nicht allein. Ich habe Familie und Freunde, die mir nahestehen, ohne sie käme ich nicht durchs Leben. Alles andere ist für mich nur eine Frage der Zeit.

Aufgezeichnet von Katrin Reichmuth

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